Washington Die USA führen bizarre Flüchtlingsdebatte und isolieren sich

Washington · Heimatschutz, FBI und Geheimdienst sollen dafür bürgen, dass von Flüchtlingen im Falle der Aufnahme kein Risiko ausgeht.

Washington: Die USA führen bizarre Flüchtlingsdebatte und isolieren sich
Foto: dpa, lws ms cul

Sie hat etwas Bizarres, die Flüchtlingsdebatte, wie die Amerikaner sie nach den Pariser Anschlägen führen. Bei aller verständlichen Angst und dem Aufleben des Traumas vom 11. September 2001, der Tenor der Diskussion macht vor allem eines deutlich: Selten hat isolationistisches Denken solche Triumphe gefeiert. David Bowers ist Bürgermeister von Roanoke, einer 100.000-Einwohner-Stadt im westlichen Virginia. Ein Demokrat, kein Republikaner. In einem offenen Brief erinnert er an den Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor Zehntausende Bürger japanischer Herkunft in Internierungslagern einsperren ließ. "Die Gefahr, die heute vom Islamischen Staat (IS) ausgeht, ist genauso ernst wie jene, die damals von unseren Feinden ausging".

Prompt meldete sich, neben protestierenden Parteifreunden, einer jener Japanese-Americans zu Wort, die einst in den Lagern einsaßen. George Takei, damals noch ein Kind, später Schauspieler, bekannt aus der Serie "Raumschiff Enterprise". So wie man den internierten "Feinden" seinerzeit keinen einzigen Fall von Spionage oder Sabotage nachweisen konnte, hätten sich die 1854 Syrer, die man im Zuge des Bürgerkriegs eingelassen habe, keiner einzigen terroristischen Handlung schuldig gemacht, schrieb er gegen die um sich greifende Hysterie an. "Uns hat man allein danach beurteilt, wie wir aussahen, und das ist so unamerikanisch, wie etwas nur sein kann."

Was die Causa Roanoke illustriert, ist der Grad der Verunsicherung, der sich eines Landes bemächtigt, das sich doch mit den Worten am Sockel der Freiheitsstatue als Fluchtburg versteht für die "geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren". Eine Novelle des Repräsentantenhauses, vorige Woche verabschiedet, knüpft die Aufnahme syrischer Flüchtlinge an einen bürokratischen Hürdenlauf, der das ohnehin schon komplizierte Verfahren um Jahre verlängern kann. Demnach sollen drei Behördenchefs persönlich garantieren, dass von einem Antragsteller kein Risiko ausgeht. Der Minister für Heimatschutz, der Direktor des FBI und der Koordinator der Geheimdienste sollen mit ihrer Unterschrift dafür bürgen.

Es ist der Ausdruck einer Stimmung, wie sie die republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump und Ben Carson mit ihrer Macht-die-Schotten-dicht-Rhetorik schüren. Trump schlägt vor, alle in Amerika lebenden Muslime in einem Personenregister zu erfassen. Carson vergleicht die Flüchtlinge mit tollwütigen Hunden. Und Chris Christie, Gouverneur New Jerseys, eigentlich kein rechter Populist, würde nicht einmal Waisen unter fünf Jahren, betont er, von einem Aufnahmestopp ausnehmen.

Wie absurd es ist, sich in der Terrorismusdebatte auf die Vertriebenen des Syrienkonflikts zu konzentrieren, zeigt schon die Vorgeschichte der Marathonbomben von Boston, des Attentats, das schon einmal Erinnerungen an den 9/11-Schock weckte. Die Täter, die Brüder Tamerlan und Dschochar Zarnajew, waren 2002 mit Touristenvisa aus Russland in die USA eingereist, der eine 15, der andere acht Jahre alt. Ihre Eltern, der Vater Tschetschene, bekamen Asyl, die Familie durfte bleiben. Welcher Beamte, fragen kühlere Köpfe, habe 2002 schon die Radikalisierung des Brüderpaares voraussehen können - in Boston, nicht im Nahen Osten.

(RP)
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