Berlin Die umstrittenste Moschee der Welt

Berlin · Menschen verschiedenen Glaubens beten in der Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee gemeinsam. Die Gründerin steht unter Polizeischutz.

Seit ein paar Wochen spielt sich in einem Raum so groß wie ein mittleres deutsches Wohnzimmer Unerhörtes ab. In der neuen Moschee mit dem Namen "Ibn Rushd Goethe" spricht eine Frau das Freitagsgebet, Männer und Frauen, Sunniten, Schiiten und Aleviten beten hier gemeinsam. Die Gründerin der Moschee ist Seyran Ates. Sie erhält dafür Morddrohungen aus der ganzen Welt. Ates sieht in ihrer Moschee nicht weniger als die Keimzelle eines modernen Euro-Islam.

Es ist das dritte Freitagsgebet seit der Eröffnung der Moschee in Berlin-Moabit. In der dritten Etage eines Nebengebäudes der evangelischen Kirche St. Johannis ist schon um kurz vor 13 Uhr eine Menge los. Mehrere Kamerateams sind da. Journalisten aus Tschechien, Frankreich, aus der Türkei warten mit Mikrofonen und Notizblöcken auf die Gläubigen, die sich hier gleich zum Freitagsgebet versammeln sollen. Doch viele kommen nicht.

Als es im Raum still wird und Imamin Susanne D. mit heller Stimme arabische Verse singt, knien drei Frauen und vier Männer auf den kleinen Teppichen zum Gebet. Die Imamin trägt einen schwarzen Schleier. Sie möchte ihren Nachnamen nicht nennen, weil sie eigentlich Grundschullehrerin ist und ihr Engagement in der Moschee in der Schule keine Rolle spielen soll. Seyran Ates trägt weißes Gewand, kein Kopftuch, sie kniet ganz vorn links.

"Die Menschen haben Angst hierherzukommen", wird sie später erklären. Der Medienrummel der ersten Wochen und die Drohungen haben viele verschreckt, die in der neuen Moschee einen unpolitischen, liberalen Islam ausleben wollen. Man möchte lieber nicht gesehen oder gar fotografiert werden. Künftig sollen die Gebete deshalb unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Als der Gesang der Imamin endet, liest Seyran Ates den Brief eines 75-Jährigen an die neue Gemeinde vor. "Ich hoffe bei Gott, dass Sie zu einem zweiten Martin Luther werden", schreibt er. Die Gründung der liberalen Moschee bezeichnet er als ein "kulturelles Jahrtausendereignis".

Ates liest einen Text des islamischen Gelehrten des zwölften Jahrhunderts, Muhyiddin Ibn Arabi, aus seiner "Abhandlung über die Liebe" vor. Es ist ein Beispiel dafür, was hier in der "Ibn-Rushd-Moschee" künftig stattfinden soll: Eine Neuinterpretation der alten Texte, ihre Übertragung in die moderne westliche Welt. Es ist auch eine Abkehr von der Praxis, jedes Wort wörtlich zu nehmen, wie es die Vertreter eines radikalen Islam verlangen.

Die Imamin tritt noch einmal vor und kniet sich mit dem Rücken zu den Betenden hin. In leisem Sprechgesang spricht sie das Freitagsgebet. Die Betenden haben ihre Augen geschlossen. Als es endet, umarmen sie einander, verabschieden sich mit Küssen und verlassen leise den Raum. Sie sehen zufrieden aus.

Kaum vorstellbar, dass diese halbstündige Zeremonie in einem Berliner Hinterhof eine Welle der Empörung von Kairo bis Ankara auslöst. Dass dem so ist, hat viel mit Seyran Ates zu tun. Geboren in Istanbul, die Mutter Türkin, der Vater Kurde, setzt die heute 54-Jährige sich seit vielen Jahren für Frauen- und Menschenrechte ein. Als angehende Rechtsanwältin, sie studierte damals Jura an der Freien Universität Berlin, arbeitete sie in einem Informationstreff für Frauen aus der Türkei. Ein Attentat, bei dem eine ihrer Klientinnen getötet wurde, hat Seyran Ates schwer verletzt überlebt. Seither engagiert sie sich für Gleichberechtigung von Männern und Frauen, kämpft gegen Ehrenmord und Zwangsverheiratung. Sie lehnt das Tragen des Kopftuchs ab und betrachtet die multikulturelle Gesellschaft als gescheitertes Konzept. 2006 zog sie sich nach erneuten gewalttätigen Übergriffen auf sie und eine Mandantin zurück und arbeitete zeitweise nicht mehr als Anwältin.

Den Plan, eine liberale Moschee in Deutschland zu begründen, verfolgt sie seit vielen Jahren, wie sie sagt. Die kleine Frau mit den kurzen grauen Haaren nimmt zum Gespräch am Fenster des Gebetsraums Platz. Geduldig beantwortet sie Frage um Frage. Sie braucht die Öffentlichkeit, nicht nur, um ihr Anliegen, einen liberalen Islam in Deutschland zu entwickeln, voranzubringen. Die Öffentlichkeit ist für sie auch Schutz. Ihr Blick ist aufmerksam und kühl. Es ist der entschlossene Blick einer Frau, die es gewohnt ist, dass man ihr zuhört.

An beiden Türen des Raums stehen Männer, die jeden ihrer Schritte beobachten, ihre Personenschützer. Seit dem Wochenende passen sie Tag und Nacht auf sie auf. Ein zu hoher Preis für ihr Anliegen? Seyran Ates verneint. "Es ist die Berufung meines Lebens, mich für Frauen- und Menschenrechte einzusetzen."

Sie sei nicht naiv. Sie hat damit gerechnet, dass ihre liberale Moschee angefeindet werden würde. Seit der Eröffnung soll der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei der Bundesregierung die Schließung der Moschee fordern. Die Begründung: die Moschee sei ein Projekt des Predigers Fethullah Gülen, den Erdogan für den Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 verantwortlich macht. Der deutsch-türkische Verband Ditib soll angewiesen worden sein, die Moschee gezielt zu bekämpfen. "Die Ditib zeigt nun, wes Geistes Kind sie ist", sagt Seyran Ates. Die für islamische Rechtsfragen zuständige Fatwa-Behörde in Ägypten sprach der Moschee ebenfalls ihre Existenzberechtigung ab. Das gemeinsame Gebet von Frauen und Männern sei ein Angriff auf den Islam. Ates entgegnet: Es sei längst überfällig gewesen, eine solche Moschee zu gründen.

(rl)
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