Berlin Die Türkei will bis 2023 in die EU - aber die EU will nicht mehr

Berlin · Die erste Nennung eines Beitrittstermins durch Ankara geht nach hinten los: Führende Europapolitiker sind für ein Ende der Gespräche.

Der seit 17 Jahren bestehende EU-Beitrittskandidatenstatus der Türkei soll nach dem Willen Ankaras innerhalb der nächsten sechs Jahre zur vollwertigen Mitgliedschaft führen. "Die türkische Regierung will der EU vor dem Jahr 2023 beitreten", sagte der türkische EU-Botschafter Selim Yenel der "Welt" mit dem Hinweis, 2023 werde sein Land 100 Jahre alt.

"Es wäre die Krönung", erklärte der Diplomat. Berlin und Brüssel reagierten skeptisch auf die erste Terminvorgabe, seit die EU 2005 offizielle Verhandlungen aufnahm. In der Zwischenzeit sind jedoch erst 14 von 35 Beitrittskapiteln eröffnet worden. Gespräche über weitere Politikfelder lehnen die meisten EU-Staaten seit der Verhängung des Ausnahmezustands in der Türkei ab.

"Die Türkei diskutiert die Einführung der Todesstrafe, und gleichzeitig wird ein festes Beitrittsdatum zur EU definiert - das passt doch nicht zusammen", sagte Manfred Weber, Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, unserer Redaktion. Besser wäre es, die Beitrittsgespräche nicht weiter fortzuführen und stattdessen die Beziehungen der EU mit der Türkei auf "eine neue, ehrlichere Grundlage" zu stellen. "Eine Vollmitgliedschaft ist weder realistisch noch im Interesse der Partner", erklärte Weber, der auch CSU-Vizevorsitzender ist. Als Ziel nannte Weber eine privilegierte Partnerschaft.

"Die EU hat genug eigene Probleme zu meistern", sagte der Vizepräsident des Europäischen Parlamentes, der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff. Ein Beitritt der Türkei sei weder realistisch noch sinnvoll, "denn er würde beide Seiten massiv überfordern, und das wird sich bis 2023 nicht ändern", sagte Lambsdorff voraus. In der EU lehne die große Mehrheit den Türkei-Beitritt ab, auch weil die "autoritäre politische Kultur der Türkei nicht zur andauernden Suche nach Kompromissen passt, die für die EU charakteristisch ist", unterstrich Lambsdorff. Auch nach seiner Meinung sollten Europa und die Türkei die Beitrittsverhandlungen beenden und stattdessen einen Grundlagenvertrag anstreben, der das überholte Abkommen von 1963 ersetze.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker verwies darauf, dass eine Lösung nicht nur mit der türkischen Regierung, sondern zum Nutzen des türkischen Volkes angestrebt werde. Die Bundesregierung erklärte, sie könne nicht vorhersehen, wie der Beitrittsprozess mit der Türkei weiter verlaufe. Dieser sei "ergebnisoffen".

(RP)
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