Washington Die tödlichen Fehler des FBI

Washington · Falsche Haaranalysen trugen offenbar in 32 Fällen zu Todesurteilen bei. Werden jetzt Hunderte Verfahren in den USA neu aufgerollt?

Das Verbrechen, für das Kevin Martin büßen musste, ereignete sich im November 1982 in Anacostia, einem sozialen Problemviertel im Süden Washingtons. Eine 19-Jährige namens Ursula Brown war vergewaltigt und schließlich erschossen worden; ihre Leiche lag am Rande eines Schulhofs. Jemand hatte ihr Auto von hinten gerammt und sie entführt, als sie ausstieg, um sich zu beschweren. Der Verdacht fiel auf Martin, einen drogenabhängigen Teenager.

Ein Schamhaar, das man an einem von Ursula Browns Turnschuhen fand, wurde - angeblich zweifelsfrei - dem jungen Mann zugeordnet. Zu 35 Jahren Haft verurteilt, setzte er sich erst zur Wehr, als sich Juristen fanden, die wirklich für ihn kämpften, anders als der Pflichtverteidiger, der ihn anfangs beraten hatte. "Der Staatsanwalt hat einen so wackligen Fall, dass ich ihn mit einem ordentlichen Anwalt bestimmt gewinnen würde", schrieb er 2007 aus dem Gefängnis: "Kann ich bitte meine Freiheit wiederhaben?" Im vergangenen Jahr wurde er freigesprochen, denn eine im Nachhinein veranlasste DNA-Analyse ergab, dass Martin nichts zu tun hatte mit dem Mord an Ursula Brown. Es war nicht sein Haar gewesen, das an ihrem Schuh klebte.

Haare unterm Mikroskop zu untersuchen und sie einer bestimmten Person zuzuordnen: Über nahezu drei Dekaden, von 1972 bis 1999, verließ sich das FBI praktisch blind auf das Verfahren. Nun gibt die amerikanische Bundespolizei zu, dass sie einem kolossalen Irrtum aufsaß. In fast allen Verfahren, in denen Gerichtsmediziner des FBI-Labors Haarproben als Beweise vorlegten, waren ihre vermeintlich gesicherten Erkenntnisse mit Fehlern behaftet. 32 Mal wurden Menschen aufgrund falscher Expertise zum Tode verurteilt. 14 sind hingerichtet worden oder aber hinter Gittern eines natürlichen Todes gestorben.

Es ist drei Jahre her, dass sich die Behörden veranlasst sahen, die Haaranalysen jener Zeit noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Das "Innocence Project" ("Unschuldsprojekt") hatte Druck gemacht, eine von Rechtsanwälten ins Leben gerufene Initiative, die versucht, schwere Justizirrtümer zu korrigieren - nicht selten in Fällen, die das Land schon so gut wie vergessen hat. 268 Strafverfahren sind es bisher, die wegen fragwürdiger Haar-Gutachten nachträglich aufgerollt wurden. In 95 Prozent dieser Verhandlungen, fasst die "Washington Post" den Stand der Ermittlungen zusammen, präsentierten Spezialisten ihre Laborergebnisse mit einer Selbstgewissheit, als könne es keinerlei Zweifel an der Schuldfrage geben. Angeklagte und Staatsanwaltschaften in zahlreichen Bundesstaaten seien aufgerufen worden, Berufungsverfahren zu prüfen.

Die FBI-Leute umwehe nun mal diese gewisse Aura, versucht Larry Kobilinsky, ein New Yorker Forensikexperte, das Phänomen zu erklären. "Sie sind scharfsinnig, sie sind vertrauenswürdig. Wenn so jemand im Gerichtssaal auftritt, hört eine Geschworenenjury hin." Nur ändere es nichts daran, dass diese Koryphäen ihre Arbeit nicht richtig gemacht hätten, dass sie hundertprozentige "Treffer" sahen, wo Fragezeichen angebrachter gewesen wären. Mikroskopische Haaruntersuchungen, blendet Kobilinsky zurück, hätten einmal als wissenschaftliche Spitzenmethode gegolten, bevor die verlässlichere DNA-Analyse ihren Siegeszug antrat.

Peter Neufeld, Mitbegründer des "Innocence Project", spricht von einem kompletten Desaster und betont, dass man tiefer graben müsse. Nun gelte es herauszufinden, warum fast 30 Jahre vergingen, ehe das Ruder herumgeworfen wurde.

Kevin Martin lebt heute in San Francisco. Der Verteidiger, der ihn ursprünglich vertrat, hatte ihm geraten, seine Schuld de facto einzugestehen und auf Milde zu hoffen. "Niemand glaubt dir, dass du ein unschuldiger Mann bist", zitierte er den Mann vor einigen Monaten. "Es gibt zu viele Beweise, die belegen, dass du am Tatort warst."

(RP)
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