Analyse Die Stunde der Außenseiter

Washington · Populisten sind kein neues Phänomen der amerikanischen Politik. Neu ist, dass sie diesmal, getragen von einer Welle der Enttäuschung über die traditionellen Eliten, Wahlen gewinnen können. Zumindest Vorwahlen.

Analyse: Die Stunde der Außenseiter
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An Selbstvertrauen hat es Donald Trump noch nie gefehlt, inzwischen hat es schwindelerregende Höhen erklommen. Neulich hat er gesagt, er könnte sich auf die Fifth Avenue in Manhattan stellen und jemanden erschießen und würde dennoch keine einzige Wählerstimme verlieren. Das Verrückte daran ist, dass es kaum einen gab, der ihm widersprach. Zu beobachten ist ein hochzufriedener Narziss, der seinen Höhenflug umso mehr genießt, weil ihm die Kommentatoren fast geschlossen den baldigen Absturz prophezeit hatten, als er im Blattgoldprunk des Trump-Tower-Wolkenkratzers seine Kandidatur verkündete. Kurz vor dem Vorwahlstart in Iowa am Montag führt er das Feld der republikanischen Bewerber deutlich an. Trump, der Triumphator.

Sicher, noch immer kann das Szenario eintreten, mit dem die konventionelle Weisheit seit Monaten rechnet: Sobald es ans Abstimmen geht, platzt die Trump-Blase. Dann rücken die Entertainer, deren Unterhaltungswert amerikanische Wahlkämpfe in der Frühphase oft prägt, ins zweite Glied. Gewiss, im Vorfeld der Primaries schenkt das Publikum einem Marktschreier vielleicht noch Gehör. Irgendwann aber wird der Clown den Ring verlassen, bezwungen von einem Kontrahenten mit Ausdauer und Substanz, einem Jeb Bush, einem Marco Rubio, einem John Kasich. Kasich, ein Mann der konservativen Mitte, der 18 Jahre im Repräsentantenhaus saß, hat es mit einer Flugzeug-Metapher skizziert: Am Ende würden sich die Passagiere für einen Piloten entscheiden, der eine Maschine sicher landen könne. Nicht für einen Crashpiloten wie Trump.

Die Frage ist, ob sich das konventionelle Szenario nicht als Wunschdenken erweist. Was immer Trump tut, ob er gegen TV-Moderatorinnen pöbelt, gegen Muslime und Mexikaner hetzt oder Rivalen verhöhnt: Worüber andere längst gestolpert wären, perlt an ihm ab wie Regen an einem gut imprägnierten Cape. Ausgerechnet Trump, der Milliardär aus New York, hat es geschafft, zum Anführer eines Aufstands zu werden. Einer Protestbewegung, die in der Tea Party ein frühes Ventil fand und die sich voller Wut abkehrt von einer vermeintlich arroganten Elite. Das konservative Establishment hat den Schuldenberg um mehrere Billionen Dollar anwachsen lassen, es hat Soldaten in nicht zu gewinnende Kriege geschickt, und als George W. Bush restlos entzaubert war, hat er indirekt Barack Obama, dem Anti-Bush, den Weg ins Weiße Haus geebnet. Ungefähr so lässt sich die Bilanz aus Sicht eines frustrierten Basiskonservativen zusammenfassen. Trump spitzt den Unmut noch zu, theatralisch wie in seiner Reality-Show, die ihn zum Medienstar werden ließ.

Beschreibt er die USA, klingt es nach dem alten Rom kurz vor dem Untergang: "Dieses Land ist ein elendes Loch. Wir kriegen nichts mehr zustande. Die ganze Welt lacht über uns." So düster die Lage, so simpel die Lösung, suggeriert er: Man möge ihm, dem cleveren Geschäftsmann, einfach mal das Ruder anvertrauen. Trump lebt von der Sehnsucht nach schlichten Rezepten, von der Angst weißer Amerikaner vor dem demografischen Wandel, er lebt von der Verunsicherung, die viele, bis hinein in die Mittelschichten, angesichts der Globalisierung empfinden. Normalerweise, schreibt McKay Coppins, ein Reporter von Buzzfeed, in seinem Buch "The Wilderness", erwärmten sich die Wähler für einen Kandidaten, mit dem sie gern ein Bier trinken würden. "Trump ist der Bursche, der die Brauerei kauft und die illegalen Immigranten dort feuert, um dann in seinem Privathubschrauber davonzufliegen, mit dem Stinkefinger nach Mexiko zeigend."

Populisten sind wahrlich nichts Neues in der amerikanischen Politik. 1996 etwa sorgte Pat Buchanan, ein rechter Ideologe, dessen Slogan "Die Bauern kommen mit den Mistgabeln" lautete, für Aufsehen, als er mit einem Primary-Sieg in New Hampshire einen Blitzstart hinlegte, bevor er gegen den Favoriten Bob Dole ins Hintertreffen geriet. Doch seit mehr als 100 Jahren hat keine der großen Parteien einen Populisten zu ihrem Anwärter fürs Oval Office gekürt. Schon das allein erklärt den Furor um Trump.

Bei den Demokraten ist es Bernie Sanders, der vom Außenseiter-Bonus profitiert. Dabei ist der 74-Jährige das Gegenteil eines politischen Seiteneinsteigers, der Anti-Trump, wenn man so will. Seit 1991 sitzt er im Kongress, wo er lange als gutmütiger Exzentriker galt, schon weil er den Zwergstaat Vermont vertrat. Aus der Perspektive New Yorks oder Houstons gehört Vermont praktisch schon zu Kanada. Eine Insel, deren prominentester Sprecher, der Sozialist Bernie Sanders, skandinavische Verhältnisse anstrebt.

Mittlerweile hat der Außenseiter die Koordinaten der Debatte so eindeutig nach links verschoben, wie es ihm nur wenige zugetraut hatten. Seit den 80er Jahren ist er der erste Demokrat von Rang, der für höhere Steuern plädiert, um ein Gesundheitssystem ohne private Krankenversicherungen und Universitäten ohne Studiengebühren finanzieren zu können. Historiker sprechen von der Rückkehr zu Franklin D. Roosevelts "New Deal", vom Bruch mit dem Pragmatismus eines Bill Clinton, der 1992 für seine Partei die erste Wahl nach langer Durststrecke gewann, indem er konsequent die Mitte besetzte.

Nun ist es seine Frau Hillary, die in Bills Tradition die Praktikerin gibt, die weiß, was sich an schönen Ideen durchsetzen lässt und was nicht. Die Seele ihrer Partei aber wärmt sich an ihrem Rivalen, der ebenso wie Trump von der Enttäuschung über die Eliten profitiert, nur dass es sich in diesem Fall um die Eliten des Geldes handelt. Kein Zweiter steht so überzeugend für den noch immer schwelenden Ärger darüber wie Sanders, der immer schon strengere Regeln für die Wall Street anmahnte. Bernie, der Authentische.

(RP)
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