Berlin Die SPD zwischen Dreyers Licht und Gabriels Schatten

Berlin · Was wäre das für ein Desaster gewesen für die SPD und ihren Vorsitzenden Sigmar Gabriel, wenn Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz nicht doch noch gewonnen hätte: Sachsen-Anhalt war ohnehin verloren gegeben, Horrorergebnis in Baden-Württemberg und dann auch noch Dreyer weg? Der größte anzunehmende Unfall für die Sozialdemokraten ist am Sonntagabend abgewendet worden. Und dennoch macht sich im Willy-Brandt-Haus auch am Tag nach den Abstimmungen in den Ländern keine gelöste Stimmung breit. Die Wahlparty am Sonntag löste sich zügig auf, die Vorstandsgespräche am Montag dienten eher einer Aufarbeitung der hohen AfD-Ergebnisse denn einem gegenseitigen Schulterklopfen. Und im Gespräch mit Journalisten mussten die Spitzen der SPD genervt die Frage nach der Kanzlerkandidatur beantworten - das liegt vor allem an Malu Dreyer.

Sie ist die neue Lichtgestalt der SPD, erfolgsgekrönt. Die 55-Jährige ist loyal der Parteiführung und deren Kurs gegenüber, im Gegenzug wird sie schon lange von Gabriel und Co. zur Musterschülerin aus dem Kreis der Ministerpräsidenten stilisiert - Rheinland-Pfalz gilt der SPD nicht zuletzt in der Asylpolitik als das Vorzeigeland der Republik.

Aus Malu Dreyers Wahlerfolg schöpft die SPD nun Kraft, vor allem im Ringen mit der Union auf Bundesebene. Dass Dreyers Herausforderin Julia Klöckner und der baden-württembergische Spitzenkandidat Guido Wolf (beide CDU) sich gegen Merkels und damit Gabriels Kurs in der Flüchtlingspolitik stellten und bittere Wahlverluste einfuhren, sorgt für Genugtuung in der SPD. Und schon wird Malu Dreyer gefragt, ob sie 2017 nicht vielleicht als Kanzlerkandidatin der SPD zur Verfügung stehe. Sie tat das gestern als eine "absurde Debatte" ab. In der Berliner Parteizentrale ist die Sehnsucht jedoch groß nach einer Gewinnerin, nach einer Lichtgestalt wie Dreyer nun eine ist. Und das liegt vor allem an Sigmar Gabriel.

Er ist seit dem Bundesparteitag im Dezember der angeschlagene 74-Prozent-Vorsitzende. Gabriel fiel zuvor durch einen Schlingerkurs beim Flüchtlings- und Grexit-Thema auf, rang seiner Partei die Zustimmung zur heftig umstrittenen Vorratsdatenspeicherung ab. In seiner Parteitagsrede in Berlin warf er all diese Themen noch einmal schonungslos auf den Tisch, wollte den Delegierten nach eigenem Bekunden reinen Wein vor seiner Wiederwahl einschenken. Gabriel bekam einen Denkzettel und ist nicht mehr sonderlich beliebt bei den Genossen, auch nicht an der Basis. Viele nehmen ihm übel, dass die SPD trotz augenscheinlich erfolgreicher Regierungsarbeit in Berlin nicht aus dem Umfrage-Tal zwischen 23 und 25 Prozent herauskommt. Und nachdem er am Sonntag im Willy-Brandt-Haus Bilanz zog, etwa zum desaströsen Wahlergebnis in Baden-Württemberg, sagten hinterher manche, Gabriel mache es sich zu leicht. Sie vermissten Selbstreflexion bei ihm, die Fähigkeit, sich selbst zu kritisieren. Stattdessen schob Gabriel das schlechte Abschneiden des stellvertretenden Ministerpräsidenten Nils Schmid auf die taktische Entscheidung der Wähler, den Grünen Winfried Kretschmann im Amt zu halten und ihm ihre Stimme zu geben. Von Fehlern, die er oder Schmid im Wahlkampf gemacht haben könnten, sprach er nicht. Und das, obwohl die SPD unterm Strich fast eine halbe Million Wähler in den Ländern verlor.

Gabriel muss nun auch nach dem Wahlsonntag als angezählt gelten, gefährdet als Parteivorsitzender ist er hingegen noch nicht. Der linke SPD-Flügel hat sich noch am Sonntagabend verabredet, keine Personaldebatte führen zu wollen. Sie begrüßen hingegen Gabriels "Solidarprojekt" und die darin enthaltene Rente für Geringverdiener. Einzig die Gegenüberstellung von einheimischer Bevölkerung und den Flüchtlingen nahmen sie ihm übel.

Für Gabriel kommt es jetzt darauf an, beim Parteikonvent im Juni die Reihen weiter zu schließen. Der neue SPD-Kurs des gesellschaftlichen Zusammenhalts muss sich auch in der Partei fortsetzen. Die anstehenden Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin dürfen nicht verloren gehen, schon gar nicht die in NRW Anfang 2017. Nur dann darf sich Gabriel wohl die Hoffnung machen, von seiner Partei als Kanzlerkandidat getragen zu werden.

(RP)
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