Analyse Die Scheichs rüsten auf

Berlin · Erstmals verzeichnet das renommierte Sipri-Institut für das vergangene Jahr wieder einen Anstieg der weltweiten Rüstungsausgaben auf 1,676 Billionen Dollar. Kriege, Krisen und Vormachtansprüche stecken dahinter.

Vier Jahre in Folge verzeichneten die renommierten schwedischen Friedensforscher vom Sipri-Institut sinkende weltweite Rüstungsausgaben. Nun gehen diese wieder nach oben. Die Mittel fürs Militär stiegen rund um den Globus um ein Prozent auf 1,676 Billionen Dollar. Experten sehen darin eine Trendumkehr: Die Krisen, die Kriege und das Ringen um regionale Hegemonie befeuern den Drang, sich stärker zu rüsten. Die aktuell größten Steigerungen zeigen die Osteuropäer, die unter dem Eindruck des Ukraine-Konfliktes stehen. Ansonsten geht die Aufrüstung am Westen vorbei, betrifft vor allem Russland, China und Saudi-Arabien.

Das Rüstungsbudget der Vereinigten Staaten sank zwar erneut um 2,4 Prozent. Doch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die USA immer noch fast 600 Milliarden Dollar ins Militär stecken und damit weiter weltweit die Nummer eins sind. Erst nach weitem Abstand folgen China mit geschätzt 215 Milliarden Dollar, dann Saudi-Arabien mit 87,2 und Russland mit 66,4 Milliarden. Gemessen an der Wirtschaftskraft der Staaten liegt Saudi-Arabien mit fast 14 Prozent Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt weit vorn. Das zeigt, mit welchem Nachdruck das islamische Regime in den Auseinandersetzungen im Nahen und Mittleren Osten auch militärisch die Oberhand gewinnen will.

Im Zehn-Jahres-Trend werden die Anstrengungen noch deutlicher. Während die USA ihre Ausgaben zwischen 2006 und 2015 um vier Prozent zurückfuhren, legte China um 132 Prozent zu. Saudi-Arabien und Russland mit 97 und 91 Prozent Plus betrieben nahezu eine Verdoppelung. Das bleibt auf die Regionen nicht ohne Einfluss. Auch Japan kommt nun auf den achten Platz der Länder mit den höchsten Rüstungsausgaben (41 Milliarden), Südkorea legte in der Zehn-Jahres-Übersicht um mehr als ein Drittel zu, Australien um ein Viertel. Und beim Land mit der höchsten Steigerungsrate im Jahrzehnt sind wir wieder im Mittleren Osten: Die Vereinigten Arabischen Emirate gaben 136 Prozent mehr aus, freilich kamen selbst die Sipri-Forscher hier nicht an ganz aktuelle Daten.

Der Blick nach Europa zeigt aktuell stark verunsicherte Polen (plus 22 Prozent), Litauer (plus 33 Prozent) und Slowaken (plus 17 Prozent), während die westeuropäischen Länder im Jahresvergleich rund 1,3 Prozent weniger Geld in Waffen steckten. Die politische Debatte wird jedoch auch in Stockholm aufmerksam verfolgt, und so rechnen die Wissenschaftler damit, dass ihr Befund im nächsten Jahr kein Minus mehr aufweist: Die europäischen Staaten haben sich vorgenommen, angesichts der Erfahrungen in der Ukraine und der wachsenden islamistischen Bedrohung ihre Verteidigungshaushalte wieder hochzufahren.

Das hat Deutschland im Zehn-Jahres-Vergleich mit plus 2,8 Prozent bereits getan. Es wird von Sipri nun mit 39,4 Milliarden auf dem neunten Platz verbucht. Einen höheren Rang erreicht die Bundesrepublik bei den Waffenexporten. Unter den Lieferanten ist sie nach den USA, Russland, China und Frankreich die Nummer fünf im Zehn-Jahres-Vergleich freilich mit einer Halbierung vermerkt.

Als "sehr außergewöhnlich" wertet es der britische Wissenschaftler und Leiter des Militärprojekts von Sipri, Sam Perlo-Freeman, dass Saudi-Arabien nach den USA und China nun auf dem dritten Platz der weltweit größten Waffenkäufer steht. Die Saudis setzten diese Waffen im Jemen oder in Syrien auch ein, betont Perlo-Freeman. Seine Analyse: "Das Land will damit ganz klar seine Macht und seinen Status in der Region behaupten und ausbauen." Wenn der Ölpreis nicht derart in den Keller gerauscht wäre, hätte Riad sogar noch fast sechs Prozent mehr fürs Militär ausgegeben. Auch Russland senkte die Ausgaben fürs Militär unter dem Eindruck des Ölpreisverfalles um 7,5 Prozent gegenüber dem eigentlichen Ansatz. Selbst wenn sie darüber auch 2016 nicht nochmals hinausgehen, bleiben nach Angaben Perlo-Freemans beide Länder an der Spitze der Staaten mit dem höchsten Militär-Anteil am Bruttoinlandsprodukt (13,7 und 5,4 Prozent). Zum Vergleich: Bei den USA sind es 3,3, in Deutschland 1,2 Prozent.

Eine "besorgniserregende Entwicklung" nennt Jürgen Hardt, Außenexperte der Union, die erstmalige Steigerung der Rüstungsausgaben seit 2011. Die Ankündigung einzelner Staaten wie Russland, weiter aufzurüsten, zwinge "leider auch Deutschland und die Nato-Partner zu angemessener Wehrhaftigkeit", sagte Hardt unserer Redaktion. Daraus dürfe jedoch keine Aufrüstungsspirale werden. Er erinnerte daran, dass es in den 90er Jahren gelungen sei, durch diplomatisches Geschick den Rüstungswettlauf zu beenden. "Es sollte unser oberstes Ziel sein, daran wieder anzuknüpfen", erklärte Hardt.

Die Grünen-Sicherheitsexpertin Agnieszka Brugger sieht auch Deutschland gefordert, dem Anwachsen entgegenzuwirken. Berlin liege dagegen "mit den Aufrüstungsplänen von Ursula von der Leyen und der verantwortungslosen Rüstungsexportpolitik von Sigmar Gabriel voll im Negativ-Trend". Bruggers Alternativplan: Waffenembargo für Saudi-Arabien und Stopp von Rüstungsexporten in Krisengebiete.

Sehr viel Krieg, Tod und Zerstörung stehen für Linken-Rüstungsfachmann Jan van Aken hinter den Sipri-Zahlen. Er schlug vor, in einem gleichzeitigen, weltweiten Schritt die Rüstungsausgaben um zehn Prozent zu kappen. Auf diese Weise stünde mehr Geld für die Lösung sozialer und ökologischer Probleme zur Verfügung.

CDU-Militärexperte Roderich Kiesewetter hält das für wenig praktikabel. Für ihn hat der Aufbau regionaler Sicherheitsarchitekturen Vorrang. "Vertrauensbildung durch Institutionen, ständige Konferenzen, Waffenkontrollregime" lautet seine Empfehlung.

(may-)
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