Kolumne Total Digital Die Rückkehr von Tante Emma

Das Umsatzvolumen der Onlinehändler in Deutschland hat letztes Jahr die 50 Milliarden Euro-Schwelle durchbrochen. Auf der Strecke bleiben große Kaufhäuser - Gewinner könnte ausgerechnet der Tante-Emma-Laden um die Ecke sein.

Unser Kolumnist Richard Gutjahr.

Unser Kolumnist Richard Gutjahr.

Foto: Mathias Vietmeier

Neulich war ich seit langem mal wieder bei Karstadt. Ein Kaufhaus, wie ich es aus meiner Kindheit kannte. Die Neonlicht-Atmosphäre, die Grabbeltische mit Sonderangeboten, die gelangweilten Verkäuferinnen - alles, wie ich es in Erinnerung hatte, nur trister. Früher waren Kaufhäuser für mich magische Orte. Schatzkammern, die ich gerne durchstöberte, selbst wenn ich nichts brauchte. Heute frage ich mich: Wer braucht überhaupt noch Kaufhäuser?

Im Kaufhaus gibt es nichts, was ich nicht auch mit dem Smartphone günstiger, besser und bequemer bekommen könnte. Via "Prime Now" von Amazon werden Tausende Artikel innerhalb von zwei Stunden geliefert ! Oh, ich weiß, was Sie jetzt sagen: Im Geschäft werde ich von erfahrenen Verkäufern persönlich beraten, kann mir die Produkte in Ruhe anschauen und mir ein besseres Bild von der Qualität machen. Soweit die Theorie. In der Praxis kann man im Kaufhaus froh sein, wenn man überhaupt bedient wird.

Was die Auswahl betrifft, ist mir heute erst bewusst, wie eingeschränkt das Sortiment eines Kaufhauses ist. Bei großen Online-Händlern kann ich allein in Deutschland aus über 150 Millionen Produkten wählen. Und wenn mich die Qualität nicht überzeugt, schicke ich das Paket einfach zurück - natürlich gratis. Bei mir im Flur stapeln sich die Kartons, auch die von meinen Nachbarn, einem Rentner-Ehepaar. Wenn man mal nicht zuhause ist, nehmen wir füreinander die Pakete an. Dadurch ergibt sich immer ein nettes Gespräch im Treppenhaus.

Werden unsere Innenstädte aussterben wegen Amazon, Otto, Zalando und Co? Nur einen Steinwurf vom Karstadt entfernt, direkt auf der anderen Straßenseite gibt es einen kleinen Buchladen. Die Verkäufer sind immer freundlich und wenn sie mal einen Titel nicht auf Lager haben, wird er sofort bestellt. Oft finden Autorenlesungen statt. Man kommt zusammen, tauscht sich aus, lernt Gleichgesinnte aus der Nachbarschaft kennen.

Nichts, was es bei meinem kleinen Buchhändler zu kaufen gibt, würde ich nicht auch bei Amazon bekommen, oft sogar günstiger. Und doch kaufe ich dort regelmäßig ein. Denn eine persönliche Empfehlung und die Liebe zu den eigenen Produkten kann durch keine Technologie der Welt ersetzt werden. Ich wünschte, mehr Geschäfte würden erkennen, dass es nicht die Produkte sind, die sie verkaufen, sondern ein Lächeln.

Richard Gutjahr ist Moderator für das Bayerische Fernsehen und Blogger. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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