Analyse Die Rückkehr der Abtreibungsdebatte

Berlin · Mit dem gleichen Zorn wie vor mehr als 20 Jahren streiten nun Befürworter und Gegner von Abtreibungen über das Werbeverbot für Ärzte. Die wirklich wichtigen Argumente bleiben dabei auf der Strecke.

Die Debatte um das Abtreibungsrecht hat an Wucht nichts verloren. Mehr als 20 Jahre lang galt das Thema als befriedet. Nach einer jahrelangen kontroversen, ideologischen und zornigen öffentlichen Auseinandersetzung war 1995 ein Kompromiss gefunden worden, der einen Ausgleich darstellt zwischen dem Recht des Ungeborenen auf Leben und dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung.

Nun ist die Debatte wieder da. Das wäre nicht nötig gewesen. Aber auf beiden Seiten gibt es Kräfte, die die aktuelle Gesetzeslage ablehnen und sie nach ihrer Vorstellung ändern wollen. So zeigten Lebensschützer systematisch Ärzte an, die Abtreibungen vornehmen und darüber auf ihrer Internetseite informieren. die gab es noch nicht, als 1995 der Kompromiss zum Paragrafen 218 geschmiedet und im Paragrafen 219a ein Werbeverbot für Abtreibungen festgelegt wurde.

Seit 1995 sind Abtreibungen, die nicht aus medizinischen Gründen oder nach einer Vergewaltigung erfolgen rechtswidrig, bleiben aber straffrei. Weitere Voraussetzung: Ein Schwangerschaftsabbruch muss in den ersten zwölf Wochen geschehen und darf erst nach einer Beratung erfolgen. Bei dieser Beratung erhalten die Schwangeren auch Informationen, welche Ärzte in ihrer Nähe eine Abtreibung vornehmen. Bevor Praxis-Mediziner überhaupt eigene Websites hatten, gab es keine Klagen, dass die Informationen der Beratungsstellen nicht ausreichten.

Die Art und Weise, wie die Gießener Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel über ihre ärztliche Leistung der Abtreibung informierte, sahen die Richter als unerlaubte Werbung an. Sie wurde zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Die Grenzen zwischen einer nüchternen Information und Werbung sind fließend. Wer zum Beispiel öffentlich macht, was eine Abtreibung in seiner Praxis kostet, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er habe dafür geworben. Der Preis spielt eine Rolle: Schwangere müssen eine Abtreibung selbst bezahlen. Bedürftige können staatliche Hilfe beantragen. Hänels Verurteilung war eine Art Initialzündung. Sie fand zahlreiche Unterstützer, die nun gegen Paragraf 219a kämpfen. Eine entsprechende Online-Petition erreichte mehr als 150.000 Unterschriften.

Jene, die wahlweise eine Lockerung oder eine Verschärfung der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch fordern, haben eines gemeinsam: Sie sind in ihrer Haltung oft unversöhnlich und in ihrer Argumentation polemisch. Wer sich positioniert, wird in den sozialen Netzwerken entsprechend attackiert. Den Berliner Politikbetrieb traf die neue Debatte völlig unvorbereitet kurz vor der Regierungsbildung. Schnell zeichnete sich ab, dass die SPD mit ihrer Haltung, den Paragrafen 219a abzuschaffen, bei Linken, Grünen und auch bei den Liberalen auf ein positives Echo stößt.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) gehört eigentlich zu den klar positionierten Lebensschützern in seiner Fraktion. Und obwohl die große Koalition längst verabredet war, gab er der SPD das Signal, sie könne mit der künftigen Opposition über den Paragrafen 219a abstimmen. In der Unionsfraktion löste er damit Protest aus, so dass er seine Zusagen zurücknehmen musste. SPD-Fraktionschef Andrea Nahles, bekennende Katholikin und in den ethischen Fragen von Leben und Tod näher an der Kirche als an der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, kam Kauder entgegen und zog den bereits vorbereiteten Gesetzentwurf wieder zurück.

Seitdem kocht die Debatte erst recht hoch. SPD-Fraktionsvize Eva Högl, die sich offensiv für die Abschaffung des 219a einsetzt, leistete sich via Twitter eine Botschaft, in der sie von "widerlichen Abtreibungsgegner*innen" schrieb. Die Botschaft tat ihr prompt leid, und sie zog sie mit einer Entschuldigung wieder zurück. Das Beispiel zeigt aber das hohe Maß an Emotionalität, bei der die Debatte schon wieder angekommen ist. Die Frauen in der Union, die Högl sonst als verlässliche und sachliche Kollegin loben, schüttelten nur den Kopf: Meinte die etwa uns?

Am Wochenende meldete sich dann der neue Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu Wort. Er beklagte, in der Debatte werde gar nicht mehr berücksichtigt, dass es um ungeborenes menschliches Leben gehe. Mit diesem Hinweis hat er recht. Diejenigen, die für eine Abschaffung des 219a sprechen, argumentieren vielfach nur mit dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung und auf Information. Ausgeblendet wird das Recht auf Leben der Ungeborenen. Ausgeblendet wird oft auch, was Spahn zudem bemerkte, dass eine Abtreibung keine ärztliche Leistung wie jede andere sei. Sie beendet entstehenden menschliches Leben. Auch für die meisten Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, ist er eine sehr schwierige Entscheidung. Nicht wenige bereuen diesen Schritt eines Tages, manche müssen sich auch nach Jahrzehnten deswegen in psychologische Behandlung begeben.

Mit der Vermischung von Tierschutz und Abtreibungsfrage hat sich Spahn allerdings eine Polemik geleistet, die dem Anspruch zuwiderläuft, diese Debatte verantwortungsvoll in der Abwägung von Lebensschutz für das Ungeborene und Selbstbestimmung der Frau zu führen. Wörtlich sagte er: "Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos."

Die Debatte um den Paragrafen 219a braucht dringend eine Versachlichung. Nun soll das Justizministerium einen Gesetzentwurf vorlegen, wie das Werbeverbot für Abtreibung reformiert werden kann. Über einen kleinen sachlichen Hinweis auf der Website des Arztes sollte die Information auch künftig nicht hinausgehen. Wer Preise und Methoden erfahren will, sollte sich die Informationen per E-Mail einholen.

(qua)
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