Analyse Die Rente ist sicher - für die Älteren

Berlin · So gut wie mit dieser Regierung ging es Rentnern noch nie: Nach dem Mütterrenten-Plus und der Rente mit 63 kommen jetzt auch noch die Solidarrente und die Ost-West-Angleichung. Obendrauf gibt es eine satte Rentenerhöhung.

Analyse: Die Rente ist sicher - für die Älteren
Foto: Grafik: Weber

Wenn es eine so gute Nachricht für ein Viertel aller Deutschen zu verkünden gibt, will sie das zuständige Regierungsmitglied natürlich persönlich überbringen, auch wenn sie in der Tendenz längst bekannt ist. Die Altersbezüge der 20,6 Millionen Rentner würden zum 1. Juli im Westen um 4,25 und im Osten um 5,95 Prozent erhöht, teilte Sozialministerin Andrea Nahles gestern lächelnd mit. "Die Rentnerinnen und Rentner profitieren damit unmittelbar von der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt, dem Wachstum der Wirtschaft und steigenden Löhnen." Dass sich die umlagefinanzierte Rente bewähre, sei gerade in Zeiten niedriger Zinsen eine gute Nachricht, so die SPD-Politikerin.

In welchem Maß das auch noch für die künftigen Generationen in den kommenden Jahrzehnten gelten wird, ist allerdings eine offene Frage. Denn die seit Ende 2013 regierende große Koalition hat wie keine andere Regierung vor ihr die Rentenversicherung und auch den Bundeshaushalt, aus dem 90 Milliarden Euro pro Jahr in die Rentenkasse fließen, mit ihren teuren Lieblingsprojekten für ausgewählte Rentnergruppen belastet. Die positiven Finanzierungseffekte früherer Rentenreformen haben Union und SPD schon mit der Anhebung der Mütterrenten und der Einführung der Rente mit 63 teilweise konterkariert. Doch die Koalition ist mit ihren Verbesserungen für die ältere Generation noch gar nicht am Ende: Für das Wahljahr 2017 plant sie den Einstieg in die Solidarrente für Geringverdiener, die 40 Jahre lang eingezahlt haben und trotzdem nicht mehr als die Grundsicherung herausbekommen werden. Auch die Angleichung der Ost-Renten an das West-Niveau steht weiter auf ihrer Agenda.

"Die große Koalition ist für die junge Generation eine enorm teure Koalition. Die schwarz-rote Regierung hat ihre Wahlgeschenke an die Älteren verteilt, zahlen müssen sie die Jüngeren", kommentiert der Freiburger Rentenexperte Bernd Raffelhüschen die Rentenpolitik von Union und SPD. Die Kinder und Enkel würden schlicht "veräppelt" - zugunsten der Generation, die schon fast die Hälfte aller Wähler in Deutschland stellt und damit aus Sicht der Parteien besonders umgarnt werden muss. Die jüngeren Generationen hat das bislang nicht aufgeschreckt. Sie haben sämtliche Verbesserungen für Rentner in den vergangenen Jahren sogar mit einer verblüffenden Großherzigkeit mitgetragen. Vor allem für die höheren Mütterrenten haben sich die Jüngeren starkgemacht, schließlich sind sie alle Söhne, Töchter, Enkel oder Enkelinnen. In Umfragen sprachen sich auch die Jüngeren mehrheitlich für den Mütterbonus und auch für die Rente mit 63 aus. Doch nun dämmert vielen, dass diese Rentenaufbesserungen nicht ohne Folgen für ihre Portemonnaies und vor allem für ihre eigene Alterssicherung sein werden. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Infratest im Auftrag der IG Metall sagten drei Viertel aller Befragten zwischen 18 und 34 Jahren, dass sie nicht glaubten, später von ihrer gesetzlichen Rente gut leben zu können. Nur ein Drittel der Jüngeren bekundete, noch Vertrauen in das Rentensystem zu haben.

Allein die Anhebung der Mütterrenten und die Einführung der abschlagfreien Rente mit 63 Jahren kostet die Rentenkasse 160 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030. Die beiden Rentenprojekte seien "aus ökonomischer Sicht Unfug" gewesen, sagt Raffelhüschen. "Denn sie verringern ohne Not die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung, der volkswirtschaftliche Schaden ist immens." Die Rentenbeiträge würden dadurch schneller und stärker steigen, das Rentenniveau für künftige Generationen schneller sinken als derzeit noch im entsprechenden Nachhaltigkeitsgesetz festgelegt. Das Gesetz werde deshalb angepasst werden müssen - nicht mehr von dieser, aber von einer künftigen Bundesregierung.

Dann wird es zum neuen Verteilungskampf zwischen Alt und Jung kommen. Für die Jüngeren ist zwar auch die Beitragsentwicklung wichtig, aber wichtiger noch ist die Entwicklung des Rentenniveaus. Sie beschreibt, wie viel die Rente mit 45 Beitragspunkten im Vergleich zum Einkommen eines noch aktiven Durchschnittsverdieners künftig wert sein wird. Derzeit liegt das Rentenniveau bei 47,5 Prozent des Durchschnittsverdiensts. Bis 2029 soll es nach bisherigen Berechnungen der Rentenversicherung auf 44,6 Prozent sinken. Im Gesetz ist festgelegt, dass die Politik einschreiten muss, wenn das Rentenniveau bis 2020 unter 46 Prozent und bis 2030 unter 43 Prozent sinken würde.

Für Rentenexperten steht schon fest, dass eine neue Regierung das Sinken des Rentenniveaus unter die Grenzwerte durch Reformen verhindern muss - oder sie senkt die Grenzwerte zu Ungunsten der Jüngeren. Dann würden künftige Generationen einen noch geringeren Teil ihres Lebensunterhalts mit der gesetzlichen Rente bestreiten können. Gewerkschaften und SPD wollen nicht nur das verhindern, sondern sie haben sogar eine Kampagne für ein wieder höheres Rentenniveau gestartet.

Wenn exorbitant höhere Rentenbeiträge verhindert werden sollen, wäre das nur durch längeres Arbeiten oder aber mit einem deutlich höheren Rentenzuschuss aus Steuermitteln möglich. Auch das dritte Rentenprojekt der Koalition in dieser Wahlperiode, die Solidarrente für Geringverdiener, soll aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Im ersten Jahr 2017 fallen dafür zunächst zwar "nur" 180 Millionen Euro an. Aber die Zahl derer, die wegen häufiger Erwerbsunterbrechungen, Solo-Selbstständigkeit, prekärer Beschäftigung oder als ehemalige Flüchtlinge die Solidarrente beanspruchen werden, wird in den kommenden Jahren drastisch steigen. Aus 180 Millionen werden schnell Milliarden. Hinzu kommt noch, dass die Koalition das geringere Ost-Rentenniveau ans höhere westliche anpassen will. Auch das kostet Steuermittel, die wiederum vor allem die Jüngeren erwirtschaften müssen.

"Die Gewerkschaften und, ich fürchte, auch die großen Volksparteien sind quasi Seniorenvereine geworden", resümiert Raffelhüschen. "Sie machen Politik für die Mehrheit, also Rentner und solche, die es in Kürze werden."

(mar)
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