Die Fehleinschätzung der Medien

Der Wahlsieg des Außenseiters Donald Trump in den USA hat die politische Klasse in der westlichen Welt überrascht. Zu dieser Gruppe zählen nicht nur Politiker, Top-Beamte, Verbandsfunktionäre und Gewerkschafter, sondern auch die Vertreter gesellschaftlicher Gruppen und nicht zuletzt die Medien. Sie alle haben sich lange auf die professionellen Vermesser der Volksmeinung verlassen. Und das Urteil lautete bei der überwiegenden Mehrheit der Prognostiker, dass Clinton einen deutlichen Sieg einfahren würde.

Doch der Verweis auf die Meinungsforscher entlastet die Medien nicht. Denn auch sie müssen auswählen, welchen Demoskopen sie vertrauen und wie die Vorhersagen zustande kommen. Die "Los Angeles Times" etwa arbeitete mit einem eigenen Forscherteam zusammen, das über Monate 3000 repräsentativ ausgewählte Menschen befragte, und am Ende einen Sieg Trumps voraussagte.

Solche aufwendigen Verfahren können sich nur wenige Medien leisten. Aber sie können Korrespondenten ins Feld schicken, die sich vor Ort ein eigenes Bild von den Einstellungen und Ängsten der Menschen machen. Dies ist in vielen Fällen unterblieben. Die Reporter hockten meist in der Hauptstadt oder anderen wichtigen Metropolen, wo die Abneigung gegen den ruppigen Milliardär mit Präsidentschaftsambitionen besonders ausgeprägt war. Unsere Redaktion hat wiederholt ihren US-Korrespondenten in die amerikanische Provinz geschickt. Dort war die Wut vieler Durchschnitts-Amerikaner greifbar. Solche isolierten Erlebnisse allein ließen aber nicht erahnen, dass die ganze Stimmung sich gedreht hatte. Die Medien müssen demütig sein und noch mehr recherchieren, infrage stellen oder Zweifel anmelden. Dann können sie sagen, was sie wissen. Irren können sie trotzdem.

(kes)
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