Irak Die Falle von Falludscha

Bagdad · Die Lage der meistumkämpften Stadt im Irak spitzt sich zu. Politikerin Liqaa Wardi rückt das Schicksal der Stadt in die Öffentlichkeit.

Irak: Die Falle von Falludscha
Foto: Schnettler

Sie hat es geschafft: Falludscha ist seit Tagen wieder im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Seitdem der irakische Premierminister Haider al Abadi den Befehl zur Großoffensive auf die Stadt gegeben hat, ist das grausame Schicksal der Menschen dort zur Nachricht geworden. Unermüdlich hat Liqaa Wardi seit Monaten auf die katastrophale Lage in Falludscha aufmerksam gemacht, hat keine Gelegenheit ausgelassen zu mahnen.

Durch den Belagerungsring, den die irakische Armee schon im Februar um die Stadt gezogen hatte, seien bereits 180 Menschen gestorben. "Die Leute verhungern buchstäblich", sagt Liqaa Wardi. "Falludscha wird das irakische Madaya." In der syrischen Stadt, 40 Kilometer nordwestlich von Damaskus, waren Tausende Menschen sechs Monate lang eingeschlossen und am Rande des Hungertods. In letzter Minute erreichte ein UN-Hilfskonvoi die belagerte Stadt mit Lebensmitteln.

Besorgt sitzt die 45-jährige Irakerin in dem Hotel gegenüber dem Parlamentsgebäude in Bagdads Grüner Zone. Seit 2010 ist sie Abgeordnete in der irakischen Volksvertretung, die einzige Frau aus Falludscha. "Etwa 10.000 Familien sind noch dort", weiß Wardi aus unzähligen Telefonaten, die sie mit den Einwohnern führt. 120.000 Familien seien es gewesen, als sie die Stadt verließ. Das war Ende Januar 2014, einen Tag bevor die Terrormiliz Islamischer Staat Falludscha als erste Stadt im Irak gänzlich unter ihre Kontrolle brachte. "Es waren zunächst kleine bewaffnete Gruppen, die sich überall in Falludscha ausbreiteten, sich zusammenrotteten und schließlich die Stadt übernahmen", erzählt Wardi.

Vorangegangen waren monatelange Proteste im überwiegend von Sunniten bewohnten Falludscha gegen die Regierung und Premierminister Nuri al Maliki, der den Sunniten seines Landes die Teilhabe an der Macht verweigerte, Schiiten überall begünstigte und schließlich das Protestlager in Falludscha gewalttätig von der Armee auflösen ließ. Die Stadtverwaltung kollabierte, es war ein Leichtes, sie zu übernehmen. Als vier ihrer Mitarbeiter gekidnappt wurden, ging Liqaa weg. Mann und Kinder zogen ins kurdische Erbil, sie blieb in Bagdad.

Inzwischen haben die selbsternannten Gotteskrieger sich in Falludscha breitgemacht, haben die Verwaltung übernommen, ihre eigenen Regeln und Gesetze erlassen, sie gnadenlos durchgesetzt. Wardi hat erfahren, dass einige Einwohner dagegen aufbegehren wollten und die Dschihadisten mit Messern angriffen. Sie hatten keine Chance und sind kurzerhand erschossen worden. Die Gesellschaft sei gespalten, einige Stammesführer unterstützten den IS, aber die Mehrheit schweige und habe keinen Anteil am politischen Prozess in Falludscha. "Die schweigende Mehrheit aber ist es, die jetzt leidet", sagt die Abgeordnete, deren Smartphone ständig neue Nachrichten und Informationen empfängt.

In Falludscha selbst sei der Strom derzeit zwar abgeschaltet, und auch das Internet funktioniere nicht, aber die Menschen aus den Dörfern ringsherum würden berichten. Der IS habe genug Nahrungsmittel für die nächsten fünf Jahre gehortet, sagt Wardi, gebe aber nur denen zu essen, die auf seiner Seite sind. "Wer nicht an Hunger stirbt, hat Diabetes und Nierenprobleme." Nach anfänglichen Fortschritten ist die Militäroffensive zur Rück-eroberung Falludschas ins Stocken geraten. Die Regierungstruppen liegen jetzt in Stellungen in den Außenbezirken.

Sie war schon immer nah an den Menschen, sagt die Politikerin über ihren Werdegang. Schon als Oberschullehrerin wusste sie um die Sorgen und Nöte der Bevölkerung. Nach den beiden verheerenden Militäroperationen der Amerikaner gegen Falludscha 2004 beklagte sie die steigende Krebsrate in der Stadt und vermutete den Gebrauch von abgereichertem Uran durch die US-Armee. Später als Abgeordnete veröffentlichte sie einen Untersuchungsbericht, der ihre Vermutungen bestätigte. Dann erst räumten die Amerikaner den Gebrauch von abgereichertem Uran im letzten Golfkrieg ein. Die Stadt der Moscheen, wie Falludscha auch genannt wird, entpuppte sich als Inferno. Sie wurde zum Symbol für das Desaster der US-Intervention. Nirgendwo sonst gab es so viel Widerstand gegen die Besatzer wie hier, sind so viele amerikanische Soldaten gefallen, nirgendwo sonst wurde so viel zerstört. Falludscha wurde zum Albtraum für die USA.

Als Liqaa Wardi in die Politik einstieg, schrieb die von der US-Administration durchgedrückte neue irakische Verfassung eine Frauenquote von 25 Prozent in allen Volksvertretungen vor, sowohl auf nationaler wie auf Provinzebene. Gleichwohl durfte ihr Foto nicht auf den Wahlplakaten erscheinen. Eine Frau als Politikerin war in der islamisch-konservativen Gesellschaft nicht passend. Vor allem die Dörfer und Gemeinden um die Stadt herum seien ziemlich rückständig. Dort habe sich auch der IS mit seiner Scharia-Mentalität leicht ausbreiten können. Die Städter seien "zivilisierter", so Wardi. Mittlerweile brauche sie sich nicht mehr zu verstecken, sagt die Abgeordnete aus Falludscha, die ihre zweite Legislaturperiode im Parlament bestreitet. "Jetzt respektieren sie mich und haben Hoffnung, dass ich etwas für sie tue."

Aus der Stadt selbst schaffte es bislang kaum jemand zu fliehen. Der IS benutze die Menschen als Geiseln und lasse niemanden raus. Lediglich aus den umliegenden Dörfern und Gemeinden konnten etwa 4000 Menschen vor den Kampfhandlungen fliehen. Einen Korridor für die sichere Flucht aus Falludscha gebe es nicht, entgegen den Beteuerungen der Regierung. Liqaa Wardi hat sich an die zur iranischen Botschaft gewandt. Und der iranische Botschafter hat Hilfe versprochen.

(RP)
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