Flüchtlingskrise und Spritsteuer Was Schäuble wirklich antreibt

Meinung | Berlin · Wolfgang Schäubles Forderung nach einer EU-Sonderabgabe auf Benzin sei als ein "Weckruf" für die anderen EU-Staaten zu verstehen gewesen, sagt der Regierungssprecher. Der Finanzminister habe damit nur klarmachen wollen, dass die Sicherung der Außengrenzen für die EU insgesamt teuer werde und mit viel Geld finanziert werden müsse, behauptet Merkels Sprecher.

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Foto: dpa/Gregor Fischer

Dass dies nun Schäubles Hauptmotiv gewesen sein soll, ist allerdings kaum glaubhaft. Der Bundesfinanzminister weiß nur zu gut, dass die Chancen auf Durchsetzung seines Vorschlags in der EU nahe Null liegen, und auch viele seiner geneigten Zuhörer wissen das. Nicht einmal auf eine gemeinsame Finanztransaktionssteuer konnten sich die EU-Staaten einigen, obwohl hier ein Konsens viel einfacher gewesen wäre. Gerade in Deutschland selbst träfe eine Benzin-Abgabe auf erheblichen Widerstand, am stärksten in Schäubles eigener Partei. Eine EU-Sonderabgabe träfe die Autofahrernation Deutschland schließlich besonders, sie wäre gerade in Deutschland nicht mehrheitsfähig.

Ganz bewusst widerspricht Schäuble mit seinem Vorschlag der Maßgabe der Kanzlerin, dass die Steuern im Zuge der Flüchtlingskrise nicht erhöht werden. Eine Benzin-Sonderabgabe wäre zweifellos eine Steuererhöhung, noch dazu an einer der empfindlichsten Stellen. Die Autofahrer würden sie unmittelbar an der Zapfsäule spüren. Jede Tankfüllung würde sie daran erinnern, dass sie hier gerade für die Migranten mitbezahlen. Merkel musste ihr "Basta" wiederholen: Keine Steuererhöhung wegen der Flüchtlinge.

Nichts taucht in einem Schäuble-Interview zufällig auf. Dieser Mann kann sich einfach alles leisten, auch Querschüsse gegen die Kanzlerin, die er wohldosiert alle paar Wochen einmal abfeuert. Sie darf ihm dafür öffentlich nicht einmal böse sein. Sie ist ja nicht nur auf ihn angewiesen, sie steht mit dem Rücken zur Wand. Schäuble hat Macht über Merkel, ohne selbst im Feuer stehen zu müssen. Eine komfortable Situation, die verlockend ist, selbst für einen, der so diszipliniert ist wie Schäuble.

Ganz nebenbei hat Schäuble vor allem aber den ungeheuren Druck seiner Partei auf die Chefin mit seinen subtilen Mitteln noch verstärkt: Auch Schäuble will jetzt die Kehrtwende der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik erzwingen — weg von den offenen Grenzen, hin zu einer dezimierten und gesteuerten Zuwanderung. Das soll Merkel endlich vor allem auch öffentlich sagen, nicht nur hinter den Kulissen in kleinen, noch zu wirkungslosen Schritten einleiten.

Hinzu kommt, dass sich der Bundes-Kassenwart ernsthaft um das Haushaltsjahr 2017 sorgt, das auch ein Wahljahr ist. Denn seine Ausgaben zur Bewältigung der Flüchtlingskrise werden exorbitant steigen. Nicht nur im Inland, auch im Ausland. Deutschland wird nicht nur den Löwenanteil beisteuern müssen, wenn es um die Milliarden für die Türkei geht oder noch mehr europäische Hilfe für die UN-Flüchtlingslager. Teuer wird für Berlin auch die Sicherung der EU-Außengrenzen und der Aufbau funktionierender Aufnahmezentren in Griechenland. Hinzu kommen zusätzliche Verteidigungsausgaben und Mehrausgaben für die Integration der Migranten.

Schäubles Milliarden-Haushalts-Reserve dürfte schon 2016 aufgebraucht sein, 2017 müsste er dann wieder in die Neuverschuldung gehen. Die Union verlöre damit ihren Wahlkampfschlager, die "schwarze Null". Dann lieber frühzeitig laut über eine Benzin-Sonderabgabe nachdenken, mag sich Schäuble gedacht haben. Wenn die mit großer Entrüstung abgeschmettert wird, kann der Finanzminister hinterher sagen: Das wolltet ihr nicht, also müssen wir zu anderen Mitteln greifen. Zum Beispiel zu einer höheren Kapitalertragsteuer, die "nur" die Sparer träfe.

(mar)
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