Kanzlerin Merkel im Interview "Wir werden noch zeigen, was in uns steckt

Berlin (RP). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) räumt im Interview mit unserer Redaktion Startschwierigkeiten der Koalition ein und kündigt eine politische Offensive an: Die Haushalte sollen konsolidiert, die Steuern gesenkt und das Gesundheitssystem reformiert werden. Dabei will sie "Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit" in den Mittelpunkt ihrer Politik rücken.

Wiederwahl zur Kanzlerin - Merkels großer Tag
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Frau Bundeskanzlerin, wiederholt sich Geschichte doch?

Angela Merkel Sie kennen doch sicher den Satz, wonach Geschichte sich nicht wiederholt ­ und wenn, dann nur als Farce.

NRW war immer der Trendsetter für politischen Wandel, ob für sozialliberale oder rot-grüne Bündnisse. Droht bei der Landtagswahl nun der Anfang vom Ende für Schwarz-Gelb?

Merkel Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und seine Regierung haben in den vergangenen fünf Jahren erfolgreiche Arbeit für NRW geleistet. Ich gehe fest davon aus, dass die christlich-liberale Koalition in Düsseldorf mit ihrer guten Bilanz am 9. Mai alle Chancen hat. Aber für dieses Ziel muss weiter gearbeitet werden. Dazu will ich meinen Beitrag leisten.

Dennoch sehen die Umfragen inzwischen nicht mehr gut aus. Worauf führen Sie den Absturz der Umfragewerte für Union/FDP-Regierungen im Bund, aber auch in Nordrhein-Westfalen zurück?

Merkel Umfragen sind Momentaufnahmen, sie kommen und gehen. Eine wachsende Zahl von Bürgern entscheidet sich immer kurzfristiger vor dem Wahltag, wen sie wählen. Ansonsten ist es so, dass wir in Deutschland seit dem Ende der großen Koalition wieder den politischen Normalzustand erreicht haben, mit einer stärkeren Opposition im Bundestag und knappen Mehrheiten im Bundesrat.

Was meinen Sie mit Normalzustand?

Merkel Die große Koalition ist eine Ausnahme in der Demokratie. Sie hat die tägliche politische Auseinandersetzung in den Hintergrund gedrängt. Jetzt haben wir wieder klar trennbare politische Aufgaben und Vorstellungen zwischen den großen Parteien. Die Diskussion wird damit natürlich lebhafter. Zugleich haben wir durch die weltweite Finanzkrise sehr schwierige politische Herausforderungen zu bewältigen.

Fürchten Sie im Falle einer Niederlage von Jürgen Rüttgers in Düsseldorf eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit in NRW?

Merkel Die SPD muss für sich eine Zukunftsperspektive entwickeln. Ich halte es allerdings für einen verhängnisvollen Irrweg, dass sie sich dabei die Option mit der Linken offenhält. Darauf werden wir im Wahlkampf auch deutlich hinweisen. Das, was die Linken in NRW vertreten, ist verantwortungslos. NRW mit seiner industriellen Struktur ist ein wirtschaftliches Schwergewicht in Deutschland. Für NRW müssen Wohlstand, Arbeitsplätze, soziale Sicherheit und solide Finanzen im Vordergrund stehen. Das geht am besten mit Jürgen Rüttgers und einer christlich-liberalen Landesregierung.

Die NRW-CDU kämpft mit der Sponsoring-Affäre, also dem Anbieten von Terminen mit dem Ministerpräsidenten gegen Bezahlung, und dem Vorwurf der Käuflichkeit. Wie sehr schadet das der Union?

Merkel Dazu ist alles gesagt. Die Landespartei hat personell und organisatorisch die Konsequenzen gezogen. Entscheidend wird in der Wahl sein: Die Bilanz der christlich-liberalen Landesregierung ist gut. Das ist es, was für die Menschen zählt.

Ihr Stellvertreter in Berlin, Guido Westerwelle, steht wegen seiner Geschäftsbeziehungen in der Kritik. Wird er zur Belastung, oder gibt es eine Kampagne gegen ihn?

Merkel Auch dazu ist alles gesagt. Wir haben diese Woche im Bundestag die Haushaltsdebatte geführt, und dabei standen die Themen im Vordergrund, die für Deutschland entscheidend sind: Arbeit, neue Regeln auf den Finanzmärkten, eine stabile Währung, soziale Sicherheit. Das ist es, was die Menschen erwarten, und darauf kommt es mir an.

Dennoch wird der Ton schärfer. Ihr Vizekanzler will sich den Schneid nicht abkaufen lassen, sagt er. Verrennt sich die FDP?

Merkel Nein. Union und FDP sind sich einig darin, dass wir gemeinsam Politik gestalten wollen.

Nach Gemeinsamkeit klingt der Ton in der Koalition oft aber nicht.

Merkel Diejenigen, die gut übereinander reden und konstruktive Sacharbeit leisten, kommen meist nicht in der Zeitung vor. Sehen Sie auf die Fakten: Diese Koalition hat den Haushalt 2010 sehr schnell verabschiedet, die Erbschaft- und Unternehmensteuer für Betriebe in der Krise verbessert, die Ausgaben für Bildung und Forschung erhöht. Dazu kommt die Besserstellung für Familien bereits zum 1. Januar 2010, die Stabilisierung für die Sozialkosten durch Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit, das Afghanistan-Mandat.

Sie haben jetzt die Gelegenheit, die FDP zu loben!

Merkel Wir haben in dieser Koalition bereits schwere Probleme gemeinsam gelöst, so die neue Ausrichtung des Afghanistan-Einsatzes, und wir werden wichtige Probleme lösen, so die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems. Ein großes Grundvertrauen ist da. Ich kann mich auf die Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung verlassen.

Ist Schwarz-Gelb noch Ihre Wunschkoalition?

Merkel Ja. Und zugleich liegt es in der Natur der Sache, dass sich jede neue Koalition zu Beginn auch ein Stück weit finden muss. Wir sollten und wir werden uns auf die politischen Themen konzentrieren, und dann werden wir zeigen, was in uns steckt.

Ist die Regierung noch als Krisenmanager gefragt?

Merkel Ja, das ist derzeit im Mittelpunkt unserer Arbeit, wenn Sie sehen, dass die weltweite Finanzkrise die Wirtschaft erreicht hat, nachdem sie vor 18 Monaten mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers begonnen hat. Wir konnten durch das Krisenmanagement der Großen Koalition und die ersten Maßnahmen der christlich-liberalen Bundesregierung insbesondere mit dem Instrument der Kurzarbeit einiges abfedern. Aber wir müssen weiter mit Hochdruck daran arbeiten, wieder zu Wachstum zu kommen. Viele Menschen spüren, dass sie sich einschränken müssen, denn die Summe der Bruttolöhne ist zum ersten Mal seit 60 Jahren in der Statistik gesunken, die Rentner erleben eine Nullrunde in diesem Jahr. Zugleich erleben wir heftige Spekulationen gegen den Euro. Das sind Herausforderungen, die uns voll fordern. Und wir werden nicht zulassen, dass die Ursachen der Krise in den Hintergrund gedrängt werden.

Wie steht es um die auch von Ihnen energisch geforderte Regulierung der Finanzmärkte als eine wichtige Erkenntnis aus der Krise?

Merkel Erste wichtige Maßnahmen sind in Kraft, aber es ist noch vieles zu tun. Eine ganze Reihe von Fragen können wir nicht national, sondern nur international regeln. Das ist ein hartes Verhandeln. So werde ich auf europäischer Ebene darauf drängen, dass wir Hedge-Fonds schärfer kontrollieren. Die EU-Kommission will sich der Initiative von Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Griechenland anschließen, bei Bedarf den spekulativen Handel mit Kreditausfallversicherungen und Leerverkäufen von Kreditausfallversicherungen einzuschränken.

Werden die Wähler in NRW noch vor der Landtagswahl erfahren, ob und wie Sie die Steuern senken wollen?

Merkel Das Ziel und die Schwerpunkte, die wir angehen wollen, sind heute schon klar. Dazu gehört eine Entlastung im Bereich des so genannten Mittelstandsbauchs, also bei unteren und mittleren Einkommen. Das Volumen und den Zeitplan werden wir im Lichte der wirtschaftlichen Entwicklung entscheiden. Die Leitplanke dabei ist die Schuldenregel im Grundgesetz, die wir einhalten müssen.

Bleibt es bei einer Gesamtentlastung der Steuerzahler von 19 Milliarden Euro bis 2013, wie von Ihrer Koalition angekündigt?

Merkel In der Koalitionsvereinbarung haben wir vereinbart, dass dies möglichst 2011 beginnen muss. Die konkreten Entscheidungen werden wir, wie gesagt, mit Blick auf die wirtschaftlichen Daten und die Steuerschätzung treffen.

Wann wird es Konkretes zur Gesundheitsprämie geben? Es kursiert die Zahl von 29 Euro zusätzlich pro Kopf, um die gestiegenen Kosten für Gesundheit bei den Krankenkassen auffangen zu können.

Merkel Diese Art unsinniger Spekulation hilft nicht weiter und behindert die wichtige Arbeit der Regierungskommission in unnötiger Weise. Ich rate dringend zu mehr Geduld. Wir wollen auch bei einer älter werdenden Bevölkerung und den zusätzlich durch den medizinischen Fortschritt steigenden Kosten im System der Krankenversicherung weiterhin für jeden eine gute medizinische Versorgung ermöglichen. Heute sind die Gesundheitskosten stark an die Lohnkosten gebunden. Das müssen wir ändern, wenn wir nicht durch stark steigende Lohnzusatzkosten die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze gefährden wollen. Der zweite Punkt zielt auf eine neue Form der solidarischen Finanzierung. Der Begriff Kopfpauschale führt völlig in die Irre. Wir werden keine revolutionäre Veränderung vornehmen, sondern evolutionäre Schritte, also eine besonnene Weiterentwicklung des Systems, damit auch in Zukunft jeder die notwendige und gute medizinische Versorgung bekommt.

Das heißt, die zusätzlichen Gesundheitskosten könnten in eine einkommensunabhängige Prämie umgewandelt werden?

Merkel Wir haben ja heute schon die von der großen Koalition beschlossenen Zusatzbeiträge. Kernaufgabe der Kommission wird aber nun sein, einen automatischen Sozialausgleich zu finden, der gerecht und transparent erfolgen kann. Hier kann und will ich den Ergebnissen der Gesundheitskommission nicht vorgreifen.

Die öffentlichen Haushalte sind überfordert. Wie wollen Sie Haushaltskonsolidierung, Gesundheitsreform und Steuersenkungen unter einen Hut bringen?

Merkel Meine Aufgabe ist es, am Schluss alle Maßnahmen zusammenzubinden, und daran arbeiten wir, denn es gilt immer der Grundsatz, dass die Gerechtigkeit und die Zukunftsfähigkeit des Landes gewahrt werden.

Kommt also 2011 das größte Sparpaket aller Zeiten auf die Bürger zu?

Merkel Nein. Wir werden sparen, um die Schuldenregel einzuhalten, und zugleich dürfen wir das Wachstum nicht ersticken. Unterm Strich müssen wir ab 2011 jedes Jahr bis 2016 zehn Milliarden Euro mehr einsparen.

Trotzdem: Sollte die Konjunktur nicht anspringen, wo wollen Sie sparen?

Merkel Die großen Ausgabenblöcke im Bundeshaushalt stehen fest, etwa der Zuschuss zur Rente und Gesundheit oder das Kindergeld. Bei Investitionen lässt sich kaum sparen. Wir wollen für Forschung und Bildung mehr Geld ausgeben. Die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II sind knapp 40 Milliarden Euro im aktuellen Etat und dazu noch alleine elf Milliarden Euro für die Kommunen. Wenn wir es schaffen, durch Wachstum mehr Beschäftigung zu erzeugen, spüren wir in diesem Bereich sofort Entlastungen. Darauf konzentrieren wir uns in der Wirtschaftskrise.

(RP)
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