Außenminister bei G-8-Treffen in Kanada Westerwelle macht wieder Außenpolitik

Toronto (RP). Statt Hartz-IV kümmert er sich wieder um Haiti, und die spätrömische Dekadenz weicht der neuen iranischen Atombedrohung: Vizekanzler Guido Westerwelle macht wieder Außenpolitik. Und wie: in fließendem Englisch.

 Kanadas Außenminister Lawrence Cannon (rechts) begrüßt seinen Amtskollegen Guido Westerwelle vor dem Treffen der G8-Nationen in Quebec.

Kanadas Außenminister Lawrence Cannon (rechts) begrüßt seinen Amtskollegen Guido Westerwelle vor dem Treffen der G8-Nationen in Quebec.

Foto: AFP, AFP

Er kann es tatsächlich. Guido Westerwelle spricht Englisch. Zum offiziellen Festakt der nun hundert Jahre alten deutsch-kanadischen Wirtschaftsbeziehungen in Toronto hat er zwar ein Redemanuskript vorbereitet. Doch das nimmt er immer nur zwischen seinen spontanen Eindrücken zur Hand. Lieber erzählt er frisch von der Leber weg, dass ihn das Ambiente des universitären Festsaales an den Speisesaal von "Harry Potter" erinnert, berichtet von seinen ersten Begegnungen in Nordamerika, als man ihn, den Vorsitzenden der Jungen Liberalen, als Kommunisten angesehen habe, und berichtet auch von seinen Empfindungen in Angesicht der Mauer von Berlin. Alles frei formuliert. In Englisch.

Weltgewandt wirkt Westerwelle in solchen Momenten. Wenn er den Saal gekonnt zum Lachen bringt oder auf den nächsten Applaus zusteuert. Doch diese Momente sind eher die Ausnahme. Denn zumeist liest er seine Rede vor. Und Vorlesen ist offenbar nicht sein Ding. Immer wieder verhaspelt er sich beim englischen Redetext, in dem er auf die Errungenschaften der RIM-Blackberry-Entwicklungen in Bochum verweist, die deutsch-kanadischen Handelsströme für noch nicht ihrem Potenzial entsprechend charakterisiert und vor allem seinen Job als Außenminister UND Wirtschaftswerber unterstreicht.

Ärger mit der Zusammensetzung seiner Wirtschaftsdelegation hat er dieses Mal nicht. Er hat keine dabei. Die politischen Gespräche rund um das G-8-Außenministertreffen stehen im Mittelpunkt des Kurztrips. Und auch sein Lebenspartner Michael Mronz ist nicht dabei. Er hätte auch nicht viel von seinem Guido gesehen. Das Programm ist dicht gestrickt — und alles andere als kräfteschonend. Der erste Arbeitstag dauert vom Start in Berlin bis zum Bezug des Hotelzimmers in Ottawa schlanke 20 Stunden. Und steht doch im Schatten der Kabinettskollegen, die zum Wochenbeginn ebenfalls die Flugbereitschaft nutzen.

Bereits vor dem Abflug ahnt Westerwelle, dass ihm die Kanzlerin mit ihrer Türkei-Reise und der Verteidigungsminister mit seiner Balkan-Tour wohl wenig Raum für Bilder und Nachrichten lassen werden — zumal er selbst erst neun Stunden später in Kanada mit dem ersten bilateralen deutsch-kanadischen Außenministertermin seit über fünf Jahren auf die Bildfläche treten kann. Und so nimmt er die Anschläge von Moskau zum Anlass, am Morgen vor dem Entern der Gangway in Berlin doch noch einmal vor den Kameras Position zu beziehen und die terroristischen Taten sendereif als "verabscheuungswürdig" zu verurteilen.

Über dem Atlantik tauscht er den eleganten Anzug vorübergehend gegen beige Cordhose, offenes Hemd und blauen Pulli, setzt sich noch mal an die Rede und bespricht mit seiner politischen Direktorin Emily Haber, worauf tief in der Nacht zu achten sein wird, wenn sich Haber mit ihren Kollegen noch einmal über die Abschlussdokumente beugen wird. Schließlich soll von Ottawa ein starkes Signal ausgehen. Richtung Teheran. "Wenn sich der Iran weiter der Kooperation verweigert, wird das auf eine Ausweitung des Sanktionskatalogs hinauslaufen", kündigt Westerwelle bereits vor dem offiziellen Auftakt des G-8-Treffens an. Mehr zählt für ihn freilich, eine einheitliche Position gegen den Iran zustande zu bringen. Auch mit Russland. Das werde im Iran sicherlich den nötigen Eindruck hinterlassen.

Das sagt er in Toronto, eine Flugstunde vom G-8-Treffen nahe Ottawa entfernt. Und ganz weit weg vom NRW-Wahlkampf. Doch ein Stichwort dieses Wahlkampfes ist auch hier ganz nah. Schließlich steht Westerwelles Name auf einem Programmzettel, zusammen mit "Audi", "Miele", "Mercedes-Benz". Alles Sponsoren. Ein Begriff, der im NRW-Wahlkampf auf den Index kam, doch die kanadisch-deutsche Handelskammer empfand es als vollkommen natürlich, den Event von etlichen Firmen sponsern zu lassen.

Szenenwechsel. Vom Ontario-See an den Ottawa-River. In einem altehrwürdig-eleganten Golfclub von 1891 empfängt Lawrence Cannon seine Gäste Bernard Kouchner (Frankreich), Franco Frattini (Italien), Katsuya Okada (Japan), Sergej Lawrow (Russland), David Miliband (Großbritannien), Hillary Clinton (USA), Catherine Ashton (EU) und eben Guido Westerwelle. "Nice to meet you."

Doch die Nettigkeit hält nicht lange. Bereits beim Abendessen geht es in die Vollen. Von der Erdbebenhilfe für Haiti über den Weg aus Afghanistan heraus bis hin zu Guantanamo, Abrüstung, Rüstungskontrolle. Und immer wieder geht es um den Iran. Als die Außenminister ihr Dinner beenden und die Politischen Direktoren mit den Schlussverhandlungen beginnen, ist es in Deutschland schon wieder fünf Uhr morgens. Für die Frau an Westerwelles Seite kein Problem. Direktorin Haber kommt ohnehin gerade von Unterredungen aus China.

(RP)
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