Bundeswehr und Heimatschutz Wehrpflicht durch die Hintertür?

Berlin (RP). Die neue Bundeswehr stellt Auslandseinsätze noch stärker in den Mittelpunkt. Wer aber übernimmt den Heimatschutz? Dafür sind offenbar Einheiten aus Reservisten vorgesehen. Allein mit Freiwilligen wären sie indes nicht einsatzfähig. Erwogen wird darum die Teil-Wiedereinführung der Wehrpflicht.

In den Gliederungsbildern der zukünftigen Bundeswehr finden sich bei der Streitkräftebasis bis zu 25 Kompanien als regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte; das Heer stellt demnach zwei Unterstützungsbataillone auf, die im Katastrophenfall helfen und Schutzaufgaben übernehmen sollen. Gebildet werden die neuen Truppenteile von Soldaten der Reserve — ganz im Sinne von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU). Denn nach der Umstrukturierung der Bundeswehr zur kleineren Berufsarmee will er die Lücken in der Heimat verstärkt mit Reservisten schließen.

Erhält Deutschland also nach amerikanischem Vorbild demnächst Nationalgarden? Die 350.000 Angehörigen dieser US-Verbände sind freiwillig Dienst leistende Milizsoldaten, die bei Katastrophen helfen, aber auch unter Waffen Dienst tun, zum Beispiel bei der Überwachung der Grenze zu Mexiko. Jeder US-Bundesstaat verfügt über einen solchen Großverband.

Kostengünstige Reservisten

Diese Forderung haben auch deutsche Politiker wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) aufgestellt. Zuletzt haben die Brandanschläge auf die Bahn im Großraum Berlin gezeigt, dass die Polizei für die Überwachung gefährdeter Objekte nicht genug Personal besitzt. Hier könnten die Reservisten helfen. Sie wären zudem kostengünstig, weil sie nur im konkreten Gefahrenfall mobilisiert werden müssten.

Es gebe eine neue Debatte über den Schutz der Heimat, bestätigte Gerd Höfer, der Präsident des Reservistenverbandes, bei einem sicherheitspolitischen Forum in Mönchengladbach. Wenn die Innenminister eine alarmierungsfähige Truppe dafür wünschten, müssten allerdings Wehrübungen wieder verpflichtend werden, betonte Höfer. Diese neue Form einer Wehrpflicht würde nicht so sehr auf die Reservisten selbst zielen, sondern auf deren Arbeitgeber: Die Einberufenen dürften nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen, wenn sie der Alarmierung folgten, so Höfer. Das Prinzip der Freiwilligkeit greife beim Aufbau größerer Verbände nicht mehr.

Nach offiziellen Angaben sind zurzeit zwar rund 90.000 Reservisten zur Vertretung aktiver Soldaten in Stäben und Bataillonen vorgesehen — mehr als jede zweite Planstelle ist allerdings unbesetzt. Da Heimatschutz-Verbände zur Unterstützung von Feuerwehren und Technischem Hilfswerk sehr schnell einsatzfähig sein müssten, suchen auch die Juristen ziviler Hilfsorganisationen nach gesetzlichen Neuregelungen, zum Beispiel durch eine allgemeine Heimatschutz-Dienstpflicht.

Ein heißes Eisen

Unabhängig davon ist der Einsatz der Bundeswehr im Innern politisch nach wie vor ein heißes Eisen. Das Grundgesetz sieht einen bewaffneten Einsatz im Innern nur in genau definierten engen Ausnahmen vor, womit die Bundesrepublik international eine Sonderrolle einnimmt: Frankreich beispielsweise beorderte 1998 zur Fußball-WM Marineinfanteristen zur Verstärkung von Zoll und Polizei an seine Grenzen, um die Einreise von Hooligans zu verhindern; Italien lässt seine Flughäfen und öffentlichen Plätze bei Hinweisen auf Terroranschläge regelmäßig auch durch Soldaten schützen.

Die Väter des Grundgesetzes hatten jedoch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Rolle von Reichswehr und Wehrmacht beim Erstarken des NS-Regimes in Erinnerung — ein weltweit operierendes Terrornetzwerk wie Al Qaida war dagegen damals unvorstellbar.

Bundeswehr-Dienststellen betonten am Dienstag vorsichtig, die neuen Truppenteile hätten bis zur "endgültigen Entscheidung des Ministers noch Entwurfscharakter". Die Gliederungsbilder, zunächst auf der offiziellen Homepage der Bundeswehr für jedermann zugänglich, seit einigen Tagen aber gelöscht, seien "nicht endgültig".

Ab Freitag findet in Blankenfelde bei Potsdam die Bundesdelegiertenversammlung des Reservistenverbandes statt. Hier wartet man mit Spannung auf die Vorstellung der neuen Konzeption für die Reserve. Der Verband, der in der Rechtsform eines zivilen Vereins rund 122.000 Mitglieder umfasst, hatte erwartet, dass de Maizière den Reservisten das Papier vorstellen würde. Der Minister habe aber kurzfristig absagen müssen, hieß es am Dienstag. Trotzdem soll die Konzeption ausführlich diskutiert werden.

Zunehmende Arbeitsbelastung

Neben den juristischen Hürden gibt es weitere Problemfelder: So kann die reduzierte Bundeswehr ihre Reserve-Verbände nicht mehr materiell ausstatten. Fahrzeuge, Waffen, Funkgeräte und andere Ausrüstung müssten jeweils von aktiven Truppenteilen ausgeliehen werden — im Alarmfall vermutlich ein zu zeitintensives Verfahren.

"Die Aussetzung der Wehrpflicht hat im übrigen am Reservistenstatus nichts geändert. Schon seit längerer Zeit lässt sich die Bundeswehr vor einer Wehrübung bescheinigen, dass diese freiwillig angetreten wird", erläutert Wolfgang Wehrend, Vorsitzender von 16.000 Mitgliedern des Reservistenverbandes in NRW.

Wie sein Präsident weiß Wehrend, dass die zivile Arbeitsbelastung der Reservisten stetig zunimmt, auch das Wochenende sei häufig nicht mehr frei. Zugleich sinke die Bereitschaft der Unternehmen, ihre Mitarbeiter für längere Wehrübungen freizustellen. Wehrend will darüber mit den Arbeitgebern reden: "Hier ist Aufklärung und Initiative auch von Seiten der Politik gefragt. Vom Blick über den Tellerrand profitieren erfahrungsgemäß immer beide Seiten."

(RP)
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