Wahlprogrammparteitag in Hannover Linke macht sich Mut im Kampf gegen das Kapital

Die Linke will den Reichtum in Deutschland konsequent umverteilen, Millionären 75 Prozent Steuern abknöpfen und jedem 1050 Euro Mindestbezug garantieren. Uneins sind sich die deutschen Sozialisten bei ihrem Programmparteitag in Hannover aber in der Frage, ob sie damit besser in der Opposition oder in der Regierung vorankommen.

 Bundesparteitag der Linken in Hannover.

Bundesparteitag der Linken in Hannover.

Foto: dpa, pst fdt

"Probleme bitte winken", sagt Tagungspräsidentin Katina Schubert. "Hinten links gibt es noch Probleme", sagt sie daraufhin. Was auf die Tücken der Technik bei der elektronischen Antragsabstimmung bezogen ist, kann auch symbolisch für den gesamten Parteitag im Congress-Zentrum von Hannover stehen. Der geht in der langgezogenen Eilenriedehalle über die Bühne und macht auch optisch deutlich, wie weit die Delegierten, Strömungen und Überzeugungen auseinander sind.

Zur Abstimmung steht ein langer Antrag, den ohnehin schon hundert Seiten dicken Entwurf des Bundestagswahlprogrammes um eine längere Passage zu "smarten Kommunen" zu ergänzen und auf die Probleme von Mietern beim klimaneutralen Leben einzugehen. 160 Delegierte sind dafür, 164 dagegen. "Antrag mit klarer Uneindeutigkeit abgelehnt", stellt Schubert fest. Das ist das Stichwort. Klare Uneindeutigkeit. Das hat auch schon die Generalaussprache zum Start am Freitag Abend geprägt.

Großen Applaus erntet hier Thiess Gleiss aus NRW mit der Feststellung "Rot-Rot-Grün ist tot, mausetot". Er unterstellt den Genossen mit rot-rot-grünen Regierungsambitionen sogar Nekrophilie, also Leichenschändung. Bis zum Parteitag konnte sich der linke Flügel bei der linken Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht aufgehoben fühlen. Doch am Rande räumt nun auch sie ein, dass eine überraschend stark abschneidende Linke den Druck auf Rot-Rot-Grün wiederbeleben könnte. Und auch die linke Parteichefin Katja Kipping meint, dass sich ihre Partei mit dem auf die Opposition beschränkten Ziel des Wahlkampfes selbst "klein" mache. Die Linken an der Parteispitze wollen sich die Regierungsverantwortung nun ausdrücklich offen halten. Auch wenn SPD und Grüne derzeit nicht damit planen.

Jeremy Corbyn hat das bewirkt. Der britische Labour-Führer, vor sieben Wochen mit 20 Prozentpunkten hinter den regierenden Konservativen scheinbar chancenlos, hat mit einem prägnant linken Programm eine beispiellose Aufholjagd hingelegt und Premierministerin Theresa May die absolute Mehrheit geklaut. Kipping nimmt das als "ermutigendes Signal", und ihr Co-Vorsitzender Bernd Riexinger donnert die Corbyn-Konsequenz in den Saal: "Merkel kann abgewählt werden." Ein gewaltiger Applaus ist die Antwort. So wie die Feststellung beklatscht wird, Corbyn habe mit der Forderung nach Verstaatlichungen so viel Erfolg gehabt. Das spreche doch auch für das Programm der deutschen Linken.

"Ich habe das satt!"

Doch da geht es dann wieder auseinander. Delegierte bringen es fertig, die Zustimmung vieler Briten zu Corbyn mit einem reinen Oppositionswahlkampf der deutschen Linken zu verbinden. "Der wollte regieren", schallt es ihnen vom Flügel der Regierungslinken entgegen. Doch die Zustimmung der Linken in den Regierungen von Thüringen, Brandenburg und Berlin im Bundesrat zu dem Paket aus neuem Länderfinanzausgleich und Möglichkeit zur Autobahnprivatisierung ist vielen Delegierten ein Graus. Sie hätten "keinem Meter Privatisierung" zustimmen dürfen. Das habe das Ansehen der Partei zerstört. Beifall. Gegenmeinung: Wenn die Linke die zusätzlichen Milliarden aus dem Finanzausgleich zur Umsetzung ihrer Wahlversprechen abgelehnt hätten, wären sie "nackt durch die Stadt getrieben" worden, sagt die Berliner Linke Schubert drastisch. Beifall auch dafür.

Links sein, heiße Nein zu sagen zu einer Perspektive als "Juniorpartner prokapitalistischer Parteien", belehrt der Delegierte Sascha Stanicic die Parteiführung. Und er rechnet beim Programmparteitag vor, dass die Linke in einem rot-rot-grünen Bündnis "keine zehn Prozent" des eigenen Programmes durchsetzen werde. Eine andere Zahl wirft der Berliner Delegierte Sebastian Schlüsselburg ein. Nachfragen hätten ergeben, dass 90 Prozent der Linken-Wähler die Partei auch in Regierungsverantwortung sehen wollten. Klaus Lederer, linker Bürgermeister in Berlin, listet auf, was die rot-rot-grüne Koalition in Berlin alles schon geschafft habe, und er wirft den Rufen nach einer Beschränkung auf die Opposition vor, in ihrer "Filterblase" an ihren "selbstverstärkenden Resonanzen" bereits seit 25 Jahren festzuhalten. Lederer: "Ich habe das satt!"

Riexinger schafft es tatsächlich, die richtigen Signalwörter zum Klingen zu bringen. "Ohne Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums sind alle Versprechen Schall und Rauch", ruft er unter großem Beifall. Die Linke habe als einzige ein durchgerechnetes Steuerkonzept. Da könne jede Verkäuferin nachlesen, dass sie 130 Euro mehr bekomme, jeder Facharbeiter 200 Euro. Jeder bekomme mindestens 1050 Euro, wenn Hartz-IV abgeschafft sei. "Mit uns wird es keinen Verzicht auf eine Vermögensteuer geben", legt sich Riexinger fest. Finanzieren will die Linke das unter anderem mit Steuersätzen von 53 Prozent auf alle Gehälter ab 81.000, von 75 Prozent auf alle Millioneneinkommen.

Und außerdem macht Riexinger klar: "Mit uns wird es keine Kampfeinsätze der Bundeswehr geben, auch nicht als Eintrittspreis in eine Regierung." Doch da wittern die Regierungsgegner bereits Wortklauberei und weisen darauf hin, dass die Linke bislang nicht zwischen Kampfeinsätzen und Militäreinsätzen unterschieden habe. "Lässt uns nicht so einen komischen Streit führen", sagt Wolfgang Gehrcke in der Generalaussprache. Er bekommt dafür so viel Beifall wie Riexinger für den möglichen verbalen Ausweg aus dem Dilemma.

Die klare Uneindeutigkeit der Linken in Hannover.

(-may)
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