Interview mit der Familienministerin Von der Leyen: Verhaltenskodex für soziale Netzwerke

Düsseldorf (RP). Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) fordert im Interview mit unserer Redaktion einen Verhaltenskodex fürs Internet. Außerdem zeigt die Ministerin Verständnis für den Streik der Erzieherinnen.

Ursula von der Leyen - EU-Kommissionschefin und siebenfache Mutter
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Das ist Ursula von der Leyen

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Foto: AP/Efrem Lukatsky

Die Kommunen bezweifeln, dass es gelingen wird, bis 2013 für jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz zu schaffen . . .

von der Leyen Da sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Am Anfang hatten wir einen Investitionsstau. 2009 ist der Knoten geplatzt. Von 750 Millionen Euro Investitionsmittel für die Jahre 2008 und 2009 sind bereits 550 Millionen Euro bewilligt.

Viele Kommunen sagen, das Geld reicht für den Ausbau nicht.

von der Leyen Grundsätzlich ist der Ausbau der Kinderbetreuung Aufgabe von Ländern und Kommunen. Wegen der hohen Bedeutung des Themas und des immensen Nachholbedarfs gibt der Bund für die Kraftanstrengung bis 2013 vier Milliarden Euro dazu. Nach gemeinsamen Berechnungen von Bund, Ländern und Kommunen entspricht dies genau einem Drittel der Gesamtkosten. Das ist fair für alle Seiten.

Haben Sie Verständnis für die Streiks der Erzieherinnen?

von der Leyen Für die Anliegen der Erzieherinnen habe ich Verständnis. Diese Berufsgruppe hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine unveränderte Tätigkeitsbewertung im Tarifgefüge, obwohl die Anforderungen permanent steigen. Die Streiks sind aber für die Eltern eine große Belastung. Deshalb müssen die Tarifparteien jetzt zu einem Ergebnis kommen. Allen muss klar sein, dass es die hohen Anforderungen, die heute an Erzieherinnen gestellt werden wie die Betreuung kleinerer Kinder, mehr Flexibilität und Sprachförderung, nicht zum Nulltarif gibt. Diese Auseinandersetzungen sind eine Nagelprobe dafür, was uns eine gute frühkindliche Bildung wert ist.

Wer muss sich bewegen?

von der Leyen Beide Tarifparteien haben die Frage der angemessenen Bezahlung von Erzieherinnen in den letzten 20 Jahren nicht genügend thematisiert. 2005 ist den Erzieherinnen dazu noch stillschweigend der Bewährungsaufstieg weggenommen worden. Jetzt müssen beide dafür sorgen, dass diese gewachsene Schieflage rasch begradigt und der Streit nicht unnötig auf dem Rücken der Eltern in die Länge gezogen wird.

Darf der Streik nach den Sommerferien weitergehen?

von der Leyen Die Entscheidung liegt nicht bei mir. Die Eltern haben ein Recht auf Kinderbetreuung — vor allem für die über Dreijährigen. Deshalb brauchen wir eine rasche Einigung.

Was ist wichtiger: mehr Qualität bei der Kinderbetreuung oder gebührenfreie Kindergärten?

von der Leyen Wir haben nicht nur einen Mangel an Plätzen, sondern auch einen Mangel an Erzieherinnen, die im internationalen Vergleich weniger gut ausgebildet sind und geringer entlohnt werden. Meine Rangliste ist, dass wir zuerst die Qualität der Kinderbetreuung verbessern müssen und in einem zweiten Schritt langfristig die Kindergärten gebührenfrei stellen können. Wenn die Qualität nicht stimmt, werden die Eltern auch die Plätze nicht wollen.

In der Auseinandersetzung um die Sperren gegen Kinderpornographie im Internet haben Sie gegen junge Leute kämpfen müssen, die ein freies Internet fordern, wie ernst nehmen sie diese Bewegung?

von der Leyen Ich nehme sie politisch und menschlich ernst und begrüße ihr Engagement. Ich bleibe aber bei meiner Position, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und die Freiheit der Massenkommunikation Grenzen hat, wo die Würde anderer Menschen verletzt wird. Bilder vergewaltigter Kinder im Internet können nicht toleriert werden.

Hat sie der Spitzname "Zensursula” getroffen?

von der Leyen (lacht) Nein. Das fand ich patent. Das gehört zur politischen Auseinandersetzung dazu.

Sehen Sie weitere Felder, wo Kinder und Jugendliche im Netz besser geschützt werden müssen?

von der Leyen Ja, bei den sozialen Netzwerken im Internet, die Jugendliche gerne nutzen. Ich möchte gemeinsam mit den Verantwortlichen solcher Kommunikationsforen, aber auch mit der Kompetenz der Jugendlichen einen Verhaltenskodex entwickeln. Es geht um achtsamen und wachen Umgang miteinander. Minderjährige müssen beispielsweise wissen, dass sich Erwachsene mit üblen Absichten in ihre Chats einschleichen können. Sie können soziale Kompetenzen im virtuellen Miteinander ebenso erwerben wie im realen Leben. Mobbing im Netz kann nicht toleriert werden. Respektvoller Umgang muss in Chats, blogs oder Foren so selbstverständlich sein, wie wir das auch im Schulalltag mit Streitschlichtern oder Vertrauenslehrern einfordern.

Kritiker sagen, dass Elterngeld sei ein Mitnahmeeffekt auf die Geburtenrate habe es keine Auswirkung.

von der Leyen Das Elterngeld war der Beginn einer veränderten Debatte über Rahmenbedingungen, die Familien brauchen. Ohne Einführung des Elterngeldes hätte es nie die Dynamik der neuen Väter und den Ausbaus der Kinderbetreuung gegeben. Diese pragmatischen Verbesserungen stärken die Zuversicht, mit Kindern den Alltag schaffen zu können. Das Statistische Bundesamt hat ja jetzt seine Zahlen wieder nach oben korrigiert. Es zeigt sich, dass wir die Geburtenzahlen annähernd halten, während die Zahl der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren abnimmt, weil die Babyboomer älter werden und weniger Junge nachwachsen. Zu meinem Amtsantritt gab es noch eine halbe Million Frauen mehr, die hätten Mutter werden können. Wenn es uns also gelingt, die absolute Zahl der Geburten annähernd zu halten, dann ist das ein Riesenerfolg.

Welche Themen muss die Familienminsterin nach der Bundestagswahl anpacken?

von der Leyen Das Oberthema bleibt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es setzt sich nahtlos bei der Frage Vereinbarkeit von Beruf und Pflege fort. Bei einer Steuerreform muss die Familienministerin konsequent darauf achten: Kinder zuerst. Das dritte große Thema wird sein, wie man Sicherheit, Fairness und Respekt im Internet durchsetzt.

Wollen Sie das umsetzen?

von der Leyen Ja.

Sie möchten also Familienministerin bleiben?

von der Leyen Den Anspruch habe ich nicht zu stellen. Aber ich bin gerne Familienministerin.

Eva Quadbeck führte das Interview

(fb)
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