Verpatzter Zugriff Der Terroralarm von Chemnitz wirft neue Fragen auf

Meinung | Berlin · Der Bombenbauer von Chemnitz ist der Terrorabwehr durch die Lappen gegangen. Wie das geschehen konnte, ist nur eine von vielen Fragen, die dringend geklärt werden müssen. Trotz allem ist der gescheiterte Zugriff als Erfolg zu werten.

Chemnitz: Polizei-Einsatz wegen Spengstoffanschlag
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Fall Dschaber al Bakr: Großeinsatz in Chemnitz

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Foto: AFP/ LKA Sachsen

Wieder ist die abstrakte Warnung, Deutschland befinde sich im Fadenkreuz des islamistischen Terrors, auf erschreckende Weise konkret geworden. Der sich da im vergangenen Jahr die Anerkennung als syrischer Flüchtling holte, ging in Chemnitz daran, eine Bombe zu bauen, die nach ersten, noch vagen Hinweisen, ein Blutbad auf einem deutschen Flughafen hätte anrichten können. In der Vergangenheit waren die Sicherheitsbehörden wiederholt zur Stelle, als potenzielle Täter noch in der Phase der Absicht zum Anschlag steckten. Dieses Mal war der Sprengstoff bereits gemischt, wäre die Wirkung verheerend gewesen. So lange der untergetauchte Hauptverdächtige nicht gefasst ist, bleibt die pure Hoffnung, dass er nicht noch mehr im Rucksack hat.

Die Umstände deuten darauf hin, dass es sich hier nicht um eine gelegte Spur der Terrormiliz Islamischer Staat handelte, um Flüchtlinge gezielt in Misskredit zu bringen, indem man IS-Kontaktleute durch die Registrierung der Balkan-Route schickt. Der 22jährige Syrer hatte versucht, unerkannt ins Land zu gelangen. Damit kommt er dem Profil von Profis nahe, die Terrororganisationen als Mitglieder von Killer-Kommandos ("Hit Teams") nach Europa schicken, um möglichst viele Menschen zu töten und dabei Angst und Schrecken zu verbreiten.

Umso dringlicher muss nun nachgearbeitet werden, warum der Verdächtige den zahlreichen vor dem Haus bereits in Stellung gegangenen Spezialkräften der Polizei noch entwischen konnte. Und es muss geklärt werden, warum der Einsatz so überhastet vorbereitet werden musste, obwohl die Observation offenbar bereits mehrere Wochen lief und die interne Einschätzung der Sicherheitsbehörden die bislang höchste Stufe erreicht hatte.

Zugriff ist trotz allem ein Erfolg

Gleichwohl ist der Zugriff vor dem Anschlag ein weiterer Erfolg der deutschen Sicherheitsbehörden, die hier offenbar einmal mehr wichtige Hinweise von Diensten befreundeter Staaten bekommen haben. Nichts wäre für das Sicherheitsgefühl der Deutschen verheerender als eine Paarung aus Warnungen vor abstrakten Gefahren und einer Serie schlimmer Anschläge, die die Polizei dann stets ahnungslos erwischten und hinterher in hektische Aufklärungsarbeit stürzten. Da ist es doch sehr viel beruhigender, einen Sicherheitsapparat zu erleben, der wiederholt vor den Taten die potenziellen Täter aufdeckt.

Natürlich steht Dschaber al-Bakr nicht für "den" syrischen Flüchtling. Aber seine Enttarnung macht deutlich, dass auch die behördlichen Registrierungen und Überprüfungen von Bürgerkriegsflüchtlingen anhand dieses Einzelfalles einer genauen Untersuchung bedürfen. War er seinerzeit im Anerkennungsverfahren unverdächtig und blieben seine Angaben über jeden Zweifel plausibel? Warum wurden die Deutschen erst durch Hinweise aus dem Ausland auf ihn aufmerksam? Lässt sich aus dem Fall al-Bakr lernen, wie Behörden den Umgang mit Flüchtlingen so verfeinern können, dass Terrorfahnder eher ein Auge auf Verdächtige werfen können? Auch diese Fragen sind zu stellen und nach der hoffentlich schnellen Festnahme des Verdächtigen gründlich zu beantworten.

(may)
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