Schlechte Umfragewerte Warum die AfD in der Abwärtsspirale steckt

Berlin · In Umfragen hat sich die AfD innerhalb kurzer Zeit auf sieben Prozent halbiert. Die Chancen, in den Bundestag einzuziehen, sinken; der Wahlkampf wirkt verzweifelt. Hat sich die Partei verändert, ihre Wähler oder die Umstände?

 Bislang ideenlos: Bundestagswahl-Spitzenkandidaten Heidel und Gauland.

Bislang ideenlos: Bundestagswahl-Spitzenkandidaten Heidel und Gauland.

Foto: dpa, bvj htf frk soe

Es hätte ihre Chance sein können, sein müssen. Schließlich ist die ablehnende Haltung der AfD zur Ehe für alle ein Alleinstellungsmerkmal, vielleicht ihr einzig verbliebenes. Die AfD, die sich als letzter Kämpfer für die Konservativen sieht, hält die Öffnung der Ehe für einen "schweren gesellschaftlichen Fehler". Um ihren Standpunkt noch einmal zu verdeutlichen, twitterte die Berliner AfD: "Das ist eine Familie", zusammen mit dem Foto einer fünfköpfigen, exakt gleich gekleideten Familie mit Zahnpastalächeln. Aber nicht nur die zwei Frauen darauf wirken gleich alt, sodass sämtliche Lesben-, Leihmutter- und Polygamiewitze über die AfD hereinbrachen - es stellte sich auch heraus: Eine Scheidungsanwältin nutzt dasselbe Werbefoto.

Dass es sich am Ende tatsächlich um eine "traditionelle" Familie aus den USA handelte, die ihr Foto frei ins Internet gestellt hatte, interessierte kaum noch. Der Spott überwog. Und auch die Klage beim Verfassungsgericht gegen die Ehe für alle, die Spitzenkandidat Alexander Gauland ankündigte, war eine Meldung von wenig Wucht, denn kurz darauf folgte diese: Die AfD ist überhaupt nicht antragsberechtigt, ohne Teil einer Landesregierung oder im Bundestag zu sein. Ob es je so weit kommt, ist gerade fraglich. Lag die AfD Ende des Jahres in Umfragen noch bei 14 Prozent, hat sie sich inerhalb weniger Monate mittlerweile auf sieben Prozent halbiert.

Was ist heute anders?

Was ist los mit der Partei, die - wie keine zuvor - aus dem Stand und teils mit saftigen zweistelligen Ergebnissen in 13 von 16 Landtage schoss? Hat sie sich verändert? Oder haben sich die Wähler verändert? Die Allgemeinsituation? Es ist eine Mischung aus allem.

Bis zum Sommer 2015 hatten die AfD nur wenige, tedenziell euro-kritische Wähler auf dem Schirm. Dann passierten zwei Dinge: Frauke Petry drängte Bernd Lucke aus der Partei, um sich an die Spitze zu setzen. Und, noch wichtiger: die Flüchtlingskrise. Beides wird der AfD jetzt zum Verhängnis. Wieder könnte sie bei einer Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Die Balkanroute ist seit einem Jahr geschlossen, weniger Flüchtlinge kommen nach Mitteleuropa. Gerade sind es die Grenzen Italiens und Österreichs, die sie erreichen. Gerade ist Deutschland nicht im Fokus der Flüchtlingsproblematik. "Der AfD als zukunftsängstliche Empörungsbewegung fehlt das Mobilisierungs-Momentum", sagt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. "Die Flüchtlingspolitik ist aus der Wahrnehmung der Wähler weitgehend verschwunden."

Thema Innere Sicherheit

Hinzu kommt, dass andere Parteien im Wahlkampf das AfD-Thema Nummer eins, innere Sicherheit, im wahrsten Sinne besetzen. Mehr Polizei, mehr Überwachung, null Toleranz gegen Kriminelle - das fordern nicht nur CDU, SPD und mittlerweile sogar Linke und Grüne im Bund. In der NRW-Landesregierung ist Schwarz-Gelb schon dabei, genau das umzusetzen. "Es ist kein Geheimnis, dass viele unserer Wähler tendenziell zur FDP und CDU abgewandert sind", sagte Petry kürzlich bei einem Fraktionstreffen in Mainz.

Gegenwind für Parolen

Verkrampft, teilweise verzweifelt versucht die AfD, das Flüchtlingsthema hochzuhalten. Sprüche zur "Massenmigration" wie "Hol dir dein Land zurück" und "Trau dich, Deutschland" verbreitet sie in den sozialen Medien weiterhin - bekommt aber immer häufiger auch Gegenwind. Als Spitzenkandidatin Alice Weidel bei Facebook schrieb: "Ehe für alle, während das Land islamisiert wird?", schlug ein Leser vor: "Jedes AfD-Mitglied heiratet einen gleichgeschlechtlichen Partner, dann zieht der Islamismus vor Schock aus." Dass Weidel (38), die in einer lesbischen Beziehung lebt, überhaupt neben Alexander Gauland (76) zur Spitzenkandidatin gewählt worden ist, macht die AfD für viele unglaubwürdig.

Ermittlungen gegen Petry

Auch Bundeschefin Frauke Petry hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Einerseits intern - weil sie vielen als Machtfigur erscheint, die sich mit ihrem "realpolitischem Kurs" alleine gegen den Rechtsaußen-Flügel durchsetzen wollte. Andererseits auch nach außen - wegen mutmaßlichen Meineids. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat jüngst die Aufhebung ihrer Immunität beantragt, weil sie in Sachen Landtagswahlfinanzierung 2015 unter Eid falsche Angaben vor dem Wahlprüfungsausschuss gemacht haben soll.

Nach der Sitzungspause, am 17. August, will sich der Ausschuss des sächsischen Landtags damit befassen. Ein Ermittlungsverfahren gegen die Bundes- und Landeschefin könnte in die heiße Wahlkampfphase grätschen - und wichtige Wählerstimmen kosten. Ihr eigener Wahlkreis ist so besorgt, dass er offenbar auch Petrys Direktkandidatur verhindern will. Auf einem Kreisparteitag diesen Sonntag sollen entsprechende Anträge gestellt werden, heißt es aus Parteikreisen.

Ideenlos Parteispitze

Eine Spitzenkandidatur hatte Petry, die gerade ihr fünftes Kind bekommen hat, selbst abgelehnt. Seither wirkt die Partei kopflos, das Duo Weidel-Gauland ideenlos. Nachdem die Whatsapp-Chats der AfD Sachsen-Anhalt öffentlich geworden waren, in denen Landeschef André Poggenburg die NPD-Parole "Deutschland den Deutschen" hochhielt, bemühte sich die AfD-Spitze umgehend um eine öffentlichkeitswirksame Rüge. Außerdem veröffentlichte das Spitzenduo eine dreiminütige Videobotschaft auf Facebook, die sie auch an alle Mitglieder schickte. Gauland - Sakko, Dackelkrawatte, weitgehend regungslos - erklärt darin: "Die Wähler der AfD wollen keine dumpfen Parolen, sie wollen keine Skandale." Und Weidel versprach: Vertrauen, Vernunft und Konstruktivität. Die AfD wolle hart bleiben in der Sache, aber vernünftig im Ton. Die Bundestagswahl, erhebt Weidel ihre Stimme, werde "die größte Chance in der Geschichte der AfD". Sollte sie die verpassen, wird das der Anfang vom Ende sein.

(jra)
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