Türken wütend über Armenien-Resolution "War Hitler etwa Türke?"

Berlin/Istanbul · Einige türkische Politiker reagieren wütend auf die Armenier-Resolution des Bundestags. Premierminister Yildirim aber versucht, die Wogen zu glätten. In Berlin befürchtet man Auswirkungen auf die militärische Zusammenarbeit.

Die türkische Zeitung "Sözcü" zeigte am Freitag Kanzlerin Angela Merkel in NS-Uniform. Über der deutschen Schlagzeile "Schämen Sie sich!" steht: "Die Enkel Hitlers beschuldigen die Türkei des Völkermords."

Die türkische Zeitung "Sözcü" zeigte am Freitag Kanzlerin Angela Merkel in NS-Uniform. Über der deutschen Schlagzeile "Schämen Sie sich!" steht: "Die Enkel Hitlers beschuldigen die Türkei des Völkermords."

Foto: dpa, cul

Zeitungen, die Angela Merkel mit Hitler-Schnäuzer und in Nazi-Uniform zeigen, deutschsprachige Schlagzeilen unfreundlichen Inhalts wie "Schämen Sie sich!", Demonstrationen vor deutschen Einrichtungen in Istanbul und Ankara: Nach der Armenier-Entscheidung des Bundestages kocht in der Türkei die Wut hoch. Schon vor der Bundestags-Resolution hatten mehr als 20 Länder die Massaker an den Armeniern von 1915 bis 1917 als Genozid eingestuft, doch selten war die Verärgerung in der Türkei so groß wie nach dem Ja des Bundestags zu der Entschließung. Das liegt nicht nur an der Erinnerung an das Bündnis zwischen Deutschen und Türken im Ersten Weltkrieg, sondern auch daran, dass sich viele nicht vorstellen konnten, dass ein Land mit drei Millionen türkischstämmigen Einwohnern und mit türkischstämmigen Politikern im Parlament eine solche Entscheidung fällen würde.

Die Bundestagsabgeordneten mit türkischen Wurzeln sollten sich bloß nicht mehr in der Türkei blicken lassen, schäumte Erdogans Rechtsberater Burhan Kuzu. Justizminister Bekir Bozudag sagte, es handele sich bei den türkischstämmigen Unterstützern der Bundestagsentschließung um komplexbeladene "Feinde der Türkei". Im Zentrum der Kritik stand Grünen-Chef Cem Özdemir als einer der Architekten der Resolution. Die regierungsnahe Zeitung "Takvim" beschimpfte Özdemir als "Brutus". Özdemirs Personenschutz ist unterdessen bereits erheblich verstärkt worden. Viel Lob gab es in der Türkei dagegen für die CDU-Abgeordnete Bettina Kudla, die im Bundestag als Einzige gegen den Antrag gestimmt hatte.

Viele Türken vermuten dunkle Motive hinter der Berliner Resolution. So warf die regierungstreue Zeitung "Star" den Deutschen vor, die Armenierfrage als Druckmittel gegen die Türkei verwenden zu wollen. Aus Sicht der Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist auch die Forderung der Europäer nach einer Liberalisierung der türkischen Terrorgesetze in diesem Zusammenhang zu sehen: Merkel wolle die als Terrorgruppe eingestufte kurdische PKK retten, indem sie die Türkei zwinge, die Gesetze zu lockern, mutmaßte "Star".

Überhaupt wurde viel über Merkels Überlegungen spekuliert. Zeitungskommentatoren betonten, die Kanzlerin habe innenpolitisch unter Druck gestanden, weil in der Debatte über das Flüchtlingsabkommen der Eindruck aufgekommen sei, sie kusche vor Erdogan. Deshalb wolle sie mit der Armenier-Resolution ein Zeichen setzen.

Dass ausgerechnet Deutschland als Nachfolger des Dritten Reiches andere Länder des Völkermordes beschuldigt, treibt Regierungspolitiker auf die Palme. Deutschland habe Millionen Menschen in die Öfen der KZs gesteckt, sagte Justizminister Bozdag: "Schau dir deine eigene Geschichte an." Samil Tayyar, Parlamentsabgeordneter der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan, kommentierte, in Berlin seien "Hitlers Enkel" am Werk. Deutschland solle sich um "seine eigene schmutzige Geschichte kümmern", sagte sein Parteifreund Burhan Kuzu und fragte: "War Hitler etwa Türke?"

Auch Regierungskritiker lehnten die Resolution ab, bemängelten aber gleichzeitig die Strategie der eigene Führung. Ankara sei erneut mit dem Versuch gescheitert, die Anerkennung des Völkermordes in einem wichtigen westlichen Land zu verhindern, hieß es in der Oppositionszeitung "Cumhuriyet". Der Politologe Sedat Laciner merkte an, die türkische Regierung habe dem Thema nicht genug Beachtung geschenkt und das Feld den Armeniern überlassen. Nun drohe die Anerkennung des Genozids auch durch Großbritannien und die USA.

Vereinzelt wurde sogar Respekt für die Deutschen laut. Der frühere Erdogan-Sprecher Akif Beki verwies in der "Hürriyet" auf die Tatsache, dass Berlin immerhin eine türkische Protestdemonstration am Brandenburger Tor erlaubt habe. Beki riet seinen Lesern, sie sollten sich einmal vorstellen, was geschehen würde, wenn Demonstranten mit deutschen Fahnen in der Hand vor dem türkischen Parlament in Ankara auftauchen sollten, um Druck auf die Abgeordneten zu machen.

Angesichts der Welle von Ärger und Kritik bemühte sich Ministerpräsident Binali Yildirim, das Thema zu entschärfen. Natürlich werde die Türkei die Bundestagsentscheidung nicht widerspruchslos hinnehmen, sagte er. Deutschland und die Türkei blieben aber enge Verbündete. "Niemand sollte erwarten, dass unsere Beziehungen von jetzt auf gleich völlig zusammenbrechen", sagte er. Ungeachtet der Umstände werde die Türkei in ihrem Verhältnis zu ihren wichtigen Freunden und Verbündeten Kurs halten.

Was Ankara nach der Rückbeorderung seines Botschafters aus Berlin an weiteren Protestmaßnahmen gegen Berlin plant, blieb offen. Es gab Spekulationen über eine Beendigung der deutschen Militärpräsenz auf der südtürkischen Luftwaffenbasis Incirlik, von der aus eine US-geführte Allianz die Stellungen des Islamischen Staates in Syrien angreift. Außerdem gibt es Sorgen, der von Merkel vorangetriebene und von Deutschland geführte Einsatz von Nato-Schiffen gegen Schlepper in der Ägäis könnte von den Türken beendet werden.

(RP)
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