Thomas Oppermann "Kürzung bei der Polizei war schwerer Fehler"

Berlin · Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann spricht im Interview mit unserer Redaktion über den Koalitionsstreit zur Asylpolitik, die jüngsten Beschlüsse und die Schreibarbeit von Beamten.

 Thomas Oppermann (61) wandert gerne. Im vergangenen Sommer erstieg er den Brocken im Harz und brachte ein signiertes Bild von SPD-Chef Sigmar Gabriel zum Gipfel - bis dahin hing dort nur ein Porträt der Kanzlerin.

Thomas Oppermann (61) wandert gerne. Im vergangenen Sommer erstieg er den Brocken im Harz und brachte ein signiertes Bild von SPD-Chef Sigmar Gabriel zum Gipfel - bis dahin hing dort nur ein Porträt der Kanzlerin.

Foto: dpa

Thomas Oppermann sorgt als SPD-Fraktionschef für die nötigen Mehrheiten bei wichtigen Entscheidungen im Bundestag. Er ist ein mächtiger Strippenzieher seiner Partei. Selten stand er so unter Druck wie in der Flüchtlingskrise.

Herr Oppermann, beschreiben Sie uns doch bitte mal die Stimmung in der großen Koalition.

Oppermann Die Koalition hat ein klärendes Gewitter hinter sich. Anfang dieser Woche war die Stimmung ausgesprochen schlecht, weil die Klageandrohung aus Bayern von fast allen als Angriff auf die Koalition gesehen wurde. In Deutschland herrschte der Eindruck, dass bei der großen Koalition öffentliches Streiten im Vordergrund steht. Das ist jetzt vorbei.

Aber noch am Donnerstag hat die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt Ihrer Partei vorgeworfen, das Koalitionsklima zu vergiften.

Oppermann Gerda Hasselfeldt ist in einer schwierigen Position, sie muss oft zwischen den Schwesterparteien vermitteln. Ich arbeite mit ihr seit langem sehr gut zusammen. Deswegen schaue ich jetzt auch nach vorn.

Sie hatten Seehofers Klageandrohung mit "Koalitionsbruch" kommentiert. Ein großes Wort.

Oppermann Sich innerhalb einer Koalition gegenseitig vor dem Bundesverfassungsgericht zu verklagen, gehört sich nicht. Das darf man auch ruhig deutlich aussprechen. Die Regierung würde mit einer solchen Klage schweren Schaden nehmen. Ich gehe aber jetzt nicht mehr davon aus, dass die CSU diese Klage wirklich einreicht.

Bei der Klage der SPD gegen das Betreuungsgeld lief es doch ähnlich.

Oppermann Das ist schlicht falsch. Das SPD-regierte Hamburg hat Anfang 2013 Klage gegen die schwarz-gelbe Bundesregierung erhoben. Die SPD war damals in der Opposition und Kristina Schröder Familienministerin. Das hatte mit der SPD nichts zu tun.

Wird die SPD-Fraktion nun geschlossen hinter den Beschlüssen der Bundesregierung von Donnerstagabend stehen?

Oppermann Natürlich. Das sind insgesamt gute Beschlüsse und wir wollen jetzt weiterkommen.

Warum hat es in letzter Minute doch keine Einigung mit den Ländern zum Wohnungsbau gegeben?

Oppermann Ich bin sehr froh, dass Bund und Länder sich im Grundsatz einig sind, dass es eine steuerliche Wohnraumförderung geben soll. Das war nicht immer so. Die Details der Förderung werden wir im Gesetzgebungsverfahren klären. Das muss das Bundesfinanzministerium jetzt schnell in die Wege leiten.

Sind die Ministerpräsidenten einen Schritt zu weit gegangen mit ihren Forderungen nach weiteren Milliarden vom Bund für die Lösung der Flüchtlingskrise?

Oppermann Nein. Die Integrationsaufgabe können nur Bund und Länder gemeinsam lösen. Malu Dreyer hat dafür einen klugen Integrationsplan vorgelegt und ich hoffe, dass Bund und Länder sich schnell auf ein Integrationsförderungsgesetz verständigen. Insgesamt rechne ich mit Kosten von rund 5 Milliarden Euro pro Jahr. Für neue Kitas, Lehrer und für den Wohnungsbau. Das kommt dann übrigens nicht nur den Flüchtlingen, sondern allen zu Gute!

Warum ist die SPD beim Familiennachzug nun doch eingeknickt?

Oppermann Wir hätten uns gewünscht, noch mehr für die Familien zu tun. Das war mit der Union leider nicht möglich. Aber wir wollten an diesem Punkt die Gesamteinigung nicht scheitern lassen. Der Streit musste beendet werden, damit wir uns jetzt voll auf Integration und Reduzierung des Flüchtlingszuzugs konzentrieren können.

Hat sich der Streit um den Familiennachzug gelohnt? Immerhin hat er der Regierung das Image des Staatsversagens gebracht.

Oppermann Der Streit war überflüssig und ist nur dadurch entstanden, dass es innerhalb der Union Unstimmigkeiten gab.

Die Union sagt das Gegenteil und verweist auf die SPD als Störenfried.

Oppermann Sie wissen doch, wie es war! Das Durcheinander entstand durch widersprüchliche Aussagen von Innenminister de Maizière und Kanzleramtsminister Altmaier. Das hat die CSU für ihre Interpretation genutzt. Aber wir müssen den Streit von gestern nicht fortsetzen.

Trotzdem: Haben sich Streit und Imageverlust für alle gelohnt?

Oppermann Wir müssen uns auch in Zukunft Gedanken über den Familiennachzug machen. Daran ändert die Entscheidung von Donnerstagabend nichts. Alleinreisende junge Männer sind schwerer zu integrieren als Familien. So einfach ist das.

Und was ist Ihre persönliche Lehre aus den vergangenen Monaten Dauerstreit?

Oppermann Erstens, ein solches Hin und Her in der Öffentlichkeit ist eine Katastrophe und hilft nur den Gegnern der Demokratie. Zweitens müssen Verhandlungsergebnisse eindeutig formuliert sein und nicht interpretierbar. Diese wochenlangen Diskussionen hätten wir uns damit sparen können.

Wie groß ist der Druck auf SPD-Abgeordnete vor Ort, die Flüchtlingszahlen endlich zu reduzieren?

Oppermann Wie in CDU und CSU hören unsere Parlamentarier in ihren Wahlkreisen die Sorgen der Menschen. Übrigens auch von den Bürgern, die sich für Flüchtlinge engagieren. Keiner glaubt, dass wir noch einmal eine Million Migranten in einem Jahr aufnehmen und integrieren können.

Wie viele können wir aufnehmen?

Oppermann Es macht keinen Sinn, über Zahlen zu spekulieren. Mit Sicherheit können wir mehr aufnehmen, als die 200.000 Flüchtlinge, die Horst Seehofer als seine persönliche Obergrenze definiert hat. Aber wir müssen erreichen, dass 2016 deutlich weniger als eine Million kommen.

Sind Sie wirklich überzeugt, die Krise ohne schärfere Maßnahme an den deutschen Grenzen lösen zu können?

Oppermann Wir können die deutschen Grenzen nur offenhalten, wenn die EU-Außengrenzen etwa zur Türkei endlich wirksam gesichert werden. Wichtig ist, kriminelle Schleuserorganisationen auszuschalten und die Kontrolle über die Zuwanderung zurückzugewinnen. Die EU-Außengrenzen dürfen nicht weiterhin ungehindert passierbar sein. Darauf müssen wir jetzt zusammen mit der Türkei alle Kraft verwenden und der EU-Gipfel im Februar muss endlich die drei Milliarden Euro an die Türkei genehmigen.

Wie sehen Sie Deutschland bei der Sicherheit aufgestellt? Reichen die nun geplanten 3000 neuen Stellen für die Bundespolizei?

Oppermann Während der schwarz-gelben Regierungszeit sind bei der Bundespolizei 1200 Stellen gestrichen worden — ein schwerer Fehler. Deswegen hat die SPD bereits 3000 neue Polizeistellen durchgesetzt. Wir fordern aber, insgesamt 12.000 neue Stellen zu schaffen. Außerdem ist die Sachausstattung insbesondere im IT-Bereich völlig unzureichend.

Aber die Frage bleibt unbeantwortet, wie Sie schnell für Entlastung der Polizei sorgen?

Oppermann Wir müssen Vollzugsbeamte von ihrer Schreibtischarbeit entlasten, damit sie wieder sichtbar im öffentlichen Raum sein können. Deswegen müssen die Verwaltungstätigkeiten bei der Bundespolizei durch qualifizierte Verwaltungskräfte wahrgenommen werden. Daran zu sparen — wie das leider derzeit der Fall ist — ist absoluter Unfug. Entscheidend ist jetzt, die Bundespolizei in die Lage zu versetzen, schnell Anwärterinnen und Anwärter für den Polizeidienst einzustellen und ohne Zeitverzug auszubilden. Das geht — selbst bei verkürzter Ausbildung — in der Tat nicht über Nacht. Hier rächen sich die kurzsichtigen Einsparungen bei der inneren Sicherheit aus der Vergangenheit.

(RP)
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