Flüchtlinge Minister einigen sich auf Asylpaket II

Berlin · Nach einwöchigen Verhandlungen haben Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) den Streit der Koalition zum Asylpaket II beigelegt. In der Frage, ob im Paket vorgesehene Einschränkungen beim Familiennachzug auch für minderjährige Flüchtlinge gelten sollen, einigten sich beide Seiten auf eine Härtefallregelung.

Asyl beantragen: Wie läuft ein Asylverfahren ab?
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So läuft das Asylverfahren ab

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Foto: Endermann, Andreas

Sie sieht vor, dass künftig das Auswärtige Amt im Fall von "dringenden humanitären Gründen" auch minderjährigen Flüchtlingen mit nur "subsidiärem Schutz" erlauben kann, ihre Eltern nach Deutschland zu holen. Das betrifft Menschen, die zwar keine anerkannten Flüchtlinge oder Asylberechtigte sind, aber aus humanitären Gründen auch nicht abgeschoben werden. Demnach können humanitäre Härtefälle etwa schwere Erkrankungen, erlittene Misshandlungen des Minderjährigen oder auch der Tod naher Angehöriger sein.

Lediglich eine Interpretationsempfehlung

Damit schufen de Maizière und Maas lediglich eine Interpretationsempfehlung für das bereits vom Kabinett beschlossene Asylpaket II. Am Ende ging es bei der Kompromissfindung vor allem der SPD darum, das eigene Gesicht wahren zu können. Denn es war das SPD-geführte Familienministerium, das nach eigenen Angaben bei der Ressortabstimmung des Gesetzespaketes die vorgesehene Einschränkung des Familiennachzugs für Minderjährige falsch eingeschätzt hatte — im Gesetzestext waren für sie keinerlei Ausnahmen vorgesehen. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte vor einer Woche verkündet, das sei mit ihm nicht abgesprochen gewesen. Sogleich war ein neuer Koalitionsstreit um das Gesetz entbrannt.

Tatsächlich geht es jedoch um wenige Fälle. Während 137.136 Personen 2015 als Flüchtlinge anerkannt wurden, erhielten lediglich 1707 Personen den subsidiären Schutz (0,6 Prozent aller entschiedenen Anträge). Unter diesen wiederum befanden sich im Jahr 2014 lediglich 214 Kinder; 2015 waren es 105, wobei viele Anträge aber noch nicht bearbeitet sind. Von diesen beantragt wiederum nur ein kleiner Teil den Nachzug der Eltern.

"Eine vernünftige Lösung"

Brisant war der Streit aber auch deswegen, weil es bereits zuvor ein monatelanges Gerangel um den Familiennachzug gegeben hatte. Wie bindend das Interpretationspapier nun sein wird, ist umstritten. Klar ist aber, dass das Asylpaket nicht noch einmal aufgeschnürt werden soll. "Wir haben eine vernünftige Lösung gefunden— ohne die Beschlüsse der Koalition zu ändern", sagte Maas. Nun müssen noch die Fraktionen im Bundestag zustimmen, die Länder im Bundesrat bleiben außen vor. Auch Unionsfraktionschef Volker Kauder begrüßte die Beilegung der Differenzen über das Asylpaket II, mahnte nun aber eine schnelle Verabschiedung an. "Jetzt ist rasches Handeln des Gesetzgebers gefragt", sagte Kauder unserer Redaktion. Der Gesetzentwurf bleibe unverändert und könne zügig in der kommenden Woche im Bundestag erstmals beraten werden. "Die Unionsfraktion will eine endgültige Verabschiedung des Gesetzespakets noch im Februar erreichen", erklärte der CDU-Politiker. Das gelte auch für die Festlegung von Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer. Mit dem Asylpaket II würden auf nationaler Ebene weitere Voraussetzungen geschaffen, die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen. "Auch nach der Einigung der Minister wird der Familiennachzug für eine große Gruppe von Flüchtlingen für die nächste Zukunft nicht erlaubt, wie dies auch von den drei Parteivorsitzenden vereinbart worden war", unterstrich Kauder. Das sei für die Union ein wichtiger Punkt.

"Noch enger zusammenarbeiten"

Außerdem betonte Kauder, dass die nachhaltige Begrenzung der Zahl der Flüchtlinge weiter nur durch einen Dreiklang aus nationalen, europäischen und internationalen Maßnahmen erreicht werden könne. "In Deutschland müssen Bund und Länder bei den nationalen Ansätzen noch enger zusammenarbeiten", sagte er. Dabei sei nach wie vor die Zahl der Abschiebungen zu niedrig, für die die Länder zuständig sind. "Insbesondere die von SPD und Grünen geführten Bundesländer müssen ihre Anstrengungen nach den jüngsten Statistiken erheblich verstärken, Ausländer ohne Bleiberecht mit aller Konsequenz abzuschieben", sagte der CDU-Politiker als Reaktion auf eine entsprechende Berichterstattung unserer Redaktion. Zur Begrenzung der Zahl der Flüchtlinge gehöre zwingend, dass diejenigen, denen ein Recht auf einen Aufenthalt rechtskräftig versagt wurde, das Land auch verlassen müssten. "Gesetze müssen gerade im Asyl- und Ausländerrecht auch umgesetzt werden. Dies erwarten die Bürger zu allererst", sagte Kauder.

Scharfe Kritik am Koalitionskompromiss zum Familiennachzug kam unterdessen vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig. "Die nun vereinbarte Regelung bedeutet zusätzliche Bürokratisierung und eine zusätzliche Belastung für die minderjährigen Flüchtlinge, die mit den Behördengängen ohnehin häufig überlastet sind", sagte Rörig unserer Redaktion. Die Einigung werde dem Schutz des Kindeswohls nicht gerecht, sagte Rörig. Sie bleibe weit hinter dem zurück, was Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) und ihr Staatssekretär einst im Asylpaket II haben wollten. "Das Kindeswohl darf nicht unter der aktuellen Abschreckungsmission der Bundesregierung leiden", mahnte Rörig.

Er hatte gestern ein neues Bündnis zur Verhinderung sexueller Übergriffe auf Kinder vorgestellt. Gemeinsam mit dem Chef des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, wolle man künftig in der muslimischen Gemeinschaft besser über die Gefahren von sexuellem Kindesmissbrauch aufklären. Dazu sei ein Flyer auf Deutsch, Türkisch und Arabisch entwickelt worden, um muslimische Erwachsene für das Thema zu sensibilisieren und über Hilfsangebote zu informieren. Bei der Präsentation des Programms, das zeitnah auch auf weitere muslimische Verbände ausgeweitet werden soll, betonten Rörig und Mazyek jedoch auch die Bedeutung von Schutzbereichen in Flüchtlingsunterkünften für Frauen und Kinder.

"Flüchtlingskinder brauchen dringend unseren Schutz, auch vor sexualisierter Gewalt", sagte Rörig. Die im Asylpaket II vorgesehene Regelung, dass bestimmte Mitarbeiter und Helfer in Asylunterkünften künftig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen sollen, reiche bei weitem nicht aus. Dies schütze nur vor verurteilten Straftätern, nicht aber vor Ersttätern. Rörig verlangte unter anderem, klare Standards für Asylunterkünfte festzuschreiben: Das Personal müsse speziell geschult sein, und Kinder und Familien müssten separat untergebracht werden, auch mit eigenen Waschräumen. Er bedauere sehr, dass solche Vorgaben aus dem Gesetzentwurf wieder verschwunden seien.

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