Analyse Studenten ist die Politik egal

Berlin · Die heutige Generation der Studierenden hat keine Lust mehr, sich politisch zu engagieren. Das zeigt eine neue Studie. Die Welt verbessern will sie trotzdem - ohne dabei auf Geld und Karriere verzichten zu müssen.

 Eine Vorlesung an der Uni Heidelberg.

Eine Vorlesung an der Uni Heidelberg.

Foto: dpa, ua soe

Die Wirtschaft lahmt, die Welt wird erschüttert von einem Krieg, und die deutsche Politik dominiert eine große Koalition, in deren Fahrwasser die Opposition in der Bedeutungslosigkeit zu versinken droht. 1968 ging die junge intellektuelle Elite gegen diese vorherrschenden Verhältnisse und den Vietnamkrieg auf die Straße. Heute ist die Lage ähnlich, doch die junge, geistige Elite hat es sich in ihrer Studentenbude auf dem Sofa gemütlich gemacht und startet maximal einen Shitstorm im Internet. Das zumindest ist der Befund einer Studie, die Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) am Dienstag vorstellte.

Demnach werden die Studierenden in Deutschland einerseits immer zufriedener mit den Bedingungen an den Hochschulen, interessieren sich aber andererseits weniger für Politik. Im 25. Jahr nach dem Mauerfall scheint die Studenten in Deutschland eine politische Lethargie befallen zu haben, wie es sie bislang in der Geschichte der Bundesrepublik nicht gegeben hat. Zum zwölften Mal seit 1982 befragten Forscher der Universität Konstanz bereits im Auftrag des Bildungsministeriums Studenten, aber so desinteressiert an der Politik zeigte sich die Jugend bislang noch nie.

Nur ein Drittel hat starkes Interesse an Politik

So sagt inzwischen nur noch rund ein Drittel der Studierenden, dass es starkes Interesse an Politik hat, 2001 waren es noch 45 Prozent. Schlimmer noch: 29 Prozent der Befragten halten Politik inzwischen sogar für "völlig unwichtig". Bildungsministerin Johanna Wanka schockieren diese Zahlen, immerhin würden an den Unis und Fachhochschulen im Land die künftigen Führungskräfte für Verwaltungen und Unternehmen ausgebildet: "Gerade zum 25. Jahrestag des Mauerfalls möchte ich eindringlich an die junge Generation appellieren, die politische Freiheit in unserem Land zu nutzen."

Analyse: Studenten ist die Politik egal
Foto: C. Schnettler

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Studie Studenten politisches Desinteresse nachweist. Bereits 2013 zeigte eine Umfrage der Meinungsforscher von TNS Infratest, dass sich mehr als die Hälfte der befragten Studierenden wenig bis gar nicht für Politik interessiert. Die Umfrage hatte das Bundespresseamt in Auftrag gegeben, aber erst veröffentlicht, nachdem der Grünen-Politiker Malte Spitz dies einforderte.

Wert bei Studenten wie bei Gesamt-Bevölkerung

Die Zahl der politisch kaum interessierten Studenten entspricht laut der Umfrage ungefähr dem Wert, der auch für die gesamte Bevölkerung gemessen wird. Das bedeutet jedoch, dass ein hoher Bildungsstand - und von dem kann man bei Studierenden fraglos ausgehen - nicht automatisch für mehr politische Partizipation sorgt.

Im Gegenteil: Langwierige Parteitagssitzungen, das Kleben von Wahlplakaten oder Diskussionen im Studierendenparlament passen anscheinend nicht mehr ins Weltbild der auf Effizienz getrimmten Generation von Bachelor- und Master-Studenten. Für eine politische Haltung gibt es eben keine Credit Points, Leistungspunkte, die es inzwischen für jede Vorlesung und jedes Seminar gibt. Zwar gehen 83 Prozent der Studenten wählen, in einer Partei oder Jugendorganisation sind aber nur fünf Prozent, drei Prozent arbeiten in politischen Studentengruppen mit - genauso viele sind Mitglied in einer Studentenverbindung.

Unis keine linken Hochburgen mehr

Ähnlich lassen sich auch die Zahlen der Studie deuten, die von der Bildungsministerin präsentiert wurde. Die Zeiten, in denen die Universitäten linke Hochburgen waren, sind demnach vorbei. Heute sind nur noch ein Fünftel der Studenten "extrem oder stark" links, 1993 waren es noch 33 Prozent. Heute sind Hochschüler zwar noch ein bisschen links oder konservativ, aber im Großen und Ganzen in der Mitte der Gesellschaft zu finden. Und dort herrscht Konsens: Rund 90 Prozent sind gegen Gewalt, genauso viele für das Demonstrationsrecht - auch wenn fast keiner von ihnen mehr bei Demos mitmacht.

Warum auch, eigentlich sind die Studenten mit ihrem Leben ja zufrieden: Natürlich, der Praxisbezug im Studium könnte verbessert werden, und auch die Dozenten sollten besser erreichbar sein - aber sonst? Alles super. 73 Prozent der Befragten gaben an, gerne zu studieren. 67 Prozent sind mit Aufbau und Struktur des Studiums zufrieden. Die Bologna-Reformen, gegen die noch vor einigen Jahren Studenten auf die Straße gingen, werden längst akzeptiert und geschätzt. Das Studium ist für viele sehr attraktiv, verspricht es doch auch die Aussicht auf ein gutes Einkommen.

Denn auch das ist den Studenten heute viel wichtiger als früher. Inzwischen hoffen darauf 58 Prozent der Befragten, 16 Prozent mehr als noch im Jahre 2001. Die TNS Infratest-Studie zeigt ebenfalls eine sehr viel ehrgeizigere Studentengeneration: 86 Prozent wollen beruflich erfolgreich sein und vorwärts kommen, 73 Prozent wollen sich "schöne Dinge leisten können".

Profitorientierte Selbstoptimierer?

Sind die heutigen Studenten also profitorientierte Selbstoptimierer? Sind sie deswegen zufrieden mit der Situation an den Unis, weil sie längst aufgehört haben, an linke Weltverbesserungstheorien zu glauben und stattdessen pragmatisch das Leben in schlecht ausgestatteten Hörsälen an unterfinanzierten Universitäten meistern?

"Nein", sagt der Konstanzer Hochschulforscher Tino Bargel, einer der Studienleiter. Denn obwohl es den Studenten wichtig ist, gutes Geld und einen attraktiven Job zu bekommen, hoffen 43 Prozent der Studenten mit dem, was sie im Studium gelernt haben, später zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen zu können. Für diese Studentengeneration sei das nicht widersprüchlich, sagt Bargel, da sie Allgemeinwohl nicht mit politischem Engagement gleichsetzt. Politisches Desinteresse und Weltverbessern schließt sich für die heutige Generation nicht mehr aus. Eine Lösung, wie sich die Welt ohne politische Prozesse verbessern lässt, scheinen die jungen Eliten aber noch nicht gefunden zu haben. Das kann man optimistisch nennen - oder naiv. Für die Parteien ist beides bedenklich.

(frin)
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