Krach in der Koalition Spielt Gabriel Flüchtlinge gegen Einheimische aus?

Berlin · Zwei Wochen vor den Landtagswahlen kracht es in der Großen Koalition. Die SPD kündigt an, dem Etat 2017 nur zuzustimmen, wenn ein Integrationspaket für Flüchtlinge aufgelegt wird. Finanzminister Schäuble hält Geldforderungen Gabriels für "erbarmungswürdiges" Gerede.

Das ist Sigmar Gabriel
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Unter dem Druck der Flüchtlingskrise und der bevorstehenden Landtagswahlen wird der Ton in der großen Koalition giftig. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warf Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) am Samstag wegen dessen Forderung nach mehr finanzieller Unterstützung für einheimische Bedürftige - parallel zur Flüchtlingshilfe - "erbarmungswürdiges Gerede" vor. Die Bewältigung der außergewöhnlichen Flüchtlingsbewegung habe oberste Priorität.

Außerdem gebe es keine Sozialkürzungen. Führende SPD-Politiker erklärten, Schäuble wolle die "Schwarze Null" aufrechterhalten - einen Haushalt ohne neue Schulden. Das sei erbarmungswürdig.

Die SPD kündigte an, dem Etat 2017 nur zuzustimmen, wenn ein Integrationspaket für Flüchtlinge aufgelegt wird. "Sprachförderung, Schulen und Kitas bauen, Lehrer und Erzieher einstellen, Ausbildung und Qualifizierung fördern: Das alles müssen wir jetzt anpacken", sagte Gabriel der "Bild am Sonntag". Die CDU lasse sich monatelang für Weltoffenheit und Hilfsbereitschaft feiern, und stelle kein Geld für die Integration bereit. Vor einigen Tagen hatte Gabriel im ZDF zudem ein "neues Solidarprojekt" mit Kita-Plätzen für alle, mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau und einer Aufstockung kleiner Renten gefordert. Er wolle damit verhindern, dass sich Bürger angesichts der Milliardenausgaben für Flüchtlinge benachteiligt fühlten.

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sagte: "Herr Gabriel betreibt ein gefährliches Spiel, wenn er Flüchtlinge und sozial Schwache gegeneinander ausspielt." Die Koalition habe unter anderem die Mittel für den sozialen Wohnungsbau um jährlich 500 Millionen Euro angehoben - dies komme Flüchtlingen und sozial Schwachen gleichermaßen zugute, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Der FDP-Parteichef Christian Lindner sieht Union und SPD in der Verantwortung. "Insgesamt zeigt sich an dieser Diskussion, dass die große Koalition keinen Plan hat, auch nicht in finanzieller Hinsicht", sagte Lindner am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin".

Schäuble meldete sich vor einem Rückflug aus Shanghai zu Wort: "Wenn wir Flüchtlingen - Menschen, die in bitterer Not sind - nur noch helfen dürfen, wenn wir anderen, die nicht in so bitterer Not sind, das gleiche geben oder mehr, dann ist das erbarmungswürdig." Und: "Dieses Gerede, dass ich jetzt in allen Bereichen der Politik mehr Geld ausgeben muss als in der Finanzplanung vorgesehen ist, damit nicht wegen der Flüchtlinge der Rechtsradikalismus steigt - das ist nun wirklich erbarmungswürdig." Gabriel hatte der "Bild am Sonntag" auch gesagt: "Wenn der CDU (...) der Überschuss an Steuern im Haushalt wichtiger ist als der gesellschaftliche Zusammenhalt, dann macht sie sich mitschuldig an der Radikalisierung im Land."

Die rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner warf Gabriel "Zündeln" vor: "Das hätte die AfD nicht besser sagen können, wie Herr Gabriel das gesagt hat."

Unterdessen forderte CSU-Chef Horst Seehofer im "Spiegel" abermals von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Abkehr von ihrer Flüchtlingspolitik mit dem Verzicht auf eine Obergrenze. Er sprach sich wieder für nationale Maßnahmen unter anderem mit Kontrollen der nationalen Grenzen und Rückweisung von Flüchtlingen aus. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) teilte mit, München bereite die Landespolizei auf Sicherung der deutsch-österreichischen Grenze vor.

Dafür gibt es derzeit aber eigentlich keinen Grund, weil Merkel eine Obergrenze als rechtswidrig ablehnt. Die Bundespolizei kommt demnach nicht in die Lage, eine Grenzschließung abzusichern und im Fall der eigenen Überforderung die Hilfe der Landespolizei anzufordern.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte dem Magazin "Focus":
"Man darf jetzt nicht die Nerven verlieren." Deutschland dürfe "als Führungsnation in Europa" keine einsamen Entscheidungen fällen. "Ich bin sicher, dass immer mehr Länder erkennen, dass die europäische Antwort der beste Lösungsansatz ist." Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte der "Passauer Neuen Presse", sie traue Merkel zu, beim nächsten EU-Gipfel eine europäische Lösung zu erreichen.

Linksfraktionsvize Jan Korte erklärte, Gabriel solle sich um ein Zukunftsinvestitionsprogramm kümmern anstatt "versteckte Hetze zu betreiben und zu versuchen die sozial Schwächsten gegeneinander auszuspielen". Der Zustand der Koalition sei erbärmlich. Grünen- Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte der Funke Mediengruppe: "Die große Koalition versinkt im Chaos." Geflüchtete dürften nicht gegen sozial Schwache ausgespielt werden. Die Regierung sollte mit Merkels Kurs stützen und eine europäische Lösung anstreben.

(lukra/dpa)
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