Analyse SPD sucht ihren Platz zwischen CSU und Merkel

Berlin · Parteichef Gabriel kämpft beim Perspektivkongress in Mainz darum, eine klare Position zur Flüchtlingsfrage zu finden. Anders als die Unionsparteien mit ihrem offenen Streit über Rechts oder Links versucht es die SPD mit der Mitte - und läuft Gefahr, nicht verstanden zu werden.

 Parteichef Sigmar Gabriel, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (v.l.) auf dem Perspektivkongress der SPD in Mainz.

Parteichef Sigmar Gabriel, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (v.l.) auf dem Perspektivkongress der SPD in Mainz.

Foto: dpa

Der Parteivorsitzende sprach nicht, wie angekündigt, nur wenige Minuten zur Eröffnung des sogenannten SPD-Perspektivkongresses in Mainz. Rund eine Stunde nahm sich Sigmar Gabriel, um den fast 1000 anwesenden Genossen seinen Kurs zu erklären. Thema: die Flüchtlingskrise. Was denn sonst?

Eigentlich wollte sich die SPD am Sonntag ja nur am Rande mit der siedendheißen Debatte zwischen der bayerischen CSU und der Bundeskanzlerin über Änderungen der Flüchtlingspolitik beschäftigen. Laut Plan, der schon seit Monaten steht, wollte sich die Partei mal ausführlich Zeit nehmen, um über ihre inhaltliche Aufstellung für die kommenden Jahre zu sprechen: Was können wir den Menschen bei Alltagsfragen antworten, wenn es um die Vereinbarkeit von Kindern und Altenpflege mit dem Berufsleben geht, wenn sich Bürger angesichts vieler Einbrüche in der Nachbarschaft nicht mehr sicher fühlen, wenn die junge Generation Angst um ihre Jobperspektiven und ihre Rente hat. Obendrein sollte die geballte SPD-Prominenz mit ihrer Anwesenheit in Rheinland-Pfalz Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Wahlkampf helfen.

Doch Gabriel hat erkannt, dass die Positionierung der SPD in der Flüchtlingsdebatte derzeit viel entscheidender für den Kampf um Zustimmung und Wahrnehmung des Wählers ist. Die SPD hat ihre Stammwähler in einem Milieu, das sich trotz einer vermeintlich links-sozialen Grundhaltung sehr wohl Gedanken um die Umverteilung von Wohlstand in Deutschland macht. Fragen, ob beim Sozialstaat wegen der Flüchtlingskrise gespart wird, tangieren viele SPD-Wähler mehr als die aller anderen Parteien.

Und so war es für Gabriel nur konsequent, bei seiner Rede in Mainz nicht nur die Herzensanliegen der SPD anzusprechen. Zumal er und seine Sozialdemokraten es derzeit nicht leicht haben, sich bei der Asyldebatte in alle Richtungen von der Union abzugrenzen und dabei ein klares Profil zu finden.

Bei der direkten Konkurrenz ist das anders. Angela Merkels Kurs als Kanzlerin und CDU-Chefin ist den Menschen spätestens seit ihrem Talkshow-Auftritt sonnenklar: Es gibt keine Obergrenze für Asyl, wir schaffen das, Steuererhöhungen brauchen wir dazu nicht. Auf der anderen Seite zerrt Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer an den vielen offenen Enden der Berliner Regierungspolitik. Abschottung, die anderen sollen auch was machen, wir können nicht mehr, so die Seehofer'sche Rhetorik.

Gabriel markiert diese beiden Pole in seiner Mainzer Rede gleich zu Anfang: "Die Union pendelt zwischen dem ,Wir schaffen das' Angela Merkels und dem ,Grenzen zu' von Horst Seehofer", sagte Gabriel und betonte, beide Antworten seien "eigentlich Ausdruck von Hilflosigkeit". Die SPD dürfe sich auf diese Auseinandersetzung nicht einlassen, es seien "falsche Alternativen", sagte Gabriel. Vielmehr gehe es um die Bedingungen, unter denen man "es" schaffen könne.

Der Union wirft Gabriel vor, eben dazu zu schweigen. Und die SPD? Punktepapiere von Generalsekretärin Yasmin Fahimi, Berliner Hintergrundrunden mit Vorstandsmitgliedern, wirklich starke Reden des Parteivorsitzenden sollen den Kurs vorgeben: Kommunen finanziell entlasten, bezahlbare Wohnungen für alle schaffen, eine faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa erreichen und nebenbei die Fluchtursachen etwa in Syrien durch "Gesprächsdiplomatie" (Fahimi) bekämpfen. So weit, so vernünftig. Doch die drängenden Probleme in den überfüllten Erstaufnahmelagern in Nordrhein-Westfalen, Bayern und dem Rest der Republik werden so nicht schnell genug gelöst. Auch die SPD bleibt bisher Antworten schuldig, wie etwa der Zuzug von Flüchtlingen konkret abgebremst werden kann.

Und geht es dann mal ans Eingemachte, zerfällt Gabriels Laden schnell wieder in seine altbekannten Einzelteile. Während SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der selbst gerne Bundesinnenminister geworden wäre, dem Vorschlag des amtierenden Ministers Thomas de Maizière (CDU) zu Transitzonen durchaus etwas abgewinnen kann, halten die Linken in der Partei dagegen. Selbst aus dem Vorstand heißt es, solche Zonen für Asylschnellverfahren seien rechtlich bedenklich und schlicht realitätsfern.

Entscheidender ist da fast schon, was Gabriel offenbar zu seiner Leitthese in Mainz gemacht hat: In dieser Krise und darüber hinaus braucht es einen wohlgenährten, breit aufgestellten Staat. "Gerade ein Einwanderungsland braucht einen Staat, der handeln kann und der Achtung genießt", sagte Gabriel am Sonntag. Jetzt sei also nicht die Zeit für einen armen und desolaten Staat.

Das klingt wie eine Kampfansage an Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und seine schwarze Null, den ausgeglichenen Haushalt. Für die Union ist das eine der wichtigsten Errungenschaften in Merkels Kanzlerschaft - für Gabriel offenbar ein Angriffspunkt gegen CDU und CSU und eine mögliche Marschrichtung im Wahlkampf. So eingängig wie ein Ja oder Nein zu den aktuellen Fragen der Flüchtlingsdebatte ist es aber nicht.

(RP)
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