SPD-Parteitag in Berlin Schulz entschuldigt sich für schlechtes Wahlergebnis

Mit einer gegen sich selbst und seine Partei schonungslosen Rede eröffnet Martin Schulz den SPD-Parteitag. Am Ende der drei Tage soll ein Votum der Delegierten stehen, das Koalitionsgespräche mit der Union möglich macht.

Schon etwa eine Stunde hat Martin Schulz gesprochen, als er endlich auf den Punkt kommt, um den es bei diesem Parteitag geht: Der Elefant im Raum, die große Koalition. "Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen", ruft Schulz in den Saal des City Cubes auf dem Messegelände in Berlin. "Entscheidend ist, was wir durchsetzen können." Dann setzt er nach: "Unsere politischen Inhalte zuerst und keinen Automatismus in irgendeine Richtung. Für dieses Vorgehen gebe ich Euch meine Garantie." Noch defensiver kann man bei Parteitagsdelgierten nicht um ein Mandat für Gespräche zu einer Regierungsbildung betteln.

Schulz, der bei diesem Parteitag vor der komplizierten Aufgabe steht, den Schulz-Hype aus dem Frühling und das historische schlechteste Wahlergebnis der Sozialdemokraten in der Bundesrepublik im Herbst zusammenzubinden, hält eine schonungslose Rede. 75 Minuten braucht er. In den ersten Minuten klingt er gar, als wolle er hinschmeißen. "Das ist hart, das ist bitter", sagt er über das Wahlergebnis. Dann bittet er alle Menschen, die in ihn Hoffnung gesetzt haben und für ihn im Wahlkampf gearbeitet haben, um Entschuldigung "für meinen Anteil an unserer Niederlage". Eine ungewöhnliche Geste.

Schulz greift auch die Partei an

Auch die Partei bekommt ihr Fett weg. Der Parteichef kritisiert die Distanz zwischen Basis und Führung, verspricht, die Kluft zu schließen. Er sagt auch: "Öffentlich wurde bei uns mehr über Personalfragen als über Inhalte gestritten. Das darf uns so nie wieder passieren." Er mahnt, dass die mit Intrigen gespickte US-TV-Politserie "House of Cards" nicht zur Blaupause der Realtität werden dürfe. Schonungslos auch sein Hinweis, dass für den Zustand der SPD weder Frau Merkel noch die große Koaltion, und auch nicht der Neoliberalismus oder die Medien verantwortlich seien. Der Parteichef macht die SPD am Anfang des geplanten Erneuerungsprozesses für sich selbst verantwortlich.

Leidenschaftlich wird Schulz bei den Inhalten: Europa, Bildung, Umwelt, Arbeitsmarkt, Anti-Sexismus, Kampf gegen die AfD. Diese Passagen der Rede unterbrechen die 600 Delegierten immer wieder mit spontanem Applaus. Die große Koalition, die von den Jusos im Saal und an Ständen vor der Halle mit "NoGroko" bekämpft wird, erwähnt er nicht wörtlich. Nach der Schulz-Rede meldet sich auch Juso-Chef Kevin Kühnert zu Wort. "Diese Partei braucht keine Belehrungen über die Übernahme politischer Verantwortung", sagt er und warnt davor, dass sich die Sozialdemokraten nicht zum "Korrekturbetrieb" in der Politik verzwergen dürften.

Wenn Schulz aber die Vereinigten Staaten von Europa fordert, dann klingt das wie eine Bewerbungsrede um den Job des Außenministers in einer großen Koalition. Seine inhaltlichen Forderungen bindet er immer wieder ab mit Sätzen wie: "Das kann nur die SPD." "Dafür wird die SPD gebraucht."

Inhaltlich bemerkenswert klar ist Schulz bei der Positionierung zum Kohleausstieg. "Die Wahrheit ist: Wir wollen die Klimaziele erreichen und das geht nur mit einem Ende der Kohleverstromung", sagt er und bekommt starken Applaus für die Forderung, dass ökologische Grundrechrte den gleichen Stellenwert wie soziale und individuelle Grundrechte bekommen müssten.

Kurzer Applaus für den Chef

Am Ende applaudieren die Genossen 3.40 Minuten - für eine Chef-Rede beim SPD-Parteitag ist das wenig. Die Sozialdemokraten sind nervös und unentschlossen. Aus den Ortsverbänden und Bezirken kamen bis zum Abend vor dem Parteitag kontroverse Wünsche, was eine Regierungsbeteiligung betrifft. Das Bild vor Ort ist völlig heterogen. Auf dem Parteitag sieht das nicht anders aus. Zwei Berliner Genossen geraten sofort in eine hitzige Debatte, als sie auf eine Neuauflage der großen Koalition angesprochen werden. "Die SPD muss regieren wollen. In der Opposition kann man sich nicht erneuern", sagt Norbert Nagel. Ansonsten müsse die bayerische SPD ja sehr gut dastehen. Seine Sitznachbarin Ingeborg Susie Walch hält dagegen: "Ich bin gegen eine Groko, weil Merkel alles kaputt macht um sie herum", sagt sie. Die Berliner Genossin spricht sich für ein politisches Experiment aus. Man könne sich auf ein Modell einigen, bei der die SPD einige wichtige Punkte unterstütze, sagt sie.

(qua)
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