Jamaika-Sondierung in Berlin Skepsis, Drohungen, Hoffnung - so laufen Koalitionsrunden ab

Berlin · Verhandlungen über ein Regierungsbündnis pendeln sich immer zwischen Bewegung und Blockade, zwischen Antreibern und Quertreibern. Bei den Jamaika-Sondierungsgesprächen ist das besonders ausgeprägt.

 Die Sondierungsgespräche am 24. Oktober in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin.

Die Sondierungsgespräche am 24. Oktober in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin.

Foto: dpa, nie sab

Sie sind ein Härtetest: Koalitionsverhandlungen im Allgemeinen und die Sondierungen für das erste Jamaika-Bündnis im Bund im Besonderen. Die Wochen und Monate des harten Ringens um einen Grundlagenvertrag für vierjähriges gemeinsames Regieren verlaufen erfahrungsgemäß in dieser Reihenfolge: Skepsis, Vollgas, Lösungen, Frust, Drohungen, Stillstand, Hoffnung, Durchbruch. Die ersten Gespräche von CDU, CSU, FDP und Grünen, bewegen sich auch schon auf diesen üblichen Pfaden - ohne dass sich jetzt ablesen ließe, ob die so unterschiedlichen Parteien am Ende zueinander finden werden.

Frust und gespielte Empörung

Am Donnerstag waren sie aber bereits bei Punkt fünf angekommen: Drohungen. Dabei hatte es am Dienstag überraschend schnell nach Lösungen ausgesehen, als nachts eine gemeinsame Marschrichtung für eine Haushaltspolitik ohne Neuverschuldung verkündet wurde. Doch tags drauf wurde das von Teilen der Grünen wieder infrage gestellt, was bei den anderen Parteien zu Frust und gespielter Empörung führte.

Danach wechselte die Union in den Droh-Modus. Aufgerufen wurden am Donnerstag in der dritten Sondierungsrunde in den Räumen der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft die heiklen Themen Migration und Energie und dazu noch die großkalibrigen Komplexe Europa und Bildung. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet warnte, es werde keine Koalition geben, wenn der Industriestandort Deutschland gefährdet werde, was er wegen der Forderung der Grünen nach einem Ausstieg aus der Braunkohle befürchtet. Und der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt sagte: "Ohne eine Begrenzung der Zuwanderung wird Jamaika eine Insel in der Karibik bleiben, aber auf keinen Fall eine Koalition in Berlin werden."

Verschiedene Typen

In solchen Verhandlungen gibt es immer auch die Moderatoren, die Bremser, die Antreiber und die Quertreiber. Dobrindt wird in diese letzte Kategorie einsortiert. Er hätte lieber wieder eine große Koalition. Das Grünen-Schwergewicht der Parteilinken, Jürgen Trittin, gehört ebenfalls zu den Quertreibern. Er ist der Schrecken der Union, die ihm anlastet, 2013 mit überzogenen Steuererhöhungsplänen eine schwarz-grüne Koalition verhindert zu haben. Und nun war es am Mittwoch wieder Trittin, der die gerade vereinbarte "schwarze Null" unter einen Vorbehalt stellte.

Angela Merkel moderiert

Am Donnerstag wollte dann Dobrindt keinen Millimeter von der mit der Kanzlerin unionsintern mühsam ausgehandelten Festlegung abrücken, dass aus humanitären Gründen maximal nur noch 200.000 Migranten nach Deutschland kommen dürften. Der Familiennachzug bleibe ausgesetzt. Beim Klima wollte er die Grünen damit abspeisen, dass Deutschland mehr in Klimaprojekte woanders auf der Welt investieren könne.

Zu den Moderatoren gehört grundsätzlich Angela Merkel. Die langjährige CDU-Vorsitzende und Regierungschefin tritt nach Angaben von Teilnehmern auch in diesen Sondierungen jetzt wieder präsidial auf, hört allen zu, hält sich selbst zurück - und lässt erst einmal alle miteinander streiten. Merkel ist gefürchtet für ihre Kondition bei Verhandlungen. Zahlreiche Gipfelkonferenzen in der Welt hat sie bestritten und weiß nur zu gut, wie hellwach und hochkonzentriert sie in der Schlussphase sein muss, um nicht über den Tisch gezogen zu werden, sondern besser die anderen über den Tisch ziehen zu können.

Kubicki ohne jeden Druck

Als einer der Antreiber dieser Verhandlungen gilt der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki. Der Kieler Rechtsanwalt mit der lockeren Zunge hat nicht viel zu verlieren: Er ist unabhängig, hat wohl längst die eine oder andere Million zur Seite gelegt und könnte mit seinen 65 Jahren eigentlich auch gemütlich die Rente anpeilen.

Kubicki wechselt aber gern auch in das Fach der Quertreiber. Nach der zweiten Sondierungsrunde in der Nacht zum Mittwoch behauptete Kubicki, die FDP habe den kompletten Abbau des Solidaritätszuschlags "in dieser Legislaturperiode" durchgesetzt. Damit ging er wohlwissend über das hinaus, was wirklich vereinbart wurde, nämlich dass auch der Abbau des "Soli" von den Partnern als möglicher Entlastungsschritt geprüft wird. Trittin trat postwendend auf den Plan und widersprach. Hinterher erläuterte Kubicki mit Unschuldsmiene, dass einfach noch kein "Grundvertrauen" zwischen den Partnern vorhanden sei.

Was wird aus der Kohle

Am Donnerstagnachmittag dann plötzlich Signale, es gebe erste grundsätzliche Einigungen beim gerade noch so heißen Thema Klima und Energie. Die Unterhändler hätten sich darauf verständigt, das Klimaziel einzuhalten, wonach Deutschland bis 2020 seinen Treibhausgas-Ausstoß um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren soll. Da nach jetzigem Stand aber wohl nur eine Einsparung von 32 Prozent bis 2020 erreicht wird, müsste es eigentlich zu einem beschleunigten Ausstieg aus der Braunkohle kommen, den aber Laschet verhindern will. Dem Vernehmen nach gab es noch keinen Beschluss zu einem beschleunigten Kohleausstieg.

Ohnehin gehen alle zwölf vereinbarten Themen von Finanzen bis innerer Sicherheit noch in eine zweite mehrtägige Sondierungsrunde, so dass es zunächst darauf ankommt, das von Kubicki noch bezweifelte Grundvertrauen wirklich aufzubauen. Jedenfalls wurde weiterhin nicht ausgeschlossen, dass Jamaika mehr als eine Insel in der Karibik sein wird.

Eine, die neben Merkel als Moderatorin oder gar Joker in diesem Pokerspiel eine wichtige Rolle spielen könnte, ist Claudia Roth, die frühere Grünen-Chefin. Die 62-Jährige ist altersmilde geworden. In den Verhandlungen hält sie sich bisher auffallend zurück. Auf sie, die mit etlichen CSU-Politikern per Du ist, könnte es am Ende ankommen.

(kd/mar)
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