Energiepolitik Sigmar Gabriel will Kraftwerke abschalten

Berlin · Die Bundesregierung hat sich bis 2020 ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Dafür müssen die Stromkonzerne 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen und Kraftwerke vom Netz nehmen. Das sorgt für Unruhe im Rheinischen Braunkohlerevier.

 Das RWE-Braunkohlekraftwerk in Niederaussem bei Bergheim.

Das RWE-Braunkohlekraftwerk in Niederaussem bei Bergheim.

Foto: dpa

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) will die Stromkonzerne zwingen, ihren Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid bis zum Jahr 2020 um 22 Millionen Tonnen zu senken. Das kündigte Gabriel gestern nach einem kurzen, unfreundlichen Gespräch mit den Chefs von Eon, RWE, EnBW und anderer Versorger an. Das sei der Minderungsbeitrag, den der Stromsektor leisten müsse, damit Deutschland sein nationales Klimaziel erreichen könne. Die Bundesregierung will die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren.

Im Sommer 2015 will die Regierung ein Gesetz vorlegen, das Kraftwerksbetreibern die entsprechende Reduktion vorschreibt. Gabriel will die Einsparungen auf 500 Kraftwerke streuen: "Die 22 Millionen Tonnen werden auf fossile Kraftwerke gleichmäßig verteilt. Gleichmäßig heißt proportional zu historischen Emissionen", hieß es in Gabriels Gesprächsunterlage, die unserer Zeitung vorliegt. Im Klartext: Wer in den vergangenen Jahren viel Kohlendioxid ausstieß, muss nun auch besonders viel einsparen.

Daher ist Nordrhein-Westfalen besonders betroffen. Das Land deckt 30 Prozent des deutschen Strombedarfs. Hier werden jährlich insgesamt 300 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen. Etwa ein Drittel davon geht auf das Konto der Braunkohle-Kraftwerke von RWE im Rheinischen Revier. Nun geht dort die Sorge um, dass RWE als erstes 300-Megawatt-Blöcke an den Standorten Neurath, Frimmersdorf oder Weisweiler schließt. Entsprechend wächst auch die Sorge um die Arbeitsplätze. RWE beschäftigt im Rheinischen Revier rund 8000 Menschen. Der Konzern wollte sich mit Blick auf die laufenden Verhandlungen nicht zu den Folgen für die Kraftwerke äußern. Die RWE-Aktie gab zeitweise um mehr als ein Prozent nach und gehörte zu den Verlierern im Dax. Die Eon-Aktie fiel im Handelsverlauf um 0,3 Prozent.

Auch Landeswirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) ist beunruhigt. Zwar begrüßte er, dass die Versorger selbst entscheiden, wie sie die Kohlendioxid-Emissionen ihrer Anlagen senken wollen. "Offene Fragen sehe ich mit Blick auf die Folgen für Strompreise und Arbeitsplätze", sagte Duin unserer Zeitung. NRW werde als Energieland Nummer eins darauf pochen, dass die Versorgung sicher und bezahlbar bleibe und den Mitarbeitern an den Standorten eine dauerhafte Perspektive eröffnet werde.

Sein Parteifreund Gabriel betonte zwar: "Ich halte nichts davon, die Braunkohle zu verbieten. Wir werden Braunkohle und Tagebau noch über Jahrzehnte brauchen." Doch er müsse auch dafür sorgen, dass Deutschland seine Klimaziele erreiche. Zudem erzwinge er keine Stilllegungen von Kraftwerken, sondern überlasse es den Unternehmen, wie sie ihr Einsparziel erreichen.

Die Folgen für NRW gehen allerdings weiter. Durch die Schließung von Kraftwerken wird der Großhandelspreis für Strom steigen. Das trifft weniger den privaten Verbraucher, denn im gleichen Zug wird die von ihm zu zahlende Ökostrom-Umlage sinken. Die Strompreiserhöhung trifft aber die energieintensive Industrie, etwa Stahlwerke von ThyssenKrupp und Aluhütten von Trimet und Alunorf, die weitgehend von der Ökostrom-Umlage befreit sind. Entsprechend warnte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dass der Strompreis bis 2020 um knapp sieben Euro pro Megawattstunde (von derzeit meist 35 Euro) steigen werde, wenn Kohlekraftwerke mit einer Leistung von rund zehn Gigawatt stillgelegt würden. Besonders energieintensive Industrien hätten einen Wettbewerbsnachteil.

Sauer reagierte Gabriel darauf, dass die Versorger das gestrige Spitzengespräch nutzten, um erneut staatlich organisierte Hilfe für Kraftwerke zu fordern. Eine solche neue "Dauer-Subvention" lehne er strikt ab, sagte Gabriel: "Ich lasse nicht zu, dass die Kraftwerksdebatte missbraucht wird, um neue Subventionen durchzusetzen." Denn dann müssten Verbraucher über eine zusätzliche Umlage dafür bezahlen, dass Versorger Kraftwerkskapazitäten für künftige Versorgungsengpässe vorhalten.

Auch der BDI ist zerstritten über diese Frage. Hier stehen Energiekonzerne und energieintensive Unternehmen gegeneinander. Der Chef eines Stahlkonzerns hatte jüngst in einer Präsidiumssitzung angemerkt: "Und wer zahlt uns die nächsten Kapazitätsmaßnahmen?"

(RP)
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