Schulen und Kitas Kulturkampf ums Schweinefleisch

Kiel · CDU-Politiker setzen sich für Schweinegerichte in Schulen und Kitas ein. Tatsächlich ist Schweinefleisch auf dem Rückzug - Muslimen gilt es als unrein. Folge ist eine sehr grundsätzliche Debatte mit irritierenden Auswüchsen.

Gesunde Alternativen zu beliebten Kantinenessen
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Mehr Schwein wagen - das hat sich die Opposition in Schleswig-Holstein auf die Fahnen geschrieben. Die CDU-Fraktion in Kiel fordert in einem aktuellen Antrag Staatsschutz für das Schweinefleisch. Die Landesregierung solle "sich dafür einsetzen, dass insbesondere Schweinefleisch im Angebot sowohl öffentlicher Kantinen als auch in Kitas und Schulen erhalten bleibt". Der Schutz religiöser Minderheiten dürfe "nicht dazu führen, dass eine Mehrheit aus falsch verstandener Rücksichtnahme in ihrer Entscheidung überstimmt wird".

Verzicht auf Schweinefleisch

"Religiöse Minderheiten" - das sind Juden, vor allem aber Muslime, denen Schwein als unrein gilt. An den öffentlichen Schulen Schleswig-Holsteins liegt der Anteil der Muslime bei etwa fünf Prozent, in NRW bei knapp 14. Vielerorts bestimmen die muslimischen Kinder ungewollt das Angebot: "Von den 60 Schulen und Kindertagesstätten, die wir beliefern, verzichten rund zehn inzwischen komplett auf Schweinefleisch", heißt es beim Bonner Caterer "Aubergine & Zucchini".

Ähnlich äußern sich weitere Lieferanten in NRW. In den städtischen Kitas von Mettmann gibt es gar kein Schwein mehr, ebenso in den meisten Awo-Kitas in Düsseldorf. Erkelenz hat zum Jahr 2015 mit dem Caterer einen Schweinefleischverzicht für städtische Schulen und Kitas vereinbart. Inzwischen, so ist von dort zu hören, stoße diese Regelung aber bei den Eltern auf Widerstand.

Immer wieder werden praktische Argumente angeführt (für eine Großküche sei es zu kompliziert, nur einen Teil der Kinder schweinefleischfrei zu bekochen), oder es wird auf die Gesundheit verwiesen (Huhn sei ohnehin besser). Das aber ist nur ein Teil der Wahrheit. Ursula Tenberge-Weber, die für die Verbraucherzentrale NRW die "Vernetzungsstelle Schulverpflegung" koordiniert, bestätigt zunächst den Trend: "Es gibt Caterer, die Schweinefleisch komplett gestrichen haben, weil es einfacher ist." Sie hat aber auch beobachtet: "Ob Schweinefleisch auf dem Speiseplan steht, hängt wesentlich davon ab, wie hoch der Migrantenanteil ist." Im Ruhrgebiet etwa wird an Schulen kaum noch Schweinefleisch gegessen.

Gegenstand eines Kulturkampfs

Seit die Debatte um den Islam in Deutschland an Schärfe gewonnen hat, ist Schweinefleisch in Schulen und Kitas Gegenstand eines Kulturkampfs. Schwein auf dem Speisezettel mutiert zum unabdingbaren Bestandteil abendländischer Kultur. Zahlreich sind die Internetforen, in denen sich Nutzer über angebliche kommunale oder landesweite Schweinefleisch-Verbote echauffieren. Und Pegida prangerte bei Facebook "Islamisierung des Kita-Essens" in Dresden an. Zusatz: "Wir werden uns nicht beugen!" Der Streit um die kulturelle und religiöse Identität Europas macht sich auch an banalen Dingen wie Schweineschnitzeln fest.

Pegida und Co. haben diese Debatte nicht begonnen. Sie haben sie aber vergiftet, weil sie die Diskussion auf die Zahl der Muslime verengt haben, ohne vom Schwinden etwa der kirchlichen Bindung zu reden. Statt über Entchristianisierung wird über eine angebliche Islamisierung geredet, also feindliche Übernahme. Darin stecken gleich zwei unbelegte Annahmen: dass religionsüberdrüssige Europäer ein leichteres Ziel für eine Islamisierung wären und dass eine solche Islamisierung der christlichen oder religionslosen Mehrheit von einer nennenswerten Anzahl hiesiger Muslime betrieben würde. Gerade der Schweinestreit belegt das aber nicht: Muslimische Forderungen, Schweinefleisch in Schulen vom Speisezettel zu nehmen, sind bisher jenseits von Einzelpersonen nicht bekannt. Vorschriften zum Angebot von Schweinefleisch gebe es nicht, heißt es aus dem NRW-Schulministerium. Die Islamisierung der Mensen ist vorerst vertagt.

"Sonne-Mond-und-Sterne-Fest"

Problem ist eher die Eilfertigkeit, mit der bisweilen Verzicht geübt wird, weil ja ein Muslim protestieren könnte. In diese Kerbe schlug 2013 der Vorstoß der Linken in NRW, Sankt Martin "Sonne-Mond-und-Sterne-Fest" zu nennen, um Muslimen nicht das Christentum aufzudrängen. Die wiesen das damals zurück, wie sie sich auch jetzt gegen Vereinnahmung wehren: "Es ist Unsinn zu sagen, ein Schweineschnitzel auf dem Speiseplan verletze religiöse Gefühle von Muslimen", sagt Dalinç Dereköy, Vorsitzender des Kreises der Düsseldorfer Muslime. Schwein solle nur nicht das einzige Fleischgericht sein: "Wichtig ist uns, dass es für jüdische und muslimische Schüler ein Ausweichangebot gibt, bei dem sichergestellt ist, dass die religiösen Speisevorschriften eingehalten sind." Weil das teuer sei, könne es "aus pragmatischen Gründen sinnvoll sein, auf Schwein zu verzichten".

Mag ein Schweinefleisch-Verbot so unsinnig sein wie eine Pflicht - Vielfalt im Konsens, der Königsweg, ist anstrengend. Das Projekt "Inklusion durch Schulverpflegung" an der Hochschule Osnabrück hat einen "inklusiven Speiseplan" erarbeitet, der das belegt: Dienstags in Woche eins gibt es etwa Pizza mit Thunfisch und Zwiebeln, dazu Gurken-Mais-Salat und eine Kiwi (geeignet für Christen, Muslime, Juden), alternativ Bandnudeln mit Auberginen, Gurken-Mais-Salat und Kiwi (geeignet auch für Hindus, Buddhisten und Vegetarier). Schwein gibt es auch - als Jägerschnitzel und als Flammkuchen mit Speck, montags in Woche drei und vier. Eignet sich aber eben nur für Christen, die anderen bekommen Gemüsepizza.

"Pork-Day"?

Und die Kieler CDU? SPD-Landeschef Ralf Stegner witzelt bloß über den "Pork-Day". In NRW hingegen hat der Vorstoß Sympathien. Rainer Deppe, CDU-Sprecher im Landwirtschaftsausschuss des Landtags, sagt: "Der Wunsch einer Minderheit, auf Schweinefleisch zu verzichten, darf nicht dazu führen, dass allen anderen das Angebot vorenthalten wird." Ob es einen ähnlichen Antrag seiner Fraktion geben werde, wisse er noch nicht: "Wir prüfen das mal."

(unter Mitarbeit der Lokalredaktionen)

(RP)
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