Gastbeitrag Schneiders Gespür für Menschen

Düsseldorf (RP). Der Theologe und Direktor der Kindernothilfe, Jürgen Thiesbonenkamp, ist Freund und langjähriger Wegbegleiter von Nikolaus Schneider. Er schreibt über seine Begegnungen mit dem kommissarischen Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche in Deutschland.

Das ist Nikolaus Schneider
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Mit der Alkoholfahrt von Bischöfin Margot Käßmann und ihrem Amtsrücktritt vor wenigen Tagen hat es zwangsläufig einen Wechsel an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gegeben. Neuer und kommissarischer Ratsvorsitzender ist nun der rheinische Präses Nikolaus Schneider (62). Er war vor vier Monaten mit großer Mehrheit zum Stellvertreter Käßmanns gewählt worden.

Ein Porträt jenes Mannes, der das EKD-Spitzenamt bekleidet: Singen ist nicht seine Stärke. Und doch war Nikolaus Schneider tonangebend, als wir mit unserem Vikarskurs vor 35 Jahren eine Schallplatte besangen. "Neuer Geistlicher Lieder" war der etwas schräge Genetivtitel, der doch bezeichnend war für das erwachende Selbstbewusstsein einer neuen Pfarrergeneration. Die Lieder auf der Platte waren alt, aber wir wollten frische Töne in die Kirche bringen. Soziale Verantwortung, ökumenische Brücken, Neues wagen in Liturgie und Gottesdienst, Glaube und Alltag verbinden, das waren die großen Themen.

Es war eine Zeit des Aufbruchs. Wir kamen aus der Studentenbewegung der 68er Jahre und wollten die Welt verändern. Und wir waren erstaunt, nicht als einsame Rufer in der Wüste zu verdursten, sondern auf Gemeinden zu treffen, die das auch wollten. So kam Nikolaus Schneider nach Rheinhausen. Das Kruppsche Hüttenwerk gab Tausenden von Menschen Brot und Arbeit. Die Erlöserkirche mitten in der Stadt und nahe am Werk war seine Wirkungsstätte. Hier fanden die Menschen Trost, ganz praktische Hilfe und Ermutigung im Glauben.

Mit dem Wetterleuchten der ersten Stahlkrisen am Horizont kam die Frage auf nach der Zukunft der Kinder, dem Leben in der Stadt und nach der Verantwortung der Gemeinde und Kirche in einer sich ändernden Welt. Und das war für Nikolaus Schneider keine theoretische Frage. Wenn er heute das Wort ergreift, soziale Kälte anprangert und zur Verantwortung für das Gemeinwohl ruft, dann kommt das aus eigenem Erleben. Der Arbeitskampf in Rheinhausen 1987/88 und die diakonische Verantwortung im Kirchenkreis Moers haben ihn geprägt und bis heute geerdet, wie auch die persönliche Herkunft aus einer Duisburger Stahlarbeiterfamilie.

Als ausgewiesener Sozialethiker weiß er, wovon er spricht. Er hat ein Gespür für die Menschen, über deren Schicksal und Leben er spricht und für die er sich einsetzt. Sozialethik aber ist mehr als Krisenbewältigung. Sie will Mut machen, den Glauben als Verantwortung zu leben und nach Lösungen zu suchen in einer komplexen Welt, um der Würde aller Menschen als Gottes Ebenbild gerecht zu werden. Auch als Superintendent in Moers, Oberkirchenrat und Präses in Düsseldorf und jetzt kommissarischer Ratsvorsitzender der EKD ist er dieser Suche treu geblieben.

Er mutet den Menschen unbequeme Wahrheiten zu, gewinnt sie aber mit dem ihm eigenen Charme und Charisma. Dabei helfen ihm seine Erfahrungen über den deutschen Horizont hinaus und sein weltweiter Einsatz in der Entwicklungszusammenarbeit und Ökumene. "Mönchlein, du gehst einen schweren Gang", dieses Wort von Luther fiel mir ein bei den vielen Fragen und Erwartungen, die in den Interviews auf Nikolaus Schneider einstürmten nach dem Rücktritt von Margot Käßmann.

Es war wohltuend, dass er dem Bedrängen standhielt und sich in diesen Stunden Zeit gab zur Trauer und zum Abschied von einer beliebten Bischöfin. Hier liegen seine Stärken. Eine Ikone wird er nicht werden, sollte er im Herbst zum Ratsvorsitzenden gewählt werden. Aber seinen Weg wird er gehen und vielen Menschen in Kirche und Gesellschaft die Orientierung geben, die wir brauchen.

Kirche braucht Köpfe und Gesichter, die ihr Ausdruck und Stimme geben und sie hörbereit und sprachfähig machen in einer Welt, die gleichzeitige Reaktionen zu allen möglichen Themen fordert statt Nachdenken fördert. So wichtig einzelne Köpfe auch sind, lebt die Kirche vor allem durch Gemeinden, die handwerklich und doch prophetisch am Haus des Glaubens bauen, damit Menschen Heimat finden und Hoffnung schöpfen für ihren Weg. Da wird Nikolaus Schneider viel einbringen aus seiner Biographie und manchen Ton noch vorgeben: nicht als Schlaflied, sondern eher als Weckruf für Kirche und Gesellschaft.

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