„Spitzel-Affäre" um NRW-Staatskanzlei Rüttgers und sein Mann fürs Grobe

Düsseldorf (RP). Die Regierungszentrale von NRW soll Einfluss auf die Video-Beobachtung von SPD-Chefin Hannelore Kraft genommen haben. Die Opposition attackiert Rüttgers' Abteilungsleiter Boris Berger.

 Der Chefplaner und engste Vertraute von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), Abteilungsleiter Boris Berger, hat offenbar seit Anfang September die CDU-Parteizentrale beraten.

Der Chefplaner und engste Vertraute von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), Abteilungsleiter Boris Berger, hat offenbar seit Anfang September die CDU-Parteizentrale beraten.

Foto: DDP

In der Düsseldorfer Staatskanzlei sind offenbar nicht nur Regierungsgeschäfte erledigt worden, sondern von dort aus ist wohl auch —­ unzulässigerweise —Parteipolitik betrieben worden. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls durch eine Veröffentlichung von "Focus online” auf. Demnach begann alles mit dem Video, auf dem ein Wahlkampfauftritt von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) in Duisburg zu sehen ist. Dort hatte Rüttgers die Arbeitsmoral der Rumänen attackiert. Am 4. September tauchte das professionell aufbereitete Video zum ersten Mal im Internet auf. Rüttgers hat sich bald darauf für seine abfällige Bemerkung entschuldigt.

"Sie zeigt Nerven bei Störungen"

Als Reaktion auf diesen Videoangriff, den die CDU der SPD zuschreibt, soll sich dem Bericht zufolge die christdemokratische Parteizentrale an der Düsseldorfer Wasserstraße zum Gegenangriff entschlossen haben: die Beobachtung von SPD-Landeschefin Hannelore Kraft. Start war demnach ihr Wahlkampfauftritt am 8. September in Köln. Ein Parteisprecher war in Köln dabei und meldete abends der CDU-Zentrale, in Sachen Rumänen-Attacke gegen Rüttgers habe Kraft "die Handbremse angezogen. Insgesamt nicht ergiebig, aber sie zeigt Nerven bei Störungen”.

Diese E-Mail ging laut "Focus” wenig später an Parteisprecher Matthias Heidmeier, von dort an CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst und in die Düsseldorfer Staatskanzlei an Boris Berger, den Abteilungsleiter für politische Planung. Berger, die "rechte Hand” von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, zeigte sich erfreut über die Mail: "Gute Infos, danke.” Dann wollte er wissen: "Wie bündeln wir solche Infos, wie organisieren wir die dauerhafte Beobachtung und Archivierung der Infos?”

Heidmeier antwortete umgehend. "Jeder Auftritt von Kraftilanti mit Tonband und Kamera. Das Material machen wir zugänglich.” Diese Passage zeigt, dass Boris Berger zwar nicht der Urheber der Video-Beobachtung gewesen ist. Andererseits scheint der parteiinterne E-Mail-Verkehr aber doch bei ihm zusammengelaufen zu sein.

Grüne sprechen von "Barscheleien"

Als Krafts Video-Überwachung im Auftrag der CDU bekannt wurde, wiegelte die Zentrale in der Wasserstraße ab: Man lasse Kraft schon seit "drei bis vier Jahren” filmen, hieß es. Das war offenbar nicht zutreffend, wie sich jetzt herausstellt. Jedenfalls krisitierte Bundestagspräsident Norbert Lammert als erster Unionspolitiker aus Nordrhein-Westfalen die systematische Beobachtung von Kraft. Die Grünen sprachen gestern von "Barscheleien”. Wie unter Uwe Barschel, dem früheren CDU-Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein, sei "jetzt offenbar auch die Staatskanzlei in NRW an der Überwachung der Opposition beteiligt”.

"Da ist richtig Scheiße angerichtet worden"

Als die medialen Wellen der Empörung hochschwappten, griff auch Boris Berger ein: "Bei aller Freundschaft, da ist richtig Scheiße angerichtet worden”, mailte er am 17. September an Wüst. Der antwortete, man habe doch nur den Eindruck vermeiden wollen, als seien die Kraft-Videos eine Reaktion auf das Rumänen-Video. Wüst räumt ein: "Dabei haben wir gleich mehrere Eigentore geschossen.” Auch Heidmeier schickte Berger eine Mail: "Alles ist ohne das Rumänen-Video nicht zu verstehen.” Noch am selben Abend mailte Heidmeier einen Beobachterbericht vom Wahlkampfauftritt Steinmeiers in Münster an Berger in die Staatskanzlei. Kurz darauf ließ Rüttgers den Video-Einsatz stoppen. Eine systematische Video-Beobachtung "geht nicht”, sagte Jürgen Rüttgers zu Wochenbeginn in einem Interview mit unserer Redaktion.

In der Düsseldorfer CDU-Zentrale fragt man sich seit Mittwoch, wie die vertraulichen E-Mails an die Öffentlichkeit geraten konnten. Gibt es eine undichte Stelle in der Staatskanzlei? Und was wusste der Ministerpräsident?

Boris Berger — der Mann fürs Grobe

Schließlich ist Ex-Feldjäger Boris Berger sein engster Vertrauter, der ihm als Mann fürs Grobe den Weg freiräumt. Wer sich querlegt, bekommt es mit ihm zu tun. "Der Mann hinterlässt keine Gefangenen”, weiß einer zu berichten, der ihn aus nächster Nähe beobachtet hat. Mehrere als unbequem geltende Mitarbeiter der Staatkanzlei wurden versetzt oder ausgemustert. Berger steht in dem Ruf, oft ruppig mit Gesprächspartnern umzugehen. Als "Stimme seines Herrn” schrecke er nicht davor zurück, am Telefon ranghöhere Staatssekretäre und auch Minister zurechtzuweisen, wissen Kabinettsmitglieder aus Erfahrung.

"Aufstand der Anständigen" in der CDU?

In Oppositionskreisen wird jetzt ein "Aufstand der Anständigen” in der Union als Ausgangspunkt für die Indiskretion vermutet. Berger habe sich durch seine forsche Art viele Feinde in der Partei gemacht, heißt es. Auch werde kritisiert, dass Berger an den Sitzungen des geschäftsführenden CDU-Landesvorstands teilgenommen hat. Die aggressive "Kraftilanti-Kampagne” ­ der Versuch, Hannelore Kraft mit dem gebrochenen Versprechen der hessischen SPD-Kandidatin Ypsilanti in Verbindung zu bringen ­— wird Berger zugeschrieben. Vor wichtigen strategischen Entscheidungen stimmt sich der Ministerpräsident mit dem Chefplaner aus dem Rhein-Sieg-Kreis ab.

Die rechte Hand im Zwielicht

An Rüttgers' Konzept, an die Tradition des früheren SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau anzuknüpfen, dürfte Berger maßgeblichen Anteil haben. Jetzt steht er im Zwielicht. Die Video-Beobachtung von Kraft habe das Fass zum Überlaufen gebracht, heißt es in Düsseldorf. Nächste Woche soll seine Rolle in der von der Opposition so genannten "Spitzel-Affäre” im Hauptausschuss des Landtags zur Sprache kommen. Dabei wollen die Sozialdemokraten auch einen Vorgang aus dem Jahr 2004 zur Sprache bringen. Damals hatte NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) seinen Regierungsplaner Werner Kindsmüller wegen einer ähnlichen Affäre abberufen müssen. Die Opposition hatte Kindsmüller vorgeworfen, im Staatsdienst Strategiepapiere für die SPD entwickelt zu haben.

(RP)
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