Hartz-Entscheidung aus Karlsruhe Regierung will schnell handeln

Berlin (RPO). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht, die Hartz-IV-Sätze für ungültig zu erklären, setzt die Bundesregierung erheblich unter Druck. In den kommenden zehn Monaten muss eine Neuregelung beschlossen werden. Dabei müssen die Sätze aber nicht zwingend angehoben werden. Die Bundesregierung versprach bereits eine fristgerechte Umsetzung.

Was Hartz-IV-Empfänger nun beachten sollten
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Foto: APN

Die Regierung werde dafür Sorge tragen, dass der Gesetzgeber die Frist für eine verfassungsgemäße Neuregelung einhalte, versicherte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans am Dienstag. Zwischen CSU und FDP droht angesichts der möglichen Zusatzkosten erneut Zwist um die geplanten Steuersenkungen.

Die Karlsruher Richter haben die "Hartz IV"-Regelsätze für Erwachsene und Kinder für verfassungswidrig erklärt und eine Neuberechnung angeordnet. Über die Kosten einer Neuregelung wollte die Bundesregierung vorerst keine Prognose abgeben. Steegmans kündigte an, "dass wir jetzt erst einmal die Urteilsgründe so schnell wie möglich sorgfältig und im Einzelnen prüfen".

Urteil führt nicht zwingend zu Erhöhungen

Die Bundesministerien für Finanzen und Arbeit hoben aber hervor, dass das Urteil nicht zwingend zu einer Erhöhung der Regelsätze führen werde. "Das Bundesverfassungsgericht hat die Höhe der Regelsätze und Berechnungsmethoden im Grundsatz nicht in Frage gestellt.

Künftig müssen wir nur viel besser und im nachvollziehbarer begründen, wie die Regelsätze im Einzelnen zustande kommen", sagte eine Sprecherin von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Die Ministerin wollte sich über die Höhe künftiger Kinderregelsätze nicht äußern. Es wäre "unseriös, nun über Zahlen zu spekulieren", sagte sie.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) setzt sich nach den Worten seines Sprechers Michael Offer dafür ein, dass die Regierung das die Vorgaben des Gerichts "möglichst schnell umsetzt und nicht jetzt bis zum letzten Tag dieses Jahres wartet". Zugleich betonte er: "Die Frage der Einschränkung des Spielraums von Steuersenkungen stellt sich heute nicht." Zunächst würden die Regelsätze neu berechnet. "Dann wird man schauen, welche Folgen das hat."

Die CSU-Landesgruppe rechnet hingegen mit Auswirkungen auf künftige Steuersenkungen. Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich sagte mit Blick auf das Urteil: "Es reduziert natürlich die Handlungsspielräume für andere Aktionen". Friedrich ging zumindest von einer Anhebung der Kindersätze aus.

FDP sieht Steuerentlastungen nicht gefährdet

FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger rechnet dagegen mit einem "überschaubaren zusätzlichen Finanzbedarf". Die anderen Projekte von Schwarz-Gelb würden durch das Urteil nicht gefährdet, betonte sie und nannte dabei ausdrücklich die von der FDP geforderten Steuerentlastungen zum 1. Januar 2011.

Unions-Fraktionsvize Michael Meister (CDU) warnte indessen davor, in der Kostendebatte die Leistungsträger der Gesellschaft gegen die Hilfsbedürftigen auszuspielen. Dies sei "absolut widersinnig", kritisierte er.

Die SPD reagierte zurückhaltend auf das Urteil. Die Entscheidung veranlasse "uns gemeinsam", neue Kriterien für die Findung der Regelsätze zu entwickeln, sagte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Er fügte hinzu: "Vor allem ist das eine Aufgabe der Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheiten im Parlament."

Die Linke sieht sich bestätigt

Die Linke nahm die höchstrichterlich festgestellte Verfassungswidrigkeit der "Hartz IV"-Sätze mit Genugtuung auf. Damit sei bestätigt, dass die gesamte "Hartz IV"-Regelung der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip widerspreche, sagte Fraktionschef Gregor Gysi. "Für alle Parteien, die daran mitgewirkt haben, ist das ein skandalöses Urteil." Nicht die Linke müsse vom Verfassungsschutz beobachtet werden, sondern die übrigen Parteien.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast rief Merkel auf, noch vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai eine Lösung zu finden. Künast rechnete bei einer sauberen Berechnung der Regelsätze mit zusätzlichen Kosten von bis zu zehn Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund dürfe es keine Steuerentlastung und keine Kopfpauschale im Gesundheitswesen geben.

Der ehemals für die Arbeitsmarktgesetze zuständige frühere Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Clement halte sich derzeit im Ausland auf, sagte seine Sprecherin. Das frühere SPD-Mitglied Clement war von 2002 bis 2005 als Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft für die "Hartz"-Gesetze verantwortlich.

Demonstranten in zahlreichen Städten

Arbeitsloseninitiativen feiern das Hartz-IV-Urteil aus Karlsruhe als Erfolg. Am Dienstag demonstrierten Gruppen in zahlreichen Städten für eine Erhöhung der Zahlungen unter dem Motto "500 Euro jetzt!". Nach Angaben der Initiativen fanden Aktionen in mehr als 50 Städten statt, darunter Berlin, Hamburg und Leipzig.

Die Initiativen waren außerdem dazu aufgerufen worden, Eingänge von Arbeitsagenturen abzuriegeln, Hartz-IV-Empfänger zu ihren Sachbearbeitern zu begleiten und Forderungen wie "Weg mit Sanktionen!" oder "Schließt die Bundesagentur!" an Fenster und Türen der Arbeitsagenturen zu schreiben.

Der Sprecher der IG contra Sozialabbau in Aschersleben (Sachsen-Anhalt), Tommi Sander, sprach von einer regen Teilnahme an den Demonstrationen. "Einige haben total verdattert auf das Urteil reagiert. Das heißt ja: Hartz ist gekippt", sagte er dem DAPD. Es gebe "Jubelstürme, aber auch Skepsis, wie es weitergehen soll", berichtete Sander. In Aschersleben würden die Montagsdemonstrationen fortgesetzt, nächste Woche sei es schon die 287.

Im Lauf der Zeit seien viele Arbeitslose "wegen des Gefühls der Aussichtslosigkeit in Lethargie verfallen", sagte Sander. Nun hoffe die Initiative wieder auf stärkeren Zulauf. Demonstriert werde auch für zehn Euro Mindestlohn, "damit auch für die Prekär-Beschäftigten was dabei rauskommt", und eine radikale Arbeitszeitverkürzung.

(DDP/felt)
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