Neue Bündnisse Politik geht durch den Magen

Berlin · Nur wer sich vertrauen kann, kann auch koalieren. In Berliner Restaurants bereiten Politiker in Debattierclubs neue Bündnisse vor.

 Die legendäre "Pizza-Connection" mit Politikern von CDU und Grünen traf sich schon zu Bonner Zeiten. (Symbolbild)

Die legendäre "Pizza-Connection" mit Politikern von CDU und Grünen traf sich schon zu Bonner Zeiten. (Symbolbild)

Foto: dpa

Alternativen zur großen Koalition gab es auch schon 2013. Die Mehrheiten hätten etwa für Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün gereicht. Doch die Parteien fanden nicht zueinander. 2017 soll ein Mangel an Gesprächsfähigkeit jedenfalls nicht noch mal zu einer Groko führen. Dafür haben in den letzten vier Jahren Bundes- und Landespolitiker in verschiedenen Gesprächsrunden regelmäßig Gemeinsamkeiten ausgelotet. Vor allem drei können nach der Wahl wichtig werden und Regierungsbildungen erleichtern: Rot-Rot-Grüne, Schwarz-Grüne und Schwarz-Gelbe.

Rot-Rot-Grün

"Vertrauen!" Das ist die Antwort von Linken-Außenpolitiker Stefan Liebich auf die Frage, was der rot-rot-grüne Gesprächskreis in den letzten Jahren gebracht hat. Es ist eine von einer ganzen Reihe von Runden mit ähnlicher Stoßrichtung, die zeitweise wie Pilze aus dem Boden schossen und als "Trialog" auch mal 100 Politiker zusammenführten, mit dem demonstrativen Besuch des damaligen Parteichefs Sigmar Gabriel auch das öffentliche Bewusstsein für eine linke Mehrheit in der Republik schärften.

Neue Bündnisse: Politik geht durch den Magen
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Die größte Kontinuität hat der Kreis, der im "Walden" im Prenzlauer Berg startete und sich 2008 formierte. "Am Anfang ging es nicht um eine Perspektive fürs Regieren, da war es eine Art Entspannungspolitik zwischen SPD und Linken", erinnert sich Angela Marquardt. Die frühere PDS-Abgeordnete und jetzige SPD-Politikerin organisiert die Treffen, die bald um die Grünen erweitert wurden - als es um linke Mehrheiten und mögliche Projekte eines linken Bündnisses ging. Der Name blieb nebensächlich. Nach dem Schließen des Restaurants ging es mit dem "Waldenkreis" nicht weiter. Grünen-Politiker Malte Spitz versuchte, "Rot-Grün-Rot" zu etablieren. Durchgesetzt hat sich letztlich "R2G" aber als Name nicht.

Die Gästeliste beschreibt den Ehrgeiz, bewusst auch wunde Punkte zu klären - wie zum Beispiel die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit der Linken, wofür etwa eigens der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Roland Jahn, eingeladen wurde. Oder Jochen Flasbarth, der frühere Umweltbundesamt-Präsident und jetzige Umwelt-Staatssekretär,der Impulse lieferte für eine rot-rot-grüne Klimapolitik, und in flügelübergreifenden Debatten die Runde der durchweg 20 bis 30 Bundespolitiker auch das Konfliktfeld Außenpolitik nicht aussparte. "Wir sind uns einig geworden, die Rüstungsexportpolitik gemeinsam verändern zu wollen", so Liebich.

Nach dem Schließen des "Walden" hat die Runde keinen festen Treffpunkt mehr. Zum Feiern geht es stets in den "Thüringer", die Kneipe in der Landesvertretung jenes rot-rot-grün regierten Landes mitten im rot-rot-grün regierten Berlin. Lange sah es nach möglichen Mehrheiten aus. Doch derzeit geben die Umfragen Rot-Rot-Grün eher nicht her. Im Moment fehle der SPD der erkennbare Wille zu einem Regierungswechsel, und so fehle es denn auch an Optimismus für Rot-Rot-Grün, stellt Liebich fest.

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Und ganz bitter war für die Rot-Rot-Grün-Vordenker die öffentlich zelebrierte Freude eines SPD-Linken: Als Landeschef Ralf Stegner das Scheitern der Linken an der Fünf-Prozent-Hürde in Schleswig-Holstein feierte, das sei schon hart gewesen - "und es hinterlässt natürlich Spuren", sagt Liebich bedrückt.

Schwarz-Grün

Deutlich mehr Zuversicht herrscht im schwarz-grünen Gesprächskreis. Ausgerechnet CDU-Politiker Jens Spahn, der mit seinen klaren Positionen zu Islam und Zuwanderung bei vielen Grünen auf heftige Ablehnung stößt, rief gemeinsam mit Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour diese Runde ins Leben. Schwarz-grüne Gesprächsrunden hatte es schon zu Bonner Zeiten gegeben, als die Grünen noch die Schmuddelkinder des Parlaments waren. Wegen der Treffen beim Italiener wurden die Runden als "Pizza-Connection" bekannt. Teilnehmer waren von Unionsseite Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Kanzleramtsminister Peter Altmaier sowie die heutigen Spitzenkandidaten der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir.

Nun trafen sich Schwarze und Grüne aus Bundes- und Landespolitik zunächst bei "Spaghetti Western" in Berlin-Mitte, später im etwas gehobeneren Restaurant "Simon". Ein Dutzend Mal kamen Unionsleute und Grüne zwischen Januar 2014 und Juli 2017 zusammen und luden sich Gäste zum Diskutieren ein. Mit dabei waren beispielsweise Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Eric Schweitzer, und der Vorsitzende der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks.

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"Die Treffen haben geholfen, ein Gefühl füreinander zu bekommen", sagt Spahn. "Auch die Grünen vom linken Flügel konnten feststellen, dass die Unionsleute keine Menschenfresser sind." Spahn verweist auf die Bedeutung, dass auch die zweite und dritte Reihe miteinander reden. Die erste stehe ohnehin im Austausch. So finden sich auf den Teilnehmerlisten von schwarzen und grünen Fraktionsvizes Landespolitiker und einfache Abgeordnete. Auch CSU-Politiker waren regelmäßig dabei. "Die Treffen waren ein großer Erfolg. Sollte es zu Koalitionsverhandlungen kommen, wären die Treffen zweifelsfrei eine gute Grundlage, damit man miteinander reden kann", sagt Nouripour, der die inhaltliche Auseinandersetzung zwischen Union und Grünen lobt. "Wir haben die Schmerzgrenze der anderen Seite kennengelernt. Wir haben heftig gestritten, besonders über Landwirtschaft, Islam und Flüchtlinge."

Schwarz-Gelb

Obwohl die Liberalen 2013 aus dem Bundestag geflogen waren, wollten zwei die Hoffnung auf eine Neuauflage von Schwarz-Gelb nicht aufgeben: der damalige CDU-Finanzstaatssekretär und heutige Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, und der frühere FDP-Abgeordnete Otto Fricke gründeten ganz bürgerlich die "Kartoffelküche". Der Name war Programm: die Abwendung von Pizza und Pasta als bürgerlicher Alternative zur Groko und Rot-Rot-Grün.

Als "großen Vorteil" sieht Fricke die Startsituation nach dem Rauswurf der FDP aus dem Bundestag: "Es gab nichts zu verteilen." Und so hatte Kampeter vor allem eines im Blick: die "überdurchschnittlichen Schnittmengen" zwischen Union und FDP. Doch bevor die zu besichtigen waren, ging es um die gegenseitigen Verletzungen und die Frage, warum die gemeinsame Regierungszeit von 2009 bis 2013 "nicht funktioniert" habe. "Das war kein Aufrechnen, da war beiden Seiten recht schnell klar, was sie jeweils selbst falsch gemacht haben", berichtet Fricke. Zehn Treffen gab es seitdem im Charlottenburger "Xantener Eck".

Bis zu 50 Teilnehmer waren dabei - nach einem einfachen Prinzip: Wer drei Mal fehlte, wurde nicht mehr eingeladen, für den rückte ein anderer Interessent nach. Gerade nach dem Wiedererstarken der Liberalen wuchs das Interesse an dem Kreis - nicht nur bei Journalisten. Was ist bürgerlich? Was ist wertebezogene Politik? Das waren aus Kampeters Sicht die zentralen Fragen, um die sich auch die Debatten mit den Gästen drehten: mit dem Historiker Paul Nolte etwa oder mit Prälat Karl Jüsten von der Deutschen Bischofskonferenz. Zuletzt auch mit Kanzleramtsminister Peter Altmaier - ein deutliches Zeichen, dass auch das Kanzleramt inzwischen die "Kartoffelküche" ernst nimmt. Und das auch noch in Gestalt von Altmaier, dem Gesicht der legendären Pizza-Connection.

"Ganz bewusst haben wir nicht über mögliche gemeinsame Projekte gesprochen, sondern über die Werte, die uns verbinden, und wie es uns gelingt, inhaltliche Lösungen für die Bürger zu finden", lautet Frickes Bilanz. Dass es dann bei der Bildung der schwarz-gelben Regierung in NRW so schnell klappte, habe nicht an der "Kartoffelküche" gelegen, obwohl sich mehrere Teilnehmer auch bei den konkreten Koalitionsverhandlungen gegenübersaßen. Da seien die gemeinsamen Zeiten in der Opposition und das Vertrauensverhältnis zwischen CDU-Landeschef Armin Laschet und FDP-Chef Christian Lindner schon deutlichere Schrittmacher gewesen.

Folgt die Gnocchi-Runde?

Ähnlich ist die Erwartungshaltung nun im Bund. Erst hätten die Wähler darüber zu befinden, welche Konstellationen überhaupt möglich sind, betont Kampeter. Und wenn es dann nicht für Schwarz-Grün und auch nicht für Schwarz-Gelb reicht? Sondern nur für "Jamaika", also Schwarz-Gelb-Grün? Dann seien auch wieder andere Kontakte ausschlaggebend, erläutert Fricke. Etwa die Kanäle, die die Kanzlerin mit den Grünen-Chefs und Lindner pflegt. Aber auch der freundschaftliche Kontakt zwischen Lindner und Özdemir.

Jamaika im Bund: Das wäre auch eine neue Herausforderung sowohl für den schwarz-grünen als auch den schwarz-gelben Debattierclub. Laut Fricke stellten manche bereits die Frage, "ob sich dann aus Spaghetti-Western und Kartoffelküche eine Gnocchi-Runde entwickelt".

(RP)
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