Eine Bewegung rutscht ab "Pegidas" Pflicht zum Protest

Meinung | Berlin · Sie rufen "Widerstand" und wollen die Stimme des Volkes sein. Unser Autor meint jedoch, dass "Pegida" nach der Jahrestagsdemo in der Pflicht steht, gegen den eigenen Rassismus zu protestieren.

Pegida: Tausende bei "Pegida"-Demo am 19. Oktober 2015
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Tausende bei "Pegida"-Demo am 19. Oktober 2015

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Seit einem Jahr zelebrieren sie ihren Protest. Selbst ernannte "patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" achteten am Anfang noch strikt darauf, Abstand zu Rechtsextremisten und Neonazis zu halten. Sie sammelten Belege dafür, wie aus falscher oder zweifelhafter Rücksichtnahme auf muslimische Erwartungen abendländische Traditionen in Frage gestellt werden. Über Kopftuchpflicht für Frauen, Schwimmverbot für Mädchen und Schweinefleischverzicht in Kitas lässt sich in der Tat trefflich streiten.

Das war der Rückzugsraum für alle, die bei "Pegida" mitgingen und sich aus ihrer Sicht zu Recht darüber empörten, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Zum Ritual der Kundgebungen gehörte es, diesen Rückzugsraum stets auf neue zu markieren: Bürgerkriegsflüchtlinge ja gerne, Asylmissbrauch nein danke.

Es gab daneben immer auch Grenzüberschreitungen, die reichlich Anlass lieferten, vor "Pegida" zu warnen. Einzelne Äußerungen, für die sich jeder schämen sollte, dem das friedliche Zusammenleben der Menschen und Völker etwas gilt. Inzwischen gehören diese Überschreitungen zum Markenzeichen, aus dem "Pegida" seine Aufmerksamkeit gewinnt: Der Galgen mit den für Kanzlerin und Vizekanzler "reservierten" Stricken, also der Aufruf zum Lynchmord, in der vergangenen Woche.

Und nun die zentrale Rede von Akif Pirinçci, in der er den Umgang mit Asylgegnern durch die Politik kritisierte — ein Politiker legte Asylgegnern die Auswanderung nahe — und sagte: "Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert". Nach Zwischenrufen legte er nach: "Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb". Provokationen wie diese werden sogar noch bejubelt und beklatscht.

Akif Pirincci konnte ausweislich des von "Pegida"-Gründer Lutz Bachmann online gestellten Videos weitere 20 Minuten nach diesem ungeheuerlichen Satz in Fäkal- und Porno-Sprache übelsten Hass und Rassismus verbreiten, wiederholt begleitet von Beifall und Zustimmung, bis Bachmann auf den Schluss des Vortrages drängte und endlich "Aufhören, Aufhören"-Rufe die Abscheulichkeiten beendeten.

Wenn die Radikalisierung der Sprache in Wirklichkeit die wahre Gesinnung von "Pegida" entblättert, dann muss sich jeder Teilnehmer bewusst sein, dass er sich außerhalb des demokratischen Verfassungsbogens stellt und sich auf die Sanktionen des wehrhaften Staates und einer toleranten Gesellschaft einstellen, die Intoleranz, Rassismus und Mordaufrufe nicht tolerieren dürfen. Wenn die "Pegida"-Bewegten es aber ernst meinen mit ihrer Einforderung abendländischer Kulturen, dann müssen sie ihren Protest nun auf die menschenverachtenden Äußerungen in den eigenen Reihen richten. Sonst sind sie nicht mehr als der willfährige verlängerte Arm von Hasspredigern, Demokratiezerstörern und Nazis.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels konnte der Eindruck entstehen, Pirinçci wolle zum Völkermord aufrufen. Dies hat Pirinçci nicht gesagt. Wir haben die entsprechende Passage geändert.

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(may)
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