Parteitag der Grünen Trittin fügt Kretschmann Niederlage zu

Die Grünen entscheiden sich auf ihrem Bundesparteitag für die Vermögensteuer – allerdings nur unter strengen Bedingungen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann kann den Beschluss nicht verhindern und erleidet eine Abstimmungsniederlage. Die Mehrheit der 800 Delegierten folgt lieber dem Parteilinken Jürgen Trittin, der sich für einen Kompromissantrag der Bundestagsfraktion einsetzt.

 Winfried Kretschmann während seiner Rede auf dem Parteitag der Grünen.

Winfried Kretschmann während seiner Rede auf dem Parteitag der Grünen.

Foto: afp, PST

Die Grünen entscheiden sich auf ihrem Bundesparteitag für die Vermögensteuer — allerdings nur unter strengen Bedingungen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann kann den Beschluss nicht verhindern und erleidet eine Abstimmungsniederlage. Die Mehrheit der 800 Delegierten folgt lieber dem Parteilinken Jürgen Trittin, der sich für einen Kompromissantrag der Bundestagsfraktion einsetzt.

Es dauerte Stunden, annähernd 50 Redner beteiligten sich an der überaus kontroversen Gerechtigkeitsdebatte. Endlich, um 15.44 Uhr, haben sich die Grünen entschieden: Mit knapper Mehrheit beschloss der Parteitag in Münster die Einführung einer "verfassungsfesten, ergiebigen und umsetzbaren Vermögensteuer für Superreiche" für das Wahlprogramm 2017. "Selbstverständlich legen wir dabei besonderen Wert auf den Erhalt von Arbeitsplätzen", heißt es einschränkend in dem Antrag der Bundestags-Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt, der sich gegen vier alternative Anträge durchsetzen konnte, von denen zwei deutlich weiter gingen. Die Grünen wollen zudem das Ehegattensplitting abschaffen - aber nur für Neu-Ehen, nicht für bestehende.

Die Grünen konnten damit einen mehr als zwei Jahre andauernden Streit zwischen Parteilinken und Realos beenden und die Auseinandersetzung über die Ausrichtung der Partei ein Jahr vor der Bundestagswahl entschärfen. Mit dem Kompromiss der Fraktionsspitzen konnten schließlich beide Parteiflügel leben: Man entschied sich zwar klar für eine "Vermögensteuer" statt für die Erhöhung der Erbschaftsteuer - das half den Linken. Zugleich knüpft der Antrag die neue Reichensteuer aber an detaillierte Bedingungen, die die tatsächliche Umsetzung des Plans eher unwahrscheinlich machen. Außerdem wollen die Grünen dem Antrag zufolge die Erbschaftsteuer erst wieder anpacken, wenn das Verfassungsgericht die gerade erst von Bund und Ländern beschlossene Reform für der betrieblichen Erbschaftsteuer für verfassungswidrig erklären sollte. Damit konnten dann auch die Realos leben.

Die Vermögensteuer als Kristallisationspunkt für den Streit zwischen den Flügeln

Das Thema Vermögensteuer stand stellvertretend für das Kräftemessen beider Flügel und für die Frage, mit welcher Präferenz die Grünen ins Wahljahr 2017 gehen: Streben sie ein rot-rot-grünes Bündnis an - oder wollen sie in eine schwarz-grüne Regierung mit Angela Merkel (CDU) gehen? Die Parteiführung dringt darauf, diese Frage bis nach der Bundestagswahl unbeantwortet zu lassen und den "Kurs der Eigenständigkeit" fortzusetzen. Doch je näher die Wahl rückt, desto selbstverständlicher outen sich jetzt die Anhänger von Rot-Rot-Grün und Schwarz-Grün. Mit der Entscheidung "zwar für die Vermögensteuer, aber nur unter Einschränkungen" verschafften sich die Grünen eine Atempause im internen Richtungsstreit. Ein eindeutigerer Linksschwenk konnte so verhindert werden.

In mehreren Anträgen hatten Vertreter der Linken gefordert, die Vermögensteuer ohne jede Einschränkung einzuführen und zugleich auch die Erbschaftsteuer zu erhöhen. Ein Antrag des Landesverbands Baden-Württemberg sprach sich dagegen entschieden gegen die Vermögensteuer aus. Auf Seiten der Realos hatte die Hamburger Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk zudem einen weiteren Antrag eingebracht, der das Instrument einfach offen lässt, mit dem die Grünen Reiche stärker besteuern wollen, wenn sie in der nächsten Bundesregierung sitzen.

Der Abstimmung ging eine kontroverse Debatte zwischen den beiden zerstrittenen Parteiflügeln voraus. Die prominentesten Protagonisten dieser Debatte: Baden-Württembergs pragmatischer Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der auch als Kandidat für das Bundespräsidentenamt gehandelt wird. Auf der anderen Seite der Parteilinke Jürgen Trittin, das einstige Gesicht der Grünen und frühere Bundesumweltminister.

Kretschmann warnt eindringlich vor der Vermögensteuer

Kretschmann warnte den Parteitag eindringlich vor der Festlegung auf die Vermögensteuer. In schlechteren konjunkturellen Zeiten würde die Steuer die Substanz des Mittelstandes gefährden, argumentierte er. Der Mittelstand sei die tragende Säule der Wirtschaft, die die Arbeitsplätze garantiere. Gerade in dieser unsicher gewordenen Zeit, in der der Rechtspopulismus auf dem Vormarsch sei, dürfte diese Säule nicht geschwächt werden. "Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat eine Verantwortung, dass diese Betriebe bestehen bleiben", betonte Kretswchmann. "Wenn wir schon jetzt in diesen noch guten Bedingungen 15 Prozent AfD haben, wird es mir angst und bange, was passieren wird, wenn die Arbeitslosigkeit wieder steigt", sagte er.

Der Wahlsieg Donald Trumps sei ein "Paukenschlag" gewesen. Der Rechtspopulismus verbreite sich "wie ein Virus". Auch in Europa stünden die offene Gesellschaft und die Demokratie auf dem Spiel. Er habe sich nie vorstellen können, "dass wir den liberalen Verfassungsstaat wieder verteidigen müssen", sagte Kretschmann. Die Grünen müssten darauf neue Antworten finden, mehr Menschen mitnehmen. "Wir dürfen es mit der Political Correctness nicht übertreiben", mahnte Kretschmann. Und: "Zivilisierter Streit hält die Gesellschaft zusammen, unzivilisierter Streit führt sie auseinander."

Standing Ovations für Kretschmann

Nach dieser Rede erhoben sich allerdings nur die Delegierten seines Landesverbands Baden-Württemberg zu Standing Ovations. Kein anderer Landesverband folgte ihrem Beispiel. Später erneuerte auch Kretschmanns Finanzministerin Edith Sitzmann die grundsätzliche Kritik Baden-Württembergs an der Vermögensteuer: Sie belaste eben weit überwiegend kleine und mittlere Unternehmen, und das gehe nicht. Sie verwies auf ein aktuelles Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, das auch vor der Vermögensteuer warnt.

Gegenspieler Jürgen Trittin hatte dagegen fast den ganzen Saal sofort hinter sich. "Eine Welt, in der 67 Milliardäre so viel wie die Hälfte der Weltbevölkeriung besitzt, ist nicht gerecht", rief er. "Deutschland ist ein Steuersumpf für Vermögen." Hier werde Vermögen viel geringer besteuert als im Durchschnitt aller Industrieländer. Eine Vermögensteuer "hat überhaupt nichts mit der Gefährdung von Mittelstand zu tun", widersprach Trittin seinem Vorredner. Deutschland sei "ein Land, ihn dem Raucher mehr zum Steueraufkommen beitragen als Vermögende". Seit zehn Jahren würden deutsche Unternehmen im Schnitt 90 Prozent ihrer Gewinne entnehmen und nicht reinvestieren. Dieses Geld müsse besteuert werden, damit endlich mehr Geld in Schulen und Straßen investiert werden könne, sagte Trittin unter dem Jubel der Delegierten.

Fraktionschefin Göring-Eckardt warb dafür, die Vermögensteuer-Debatte jetzt zu beenden. "Ich will, dass wir hinterher nicht noch mal weiter darüber diskutieren. Wir haben genug debattiert", sagte sie. Die Grünen wollten 2017 nicht noch mal den Fehler machen, zu viele Steuererhöhungen zu fordern. Jetzt müsse die Partei den Blick auf das richten, was sie für benachteiligte gesellschaftliche Gruppen tun wollten. Der Europa-Politiker Reinhard Bütikofer warnte die Grünen vor einem "Besserwisser-Wahlkampf": Es gebe etliche Experten, die die Vermögensteuer für ungeeignet hielten, Reiche stärker zu besteuern, aber die Grünen meinten es besser zu wissen. Fraktionschef Anton Hofreiter betonte, mittelständische Betriebe, die in Schwierigkeiten seien, könnten nach dem Vorschlag der Fraktion von der Vermögensteuer befreit werden,

Das Vermögensteuer-Konzept der Fraktionsspitzen sieht Mehrheinnahmen von sechs bis zehn Milliarden Euro im Jahr vor. Abschaffen wollen die Grünen auch die Abgeltungsteuer. Kapitalerträge sollen nicht mehr pauschal mit nur 25 Prozent besteuert werden, sondern mit dem persönlichen Einkommensteuersatz von bis zu 42 Prozent. Ab einem Brutto-Jahreseinkommen von 100.000 Euro wollen die Grünen den Spitzensteuersatz anheben.

Hartzbezieher sollen nicht mehr sanktioniert werden

Das Ehegattensplitting wollen die Grünen nur für neue Ehen ab einem Stichtag abschaffen. Der konkurrierende Antrag, der ein Abschmelzen des Steuervorteils auch für bestehende Ehen innerhalb von zehn bis 20 Jahren vorsah, unterlag knapp. Auch hier entschieden sich die Grünen für einen vergleichsweise pragmatischen Ansatz. Ein Antrag der Parteilinken, wonach alle Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher abgeschafft werden sollten, konnte sich mit knapper Mehrheit durchsetzen - ein Achtungserfolg für den NRW-Landesverband, der den Antrag eingebracht hatte.

Mit den Steuer-Mehreinnahmen wollen die Grünen unter anderem eine Kindergrundsicherung finanzieren. Dabei sollen Familien mit mittleren Einkommen neben dem Kindergeld einen weiteren Bonus erhalten, so dass sie für jedes Kind durchschnittlich 384 Euro im Monat erhalten. Auch der Hartz-IV-Regelsatz für Kinder soll steigen. Die Grünen begründen das damit, dass auch Eltern mit mittleren Einkommen oberhalb von Hartz IV zu wenig in die Zukunft ihrer Kinder investieren könnten.

Für ärmere Ältere wollen die Grünen nach einem bereits beschlossenen Konzept eine steuerfinanzierte Garantierente einführen. Wer 30 Versicherungsjahre nachweisen kann, soll demnach mindestens 850 Euro Rente pro Monat erhalten. Die Garantierente soll vor allem Frauen vor Altersarmut schützen, deren Durschnittsrente im Westen deutlich weniger als 850 Euro beträgt. Über die Gesamtkosten ihrer Sozialprojekte schwiegen sich die Grünen allerdings aus.

Habeck verlässt Parteitag wegen Vogelgrippe-Vorfall in Schleswig-Holstein

Derweil muss Schleswig-Holsteins Umwelt- und Landwirtschaftsminister Robert Habeck den Grünen-Parteitag in Münster vorzeitig verlassen. Habeck habe wegen der Zuspitzung der Vogelgrippe-Krise in Schleswig-Holstein nach Kiel zurückfahren müssen, erklärte Grünen-Geschäftsfpührer Michael Kellner auf dem Parteitag. Das eigentlich geplante "Urwahlforum", auf dem sich Habeck und drei weitere Politiker bei den Mitgliedern um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2017 bewerben, falle deshalb auf, sagte Kellner. Die Parteiführung habe für Habecks Abreise das "vollste Verständnis". Neben Habeck bewerben sich Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschef Anton Hofreiter und Parteichef Cem Özdemir als Spitzenkandidaten. Da bei den Grünen je eine Frau und ein Mann antreten, ist die Wahl Göring-Eckardts bereits sicher.

(mar)
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