Berlin NSA hörte noch mehr Gespräche Merkels ab

Berlin · Dokumente enthüllen die US-Auswertung von Gesprächen der Kanzlerin mit Ban Ki Moon, Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi.

So späht die NSA PCs ohne Internetzugang aus
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Foto: dpa, Jim Lo Scalzo

Abhören unter Freunden - dass dies entgegen ihrer festen Überzeugung doch ganz gut geht, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel spätestens im Herbst 2013 erfahren, als ihr eigenes Handy als Lauschobjekt des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA) bekannt wurde. Nun fügt die Enthüllungsplattform WikiLeaks neue Belege hinzu, wonach auch weitere Unterredungen Merkels mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sowie mit den damaligen Staats- und Regierungschefs Frankreichs und Italiens von den US-Spionen bespitzelt wurden.

Auch WikiLeaks weiß nicht, auf welchem Weg der US-Geheimdienst an die Inhalte kam. Ob Mitarbeiter von Ban oder Merkel mitschrieben, ob das Gespräch selbst abgehört wurde. Jedenfalls bekam die Erkenntnis die Klassifizierung "top secret", also "streng geheim" und die Überschrift "UN-Generalsekretär unterstreicht EU-Führungsrolle beim Klimawandel".

Bei dem Meinungsaustausch zwischen Merkel und Ban ging es laut NSA-Bericht um die Erwartung der Vereinten Nationen an Merkel, dass die EU bei ihrem Gipfel Mitte Dezember an ihrer Klimapolitik festhalte, damit die nachfolgenden Klimagipfel der Vereinten Nationen erfolgreich sein könnten. Außer einem Lob für Merkels eigene Klimapolitik verwies Ban darauf, dass es gerade eine günstige Gelegenheit gebe, den neuen US-Präsidenten ebenfalls für die Klimaschutz-Ziele zu gewinnen.

Was bei regelmäßigen Politik-Beobachtern den Puls kaum in Wallung bringt, problematisiert Wiki-Leaks-Gründer Julian Assange: "Wir haben heute gezeigt, dass die privaten Gespräche von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon über die Bekämpfung des weltweiten Klimawandels von einem Land ausgespäht wurden, das seine größten Ölfirmen schützen will." Deshalb sei nun die Reaktion der Vereinten Nationen interessant. Denn wenn der Generalsekretär folgenlos ins Visier genommen werden könne, dann sei jeder in Gefahr.

Auch über ein Treffen Merkels mit dem Italiener Silvio Berlusconi und dem Franzosen Nicolas Sarkozy im Jahr 2011 wusste die NSA nach weiteren veröffentlichten Dokumenten Bescheid - offensichtlich über Berlusconis außenpolitischen Berater Valentino Valentini. Denn dieser wird mit der Schilderung zitiert, das Klima des Gespräches sei "angespannt" und "sehr unfreundlich" gewesen. Nachdrücklich forderten Merkel und Sarkozy danach den italienischen Partner auf, die Staatsverschuldung zu verkleinern und den Bankensektor zu stärken. Ausreden würden sie von ihm nicht mehr akzeptieren. Sarkozy sagte voraus, dass sonst die Finanzinstitutionen Italiens "wie der Korken einer Champagnerfalsche knallen" könnten.

Die Regierung in Rom reagierte wenig amüsiert auf die jüngste Enthüllung. Sie bestellte demonstrativ den US-Botschafter ein und erwarte von ihm eine Erklärung zu der Behauptung, dass die USA Berlusconi und einige seiner Mitarbeiter 2011 abgehört hätten.

Sowohl Vereinte Nationen als auch Bundesregierung reagierten zunächst nicht. Fünf Monate vor dem ausgewerteten Meinungsaustausch waren Ban und Merkel 2008 bereits im Kanzleramt zusammengetroffen und anschließend vor die Presse getreten. Dabei hatten sie selbst auch schon erklärt, dass sie über das Thema Klimaschutz gesprochen hätten.

Im Zusammenhang mit den NSA-Dokumenten verwies WikiLeaks auch auf NSA-Selektoren (also Suchbegriffe für die elektronische Aufklärung), die auf das Abhören von Gesprächen im Kanzleramt, in der italienischen Regierung und bei den Vereinten Nationen hindeuteten. Die NSA-Expertin der Linken, Martina Renner, verlangte daher Auskunft von der Bundesregierung, "inwieweit bei fragwürdigen Praktiken der NSA und des Bundesnachrichtendienstes gemeinsam, ergänzend oder gegeneinander gearbeitet wird". Grünen-Politiker Konstantin von Notz forderte, die Regierung müsse dieser Art der Spionage "endlich ein Ende setzen".

Wenig verblüfft zeigte sich der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek. "Ich bin nicht überrascht, dass es weitere Belege für die Überwachung der Bundeskanzlerin durch die NSA gibt", sagte Flisek. Er warnte davor, eine "heuchlerische Debatte" zu führen. "Auch unsere Geheimdienste nehmen sich grundsätzlich alle Informationen, die sie bekommen können", betonte der SPD-Politiker im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die neuen Enthüllungen zeigten, wie wichtig die Reform der Geheimdienste sei. Nach den Plänen der Koalition soll eine Novelle dafür sorgen, dass für die Arbeit des deutschen Geheimdienstes künftig Wirtschaftsspionage gesetzlich ausgeschlossen ist und auch EU-Bürger nach denselben Standards geschützt werden wie Deutsche.

"Leider ist darüber in Europa derzeit kein Konsens zu erzielen, daher werden wir die Maßnahmen erst auf nationaler Ebene durchsetzen", erläuterte Flisek. Parallel dazu werde die Politik dafür sorgen müssen, dass die deutschen Geheimdienste besser ausgestattet seien, um von den Amerikanern unabhängiger zu werden. Flisek geht davon aus, dass das Reformgesetz für die Geheimdienste noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden kann.

(may- / qua)
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