Minister Maas feuert Harald Range Der Sündenbock

Düsseldorf · Der am Dienstagabend entlassene Generalbundesanwalt Harald Range erfüllte alle Voraussetzungen für die Rolle des Angeklagten. Ihn aber als Problemfall hinzustellen, ist maßlos übertrieben.

Das ist der frühere Generalbundesanwalt Harald Range
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Der Generalbundesanwalt, der bis gestern Harald Range hieß und der einer Strafanzeige wegen Verdachts des Landesverrats gegen Unbekannt sowie gegen zwei Betreiber des Blogs Netzpolitik.org sehr behutsam nachgegangen war, wird häufig "oberster Ankläger des Bundes" genannt.

Range, der meist fein lächelt und das Bild eines in sich ruhenden älteren Herrn von 67 Jahren vermittelt, legte sich am Dienstag eine weitere Rolle zu: die des obersten Anklägers des Bundesministers der Justiz. In dem weißhaarigen Niedersachsen muss es vulkanisch gebrodelt haben, wenn ein so scheuer Jurist zum Angriff gegen jemanden übergeht, der sein Dienstvorgesetzter ist.

Da Alter weitsichtig werden lässt, nicht selten auch im übertragenen Sinn, hatte Range sofort begriffen, dass er wie geschaffen war für eine weitere Rolle, die niemand, der bei Verstand ist, gerne spielt: die des Sündenbocks. Range erfüllte aus Sicht einer schnell entflammbaren Öffentlichkeit und wichtiger Kabinettsmitglieder alle Voraussetzungen für diese Rolle: Er ist FDP-Mitglied, er ist jenseits der Pensionsgrenze und wäre 2016 ohnehin reif für den endgültigen Ruhestand gewesen.

Berlin: Breite Unterstützung für "Netzpolitik.org"
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Und da ist noch etwas: Das stille, tiefe Wasser hat in der langen Geschichte um die dreisten Ausspähungen etwa der Kanzlerin und anderer Politiker durch den US-Geheimdienst NSA eine auffallende Reserviertheit vor eigenständigen Ermittlungen an den Tag gelegt. Da Range in Hierarchien zu denken gelernt hat und als juristisch und politisch geschulter Kopf die außenpolitische Brisanz der NSA-Angelegenheit in Rechnung stellt, ließ sich auch hier der Generalbundesanwalt als Problemfall karikieren; obwohl es die hohe Berliner Politik und Diplomatie war, die Obama & Co. nicht mit deutschen Ermittlungen behelligt sehen wollte. Fiat iustitia — pereat mundus? Frei übersetzt nach Berliner Verständnis: Es geschehe Recht, und wenn darüber das gute Verhältnis zu Washington zugrunde ginge? Um Himmels willen.

Harald Range hatte verstanden. Er hat in den Jahrzehnten seines Dienstes für Recht und Gesetz den Paragrafen 146 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) verinnerlicht. Darin heißt es: "Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen." Damit keine Missverständnisse aufkommen, lautet Paragraf 148 GVG: "Der Generalbundesanwalt und die Bundesanwälte sind Beamte." Einer wie Range war somit Diener zweier Herren: einerseits als unverzichtbarer Pfeiler am verfassungsrechtlich gesicherten Gebäude Rechtsstaat; zum anderen eingebettet in die Beamtenhierarchie.

Ihr ist zwar das soldatische Prinzip von Befehl und Gehorsam wesensfremd. Aber Range und seine Staatsanwaltschafts-Kollegen, ob sie nun als Bundesanwälte beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe angesiedelt sind oder beim Oberlandgericht in Celle — für sie alle gilt nicht, was für jeden Richter am Amtsgericht in Artikel 97 des Grundgesetzes verbürgt ist: "Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen."

Range besitzt wie jeder Staatsanwalt die Befähigung zum Richteramt. Der gebürtige Göttinger hat das erste und zweite juristische Staatsexamen absolviert. Hinzu kommt, dass de facto für den Richter- und Staatsanwalts-Beruf die bei Juristen seltenen Prädikatsexamina verlangt werden. Range ist ein Prädikatsjurist, übrigens auch mit Erfahrungen als Richter sowie in internationalen juristischen Gremien. Wenn er in politisch interessierten Kreisen jüngst so dargestellt wurde, als sei er gleichsam ein Celler Landei der Justiz, das auf wundersame Weise bis nach Karlsruhe gekullert ist, gehörte das zur Sündenbock-Strategie gegen einen in die Jahre gekommenen Staatsdiener, der einmal Präsident des Netzwerks der Staatsanwälte bei den obersten Gerichten der EU-Staaten war.

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, stellte sich am Dienstag dem Sündenbock-Spiel zulasten Ranges entgegen. Frank sagte unserer Redaktion, Range habe die Brisanz des Vorgangs, bei dem die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit tangiert sei, frühzeitig erkannt und deshalb sogar einen behördenexternen Rechtsexperten hinzugezogen. Der Gutachter bestätige nun offensichtlich die Rechtsauffassung der Generalbundesanwaltschaft. Das externe Gutachten sei ein wesentliches Beweismittel. Der Richterbund-Vorsitzende: "Wenn dieses aufgrund der Weisung des Bundesjustizministers aus dem Verfahren entfernt werden soll, ist das ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Arbeit des Generalbundesanwalts, dann geht es ans Eingemachte."

Frank sprach sich entschieden gegen ein externes Weisungsrecht gegenüber den Strafverfolgungsbehörden aus, das Bundesjustizminister Maas (SPD) nun gegenüber Generalbundesanwalt Harald Range ausgeübt hat: "Wenn Deutschland jetzt einen EU-Aufnahmeantrag stellen würde, bekäme es aufgrund der auch international umstrittenen Weisungsabhängigkeit der deutschen Staatsanwaltschaften große Probleme mit Brüssel."

Allein die Option des Weisungsrechts sei geeignet, die streng gesetzesgebundene Arbeit der Staatsanwaltschaft zu diskreditieren. Christoph Frank räumte ein, dass die Justizminister von einer förmlichen Weisung nur selten Gebrauch machten, aber das Beispiel des Umgangs von Bundesjustizminister Maas mit dem Generalbundesanwalt zeige, was geschehe, wenn es um politische Interessen und Machterhalt gehe: "Dann sind alle feierlichen Erklärungen zur Selbstbeschränkung schnell vergessen."

(RP)
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