Nach Jamaika-Aus Angela Merkel - die mächtigste Verliererin der Welt

Berlin · Die FDP hat die Jamaika-Sondierungen abgebrochen - und plötzlich steht Angela Merkel als Verliererin da. Doch die Kanzlerin scheint den Kampf noch einmal aufnehmen zu wollen. Vielleicht aber auch nicht um jeden Preis.

 Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag.

Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag.

Foto: ap, MS

Angela Merkel ist immer dann besonders gut, wenn der Konflikt am größten und die Lösung am schwierigsten ist. So hat sie Deutschland und Europa durch die Schuldenkrise, die Eurokrise, die Griechenlandkrise und auch die Flüchtlingskrise gesteuert. Sie kann gesichtswahrend mit populistischen, autokratischen, provokanten Staatschefs verhandeln, mit Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan.

Seit zwölf Jahren ringt Merkel über Tage und Nächte auf internationalen Gipfeln von G7 bis G20, von EU bis Nato um Ergebnisse. Sie ist in der Lage, blitzschnell umzusteuern, wenn der Wind sich dreht. So reagierte sie auf den Reaktorunfall in Fukushima mit dem Atomausstieg, obwohl ihre damalige schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten für die Meiler gerade erst verlängert hatte. Und als die Briten unerwartet Ja zum Abschied aus der EU gesagt hatten, pochte sie trotz aller Enttäuschung auf eine schnelle Umsetzung.

Die Bundeskanzlerin nimmt die Dinge, wie sie kommen. Einen Plan B erarbeitet sie erst, wenn es nötig wird. Dann aber mit brutaler Konsequenz.

Respekt und Vertrauen in ihre Stärke

All das hat ihr das Prädikat "mächtigste Frau der Welt" eingetragen. Sie ist bei Weitem nicht allen sympathisch, aber Länder und Regierungschefs zollen ihr Respekt und haben Vertrauen in ihre Stärke. Gerade jetzt, in der Berliner Krise, wird noch einmal ganz deutlich, wie sehr Europa auf Merkel schaut.

Das Scheitern von Jamaika wird von Paris bis Budapest mit Sorge verfolgt, weil Deutschland derzeit nicht die sonst auch gerne beklagte Führungsrolle ausfüllen kann. Die dienstälteste Regierungschefin Europas steht plötzlich als Verliererin da. Ausgerechnet Merkel, die Moderatorin, die Verlässliche, schafft es nicht, "die Enden zusammenzubinden", wie sie es oft formuliert.

Aber so verfahren die Lage ist, sie spornt die 63-Jährige nur an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Sondierungen scheitern, erst recht nicht an der Regierungsunwilligkeit des langjährigen Wunschpartners FDP. Mag sie nach dem Paukenschlag der Freien Demokraten mit ihrem schnittigen Vorsitzenden Christian Lindner in der Nacht zum Montag noch so müde und niedergeschlagen gewirkt haben — amtsmüde ist Merkel nicht.

An Rückzug denkt sie nicht

Vielleicht beschleicht die FDP noch ein ungutes Gefühl wegen ihrer keck geäußerten Botschaft, sie habe keine Angst vor einer Neuwahl. Denn Merkel hat bereits den harten Kampf um die Macht aufgenommen. In Interviews kündigte sie ohne Umschweife ihre erneute Kanzlerkandidatur an, wofür sie vor einem Jahr noch Monate gebraucht hatte.

"Deutschland braucht jetzt Stabilität", sagt sie schlicht und erinnert an ihr Versprechen, dass sie für vier weitere Jahre dem Land dienen wolle. Sei's drum, dass dann eben zweimal dafür gewählt werden muss. Es sollte den anderen Parteien eine Warnung sein, wenn Merkel über die Sondierungen sagt: "Auch ich habe da sehr viel gelernt."

Sie könnte die Chance nutzen, den in den Sondierungen schon ausgehandelten parteiübergreifenden Konsens mit den Grünen zum eigenen Programm zu erklären. So wie sie nach langem Widerstand gegen den Mindestlohn der SPD nachgegeben hatte und dann als eigene Errungenschaft verkaufte. An Rückzug denkt sie jedenfalls nicht.

Ungewöhnlich uneitle Regierungschefin

Dabei wäre es dafür jetzt eine gute Gelegenheit. Vor fast 20 Jahren hatte Merkel sich vorgenommen, irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik zu finden, ohne ein "halbtotes Wrack zu sein". Sollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einer Neuwahl zustimmen, wäre eigentlich der richtige Zeitpunkt gekommen, sich von Kanzleramt und CDU-Vorsitz zu verabschieden. Nicht, weil sie gescheitert wäre, sondern weil sie alles erreicht hat. Die Physikerin aus der DDR ist zur mächtigsten Frau der Welt geworden. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenquote ist vergleichsweise niedrig, das Land ist stabil trotz rechtsnationaler Tendenzen und Polarisierung.

Merkel könnte das Feld jetzt anderen überlassen. Der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Beispiel. Auch wenn ein auf Wahlen basierender Übergang keine Garantie verspricht: Merkel ist zwar geschäftsführende Bundeskanzlerin, aber nicht Geschäftsführerin eines Unternehmens, die über ihre Nachfolge bestimmen kann. Oder sie ließe Raum für eine Richtungsdebatte in der CDU darüber, ob es doch die nächste Generation, die Jüngeren, die Konservativeren um Finanzstaatssekretär Jens Spahn reißen sollen, die im Übrigen jetzt auffallend still sind. Ist dann doch ganz schön schwierig und heikel, die CDU und die ganze Union mit der CSU-Schwesterpartei sicher durch solche Wirren zu steuern.

Viele Menschen würden Merkels Abgang bedauern, aber mit Hochachtung aufnehmen. Merkel, die so ungewöhnlich uneitle Regierungschefin, die zwar umständlich formuliert und keine große Rednerin ist, jedoch keine Stimmungen anheizt und die Partei nicht über das Land stellt.

Nun aber ist die Frau, die von einem selbstbestimmten Abschied aus der Politik träumte — und vielleicht auch von Zeit und Muße und Kalifornien —, genau in jener Zwickmühle, aus der sich schon ihre Vorgänger nicht befreien konnten. Der Druck von außen und der eigene Anspruch sind zu groß, es noch einmal richten zu wollen, die eigene Erfahrung, das Wissen und auch die Härte einzubringen, um die neuen Herausforderungen zu meistern.

Für Merkel geht es darum, ein weiteres Erstarken der AfD zu verhindern und nicht ausgerechnet jenen das Feld zu überlassen, die doch gar nicht regieren wollen wie FDP und SPD. Es ist aber ein gefährlicher Moment, sich für unentbehrlich zu halten. Helmut Kohl hat diesen Fehler gemacht und wurde nach 16 Jahren Kanzlerschaft abgewählt. Merkel hat gerade auch erst ihre vierte Wahl gewonnen. Was will sie mehr?

(kd)
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