Nach Wahl in Mecklenburg-Vorpommern Die Situation wird für Angela Merkel immer gefährlicher

Meinung | Berlin · Wenn die AfD nicht mehr an den Rändern der CDU reißt, sondern stärker abschneidet als die Volkspartei selbst, haut das psychologisch stärker rein, als es eine Provinzwahl im Nordosten vermuten lässt. Merkel muss zu neuen Mitteln greifen, um die Stimmung zu wenden.

 Angela Merkel hat eine Mitverantwortung für das Abschneiden der CDU in Mecklenburg-Vorpommern übernommen.

Angela Merkel hat eine Mitverantwortung für das Abschneiden der CDU in Mecklenburg-Vorpommern übernommen.

Foto: dpa, bvj tba

Das Ritual ist erprobt: Die große Koalition verschärft die Flüchtlingsgesetze, aber zwei Wochen später fordert die CSU eine Politikkorrektur. Darauf verschärft die Koalition die Flüchtlingsgesetze, aber zwei Wochen später fordert die CSU ultimativ einen Politikwechsel. Vor diesem Hintergrund war es erwartbar, dass nach der Verständigung der CDU- und CSU-Innenminister auf einen verschärften Kurs in der Flüchtlingspolitik Horst Seehofer erneut ans Glas klopfen und eine Wende in der Regierungspolitik verlangen würde.

Doch dieser Prozess hat nicht den Charakter von Abnutzungserscheinungen. Nach dem niederschmetternden Abschneiden der CDU in Mecklenburg-Vorpommern bewirkt das Ritual vielmehr eine Zusammenballung von immer mehr Druck. Eine Explosion ist möglich.

Die CSU rutscht in Umfragen von 48 auf 43 Prozent ab

Um ermessen zu können, vor welchen inneren Kräften die Union steht, muss man sich die Politik aus der Perspektive der CSU anschauen. Ein schweres Unglück ist für diese Partei, in Bayern nicht mehr über die absolute Mehrheit zu verfügen. Doch das ist noch halbwegs auszuhalten, wie es die CSU in den 50er und 60er Jahren und noch einmal in Seehofers erster Regierung von 2008 bis 2013 mit der FDP an ihrer Seite bewies.

Als GAU, also als Größer Anzunehmender Unfall, gilt jedoch, wenn die CSU nicht mehr den rechten Rand integriert bekommt, sondern neben ihr eine demokratisch legitimierte Partei entsteht, die somit die eigene Verortung der CSU erschüttert und ihr strategisch die absolute Mehrheitsfähigkeit nimmt. Das passiert gerade. In den Umfragen rutscht die CSU von ihren angestammten 48 auf nervös machende 43 Prozent, während die AfD sich trotz (oder wegen) aller CSU-Wortradikalität von acht auf zehn Prozent schraubt.

Ein Interview der Kanzlerin mit der Münchner Süddeutschen Zeitung, in dem Merkel erneut erklärte, warum ihr "Wir schaffen das" wichtig bleibe, muss Seehofer als Provokation empfunden haben. "Wir haben verstanden, und wir ändern das", hätte laut Markus Söder die Kanzlerin sagen müssen. Dass sie am Tag nach dem Desaster von Mecklenburg-Vorpommern an den Grundzügen ihrer Flüchtlingspolitik festhält und ankündigt, um neues Vertrauen dafür werben zu wollen, bringt einen wie Seehofer auf die Palme. Er erinnerte in der "Süddeutschen Zeitung" an seine "mehrfache Aufforderung zur Kurskorrektur", denn die Menschen wollten "diese Berliner Politik nicht". Dann die zentrale Botschaft: "Die Lage für die Union ist höchst bedrohlich."

Seehofer demonstrativ zurückhaltend bei Kandidatur-Frage

Das ruft nach neuen Mitteln und neuen Wegen, um die aus CSU-Sicht so krachend falsch aufgestellte Kanzlerin zur Raison zu bringen. Am Wochenende geht die CSU in Klausur, was Seehofer danach auf den Koalitionstisch legt, dürfte keine Korrektur im dritten Satz einer vierten Ausführungsverordnung werden. Sondern einem vielzitierten "Weckruf" gleich kommen.

Nicht von ungefähr hatte Seehofer demonstrativ zurückhaltend auf eine erneute Kanzlerkandidatur Merkels reagiert, und sicher nicht zufällig dringen Gedankenspiele an die Öffentlichkeit, wonach sich Seehofer eine Spitzenkandidatur in Bayern offen hält, um optisch und politisch als Gegenentwurf und Korrektur zu Merkel ins Rennen gehen zu können. Nicht auszuschließen ist zudem, dass die CSU das Für und Wider eine bundesweiten Ausdehnung erneut abwägt. Bisher fürchtete sie, einen strategischen Fehler zu begehen, und als Konsequenz wegen einer dann von Flüchtlingsfreunden und liberalen Gesellschaftsschichten in Bayern bevorzugten CDU die eigene Mehrheit zu verlieren. Das Erstarken der AfD könnte zu einer Neubewertung führen.

Die erwartete CDU-Niederlage am 18. September in Berlin wird zugleich innerhalb der CDU die Zweifel wachsen lassen, wie viel mit dieser Kanzlerin noch zu reißen ist. Der Blick auf mögliche personelle Alternativen geht zwar nicht ins Leere, signalisiert jedoch jedes Mal, ob bei Wolfgang Schäuble, Thomas de Maizière oder Ursula von der Leyen, dass es passable Reserven sind, nicht verlockende Optimierungen. Das erklärt auch, warum Verschwörungszirkel wichtiger Christdemokraten, die die Ablösung Merkels vorbereiten könnten, derzeit kaum denkbar sind.

Die Spannungen wachsen

Das Hauptdilemma besteht darin, dass die Wirkungen einer verbalen Neuaufstellung der Kanzlerin so schlecht abzuschätzen sind. Einerseits hat Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik immer noch eine Mehrheit in Politik und Bevölkerung. Eine solche Person schießt eine Kanzlerpartei nicht in den Wind. Andererseits ist unklar, ob eine "Wir-haben-verstanden-und-ändern-das"-Rhetorik im Sinner der CSU tatsächlich potenzielle AfD-Wähler im nennenswerten Umfang zurückholen könnte.

Umso größer wird der Wunsch, dass Merkel die begnadete neue Formulierung finden möge, die das "Wir schaffen das" ablösen kann, ohne ihre eigene Politik und die CSU-Forderungen in Frage zu stellen. Und umso größer wird der Frust werden, wenn dieses Formulierung weiter ausbleibt. Damit wachsen die Spannungen — eine Situation, in der auch Kurzschlüsse entstehen können.

(may-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort