Berlin auf Regierungssuche Gerupfte Parteichefs könnten es richten

Berlin · Die Groko wäre für Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz gleichermaßen die Rettung. Sie werden alles geben, um eine Neuwahl zu vermeiden.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (M, CDU) kommt mit dem damaligen SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (r) und dem Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer aus dem Reichstag in Berlin bei der Wahl des Bundespräsidenten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (M, CDU) kommt mit dem damaligen SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (r) und dem Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer aus dem Reichstag in Berlin bei der Wahl des Bundespräsidenten.

Foto: dpa, bvj wok gfh

Angela Merkel macht es kurz. Die Telefonschaltkonferenz mit ihrem CDU-Bundesvorstand dauert gestern nur ein paar Minuten, dann sind die Zugeschalteten im Bilde. Erstens: Ihr Vor-Sondierungsgespräch am Mittwochabend mit den Parteispitzen von CSU und SPD war vertrauensvoll - und vertraulich.

Zweitens: Die Union versteht unter einer stabilen Regierung eine echte Groko und keine weiche Koko, mit der die SPD gern wechselnde Mehrheiten im Bundestag ermöglichen würde.

Und drittens: Manchmal ist weniger mehr, was so viel bedeutet wie, einfach mal die Klappe zu halten. Denn während der Jamaika-Sondierungen hatten sich die Beteiligten auf sämtlichen Kanälen öffentlich mit Vorwürfen, Seitenhieben und Provokationen überzogen. Die nächsten Verhandlungen sollten mit "etwas weniger Öffentlichkeitsarbeit" geführt werden, hatte die Bundeskanzlerin schon am Montag angemahnt.

Das dürfte sie sich auch für sich persönlich wünschen, denn erstmals in ihrer langen Partei- und Kanzlerschaftskarriere ist die 63-Jährige gefährlich angeschlagen. Kommt eine Groko nicht zustande, werden sich jene Kräfte in der CDU sammeln, die ihr nach dem Wählerverlust bei der Bundestagswahl den Alltag mit Debatten um ihre Nachfolge schwer gemacht haben.

Bei einer Neuwahl will Merkel wieder antreten. Ihr Ruf der Krisen-Kanzlerin, die schwierigste Probleme durch Vertrauen und Verlässlichkeit, Klarheit und Kompromisse lösen kann, aber wäre nach gescheiterten Jamaika-Sondierungen und dann ebenfalls gescheiterten schwarz-roten Verhandlungen schwer beschädigt.

Angeschlagen sind aber auch ihre beiden Verhandlungspartner, CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzende Martin Schulz, die noch viel schlechtere Wahlergebnisse für ihre Parteien eingefahren hatten. Seehofer will sich morgen trotzdem erneut zum CSU-Chef wählen lassen, gibt aber sein Amt als bayerischer Ministerpräsident an seinen Erzrivalen Markus Söder ab.

 SPD-Spitzen Martin Schulz und Andrea Nahles im Bundestag.

SPD-Spitzen Martin Schulz und Andrea Nahles im Bundestag.

Foto: ap, MS

Und Schulz hat es noch nicht geschafft, ausreichend Führungsstärke zu zeigen. Die Parteilinke drängte ihm die Koko-Überlegung auf, die der SPD einiges Gespött eingetragen hat. Denn es sieht nach Rosinenpickerei aus, wenn eine Partei zwar regieren, aber gern auch gegen den Partner abstimmen können möchte. Vertraglich abgesichert, versteht sich.

Die drei unterschiedlichen Politiker verbindet nun eines: Die Verhandlungen über eine erneute große Koalition könnten ihre Rettung werden. Oder ihr Niedergang. Denn auch für Seehofer und Schulz gilt, dass nach vielen Monaten des vergeblichen Ringens um eine stabile Regierung für die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt bei einer Neuwahl dann auch nach neuen Gesichtern verlangt werden dürfte. Die Bildung einer großen Koalition hingegen würde allen dreien - und ihren Parteien - Zeit verschaffen, sich wieder zu berappeln.

Merkel und Seehofer hätten dann bewiesen, dass sie als erfahrene Krisenmanager die Karre immer noch am besten aus dem Dreck ziehen können. Sie hätten dann auch die Chance, ihren späteren Abschied aus der Politik selbstbestimmt vorzubereiten. Und Schulz wäre der SPD-Vorsitzende, der die Partei nach einer emotionalen Achterbahnfahrt mit tiefen Tälern wieder in die Lage versetzt, die eigenen Herzensanliegen Wirklichkeit werden zu lassen, anstatt sie nur von der Warte der Opposition aus zu fordern.

So werden die drei vermutlich bis an ihre Grenzen gehen, um mit einer großen Koalition doch noch einen großen Wurf zu wagen. Sie zerbrechen sich jetzt den Kopf, wie sie zueinanderfinden können. Die SPD hat elf Kernthemen vorgelegt von Europa bis Klimaschutz. CDU und CSU haben vor allem formuliert, was sie nicht wollen: eine Bürgerversicherung, Steuererhöhungen, neue Schulden und eine Vergemeinschaftung von Schulden in Europa.

Die allgemeine Aufforderung, es dürfe kein "Weiter so" geben, wird aber interessanterweise schon etwas relativiert. In beiden Lagern heißt es jetzt, es dürfe sehr wohl weitergehen mit Errungenschaften der vorigen großen Koalition, wie etwa ohne neue Schulden auszukommen oder die Pflege zu verbessern oder den Mindestlohn zu stärken oder oder oder. Vor allem die SPD müsse aber die gemeinsamen Erfolge und ihren eigenen Anteil daran besser herausstellen, statt immer nur zu jammern und zu mecken.

Das sehen auch einige Sozialdemokraten so. Auf beiden Seiten bestehen große Sympathien dafür, nicht jedes Detail in einem Koalitionsvertrag zu regeln. Lieber große Symbolthemen beschreiben und Luft zum Atmen für die vielen Details lassen. Offen ist, welche "Idee" eine neue große Koalition verkörpern könnte, die "Erzählung", die "Verheißung". Dazu hat bisher noch keiner eine Idee geäußert.

Punkt drei der Vereinbarung vom Mittwochabend von Merkel, Seehofer, Schulz sowie den drei Fraktionsspitzen Volker Kauder (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und Andrea Nahles (SPD) klappt aber zumindest gestern schon einmal ganz gut: Alle halten sich zurück mit der "Öffentlichkeitsarbeit". Schulz soll noch einmal ganz deutlich gemacht haben, wie schwer für seine Partei der Weg in eine dritte große Koalition unter Merkel werden würde.

Zuerst muss heute der Parteivorstand Ja zu Sondierungen mit der Union sagen, dann entscheidet ein Sonderparteitag im Januar über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, und schließlich müsste ein ausgehandelter Vertrag von den Parteimitgliedern abgesegnet werden. Er brauche einfach Zeit. Die will ihm die Union geben.

(kd)
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