Designierter Ministerpräsident Kretschmer Sachsen-CDU beharrt auf "deutschen Werten"

Berlin · Der designierte Ministerpräsident Michael Kretschmer kündigt einen konservativen Kurs an - im weit nach rechts gerückten Freistaat.

 Blick nach vorn: Michael Kretschmer (CDU).

Blick nach vorn: Michael Kretschmer (CDU).

Foto: dpa, skh kde

Michael Kretschmer steht am Pult, hält vor den Delegierten eine knackige, kurze Rede und entschuldigt sich für seinen frühen Abgang - aber seine Kinder müssten ins Bett. Es ist der 7. Oktober, Deutschlandtag der Jungen Union in Dresden, Kretschmer macht seinen Zuhörern Mut, den er nach der Schlappe der CDU in Sachsen bei der Bundestagswahl selbst verloren hat. Nach 15 Jahren als Bundestagsabgeordneter und acht Jahren als Unionsfraktionsvize hat es der "Populist der Mitte", wie ihn manche nennen, nicht wieder ins Parlament geschafft. Und zu allem Überfluss hat er auch noch sein Direktmandat im Wahlkreis Görlitz an den bis dahin völlig unbekannten AfD-Mann und Malermeister Tino Chrupalla verloren. Das sitzt.

Ein Leben außerhalb der CDU

Vor vier Jahren hatte der smarte CDU-Landesgeneralsekretär noch 49,9 Prozent geholt. Von der AfD war damals gar keine Rede. Nun musste er sich mit 31,4 Prozent gegen Chrupalla (32,4 Prozent) geschlagen geben. Ein Tiefschlag, wie er auf den Fluren beim JU-Tag bekennt. Auch Jens Spahn und Paul Ziemiak, die führenden jungen Konservativen in der Union, sind bekümmert. Kretschmer sei so ein guter Mann, ein Fachpolitiker für Kultur und Bildung, eine Stimme der Jüngeren, und nun stürze er doch vor allem über die Folgen der Flüchtlingspolitik, beklagen sie. Kretschmer jedenfalls hat an diesem Abend genug, seine beiden Kinder hängen auch in den Seilen, er will nach Hause. Es gibt noch ein Leben außerhalb der CDU. Elf Tage später ist er designierter CDU-Vorsitzender und Ministerpräsident Sachsens.

Mit dieser neuen Perspektive plädierte er nach einer Fraktionssitzung in Sachsen als erstes pauschal für "deutsche Werte". Welche das sind, blieb zunächst unklar. Aber es hörte sich markig an.

Stanislaw Tillich will im Dezember nach neun Jahren als Regierungschef abtreten. Der 58-Jährige zieht damit die Konsequenzen aus dem Wahlergebnis vom 24. September, als die AfD in Sachsen knapp vor der CDU landete. Kretschmer ist sein Wunschnachfolger. Er ist 42 Jahre alt. Ein Generationenwechsel.

Und weil diese Entscheidung überraschend just zum Auftakt der Jamaika-Verhandlungen in Berlin fiel und die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel unter dem Druck der Erneuerung der Partei und des Landes steht, ließ die Kritik an ihr nicht auf sich warten. Es war wieder die Rede davon, dass Tillichs Rückzug vielleicht nur der Anfang sei - und Merkels Abtritt in dieser Wahlperiode das Ende. Die Hauptschuld an den massiven CDU-Verlusten in Sachsen trage die Bundesregierung insbesondere wegen der Flüchtlingspolitik, sagte dann auch der CDU-Fraktionschef im sächsischen Landtag, Frank Kupfer. Merkels Flüchtlingspolitik. So sieht es im Übrigen auch die CSU in Bayern. Kupfer mahnte, die CDU sei generell politisch nach links geschwenkt und müsse jetzt nach rechts rücken, wenn sie wieder in die Mitte kommen wolle. Das gelte beispielsweise für die Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Bei der Analyse allerdings, warum die seit der Wende in Sachsen ununterbrochen regierende CDU so schwach abgeschnitten hat, kommen CDU-interne Kritiker Tillichs genau darauf zu sprechen. Vor allem die Grenzkriminalität sei ein großes Problem, weil morgens die Schafherde oder die Ackergeräte fehlten, die man am Abend noch gesehen habe. CDU-Landräte beklagten sich erst vor Tagen, die Kommunen seien finanziell zu schlecht ausgestattet, das Land müsse mehr Geld geben und für mehr Polizisten und Lehrer sorgen. Sie forderten den Rücktritt von Finanzminister Georg Unland und Innenminister Markus Ulbig - und meinten damit eigentlich Tillich, heißt es. Dass nicht Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der von 1999 bis 2005 verschiedene Ministerposten in Sachsen innehatte, als nächster Regierungschef in Dresden vorgeschlagen wurde, liege auch an dessen Schwächen in seinem jetzigen Amt, ätzen seine Widersacher. Denn das habe natürlich auch Auswirkungen auf die Länder.

Biedenkopf attackierte Tillich in der "Zeit"

Moralisch den Rest hat Tillich aber wohl das bitterböse "Zeit"-Interview des früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf gegeben. Er hatte jüngst über Tillich gesagt, ihm fehle die "Vorbildung" für das Amt. Er habe "das nie gelernt". Das sei "ekelhaft" gewesen, sagt ein Unionsmitglied. Biedenkopf wollte sich auf Anfrage unserer Redaktion nicht äußern.

Der Freistaat Sachsen ist in den vergangenen Jahren mit Wut-Bürgern von Pegida, mit der AfD und auch der NPD, die im Wahlkampf gemeinsam Reden Merkels niederbrüllten, weit nach rechts gerückt. Und das, obwohl Tillich in der CDU zu den Konservativen zählt und manchmal der CSU wohl näher steht als der eigenen Partei. So gilt es jetzt für Kretschmer, Vertrauen über Taten und nicht Worte zurückzugewinnen und sich das Problem des Polizisten- und Lehrermangels zu lösen. Er sieht sich als konservativ, will aber keinen Rechtsruck der CDU. "Ich stehe mit beiden Beinen fest in der Mitte unseres politischen Systems", betonte er. Das ist die neue Herausforderung der CDU: Mit der Mitte die rechte Flanke zu schließen.

(kd)
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