Merkel-Rede im Bundestag "Nicht im Technikmuseum enden mit Deutschland"

Berlin · Nach den TV-Debatten ein Schlagabtausch im Parlament: Alle Fraktionen suchen bei der letzten Sitzung des Bundestags vor der Wahl ihren Vorteil. Die Kanzlerin preist ihre Erfolge. Die SPD verschärft den Ton. Bundestagspräsident Lammert verabschiedet sich mit mahnenden Worten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Rede im Bundestag in Berlin.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Rede im Bundestag in Berlin.

Foto: dpa, soe fdt

Wahlkampf im Bundestag: In der letzten Sitzung des Parlaments vor der Wahl am 24. September hat Kanzlerin Angela Merkel im Gegensatz zur SPD eine positive Bilanz der großen Koalition gezogen. "Wir haben eine Menge miteinander erreicht", sagte sie am Dienstag in Berlin.

Trotz der guten wirtschaftlichen Lage sieht Merkel die Industrienation Deutschland vor großen Herausforderungen. "Wir dürfen uns auf diesen Erfolgen keinesfalls ausruhen", sagte sie. Jetzt gelte es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Deutschland auch in 15 Jahren wirtschaftlich erfolgreich und sozial gerecht sei.

Merkel forderte weitere Anstrengungen bei der Digitalisierung. In diesem Bereich sei noch viel zu tun. Das gelte für die Wirtschaft genau so wie für die Verwaltung, machte Merkel deutlich und fügte hinzu: "Die Welt schläft nicht." Merkel wies auch darauf hin, dass Deutschland inzwischen - wie in Europa verabredet - drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Forschung und Entwicklung ausgebe. Allerdings seien einige skandinavische Länder oder Südkorea hier schon weiter. Die Kanzlerin sagte: "Wir wollen nicht im Technikmuseum enden mit Deutschland."

Ungeachtet des Diesel-Skandals wandte sich Merkel gegen radikale Brüche auf dem Weg zu abgasärmeren Auto-Antrieben. "Wir arbeiten nicht mit Verboten, sondern wir wollen solche Übergänge vernünftig ermöglichen im Blick auf die Beschäftigten und im Blick auf den technologischen Wandel", sagte die CDU-Chefin. In der Autoindustrie habe es "unverzeihliche Fehler" gegeben, betonte Merkel hinsichtlich der Abgasmanipulationen. Das berechtige aber nicht dazu, die gesamte Branche ihrer Zukunft zu berauben.

Angesichts drohender Fahrverbote in mehreren Städten wegen zu hoher Luftverschmutzung durch Dieselautos sagte die Kanzlerin: "Wir werden alle Kraft darauf lenken, dass es zu solchen Verboten nicht kommt." Menschen, die sich in gutem Glauben und von der Politik ermuntert Dieselautos gekauft hätten, müssten diese auch nutzen können. "Gegen den Diesel vorzugehen, bedeutet gleichermaßen auch, gegen die CO2-Ziele vorzugehen. Das darf nicht passieren", sagte Merkel.

Im außenpolitischen Teil ihrer Rede warnte die Kanzlerin vor Streit innerhalb der EU im Umgang mit der Türkei. Wenn sich Europa "vor den Augen des Präsidenten Erdogan" öffentlich zerstreite, würde dies die europäische Position dramatisch schwächen. "Davon kann ich uns nur abraten." Merkel sagte, sie wolle beim EU-Gipfel im Oktober mit den anderen Staats- und Regierungschefs über die künftigen Beziehungen zur Türkei beraten. Das schließe auch einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen ein.

Die Kanzlerin ging auch auf die neuesten Entwicklungen in der Nordkorea-Krise ein: Europa müsse sich um eine friedliche Lösung des Konfliktes bemühen. "Europa hat eine wichtige Stimme in der Welt", sagte Merkel in der letzten Sitzung des Parlaments vor der Wahl am 24. September. Am Wochenende solle es dazu ein Außenministertreffen in Gymnich bei Köln geben, kündigte sie an.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann setzte auf Konfrontation und forderte einen Machtwechsel. Er warf Merkel vor, zu Lasten der Bürger viele Reformprojekte in der großen Koalition blockiert zu haben. Die SPD habe vieles hart erkämpfen müssen, "viel zu oft auch gegen Sie selbst, Frau Merkel", sagte Oppermann. Er unterstellte Merkel, die von der Koalition eingeführte Mietpreisbremse "bis zur Unkenntlichkeit beschädigt" zu haben, so dass Vermieter das Gesetz leicht umgehen könnten. Die Kanzlerin sei damit persönlich verantwortlich für viele unangemessene Mieterhöhungen.

Auch habe Merkel verhindert, in der Arbeitswelt ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit einzuführen: "Es ist ihre Verantwortung, dass Millionen Frauen in der Teilzeitfalle festsitzen." Es sei Zeit für einen Machtwechsel: "Dieses Land braucht keine Bundeskanzlerin, die nur sozialdemokratisch redet. Dieses Land braucht einen Bundeskanzler, der sozialdemokratisch handelt", sagte Oppermann mit Blick auf SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir hat der Bundesregierung Untätigkeit in wichtigen Fragen vorgeworfen. Durch ihr Nichtstun in der Diesel-Krise erzwinge die große Koalition Fahrverbote in den Städten, warnte er. Zudem mahnte Özdemir, den "Kuschel"-Kurs mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu beenden. Deutschland dürfe die Verschärfung der Reisewarnungen und das Aussetzen von Hermesbürgschaften nicht nur prüfen: "Tun Sie's endlich", forderte der Grünen-Chef. "Was muss denn dieser Erdogan noch machen, dass Sie endlich mal aufwachen und aufhören, mit ihm zu kuscheln?"

Die Linksfraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht warf Merkel einen "Schönwetter-Wohlfühlwahlkampf" vor. Es sei empörend, dass sich die Kanzlerin einer demokratische Debatte über die Lösung der drängenden sozialen Problemen verweigere, sagte Wagenknecht im Plenarsaal. Der Anteil derer, die trotz Arbeit ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle beziehen, habe sich während Merkels Amtszeit verdoppelt. Allerdings habe es auch die SPD versäumt, ein glaubwürdiges Alternativangebot zum "Weiter-So-Wahlkampf" der Kanzlerin zu unterbreiten.

Der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach sich für eine Stärkung der Parlamentsrechte aus. In seiner Abschiedsrede als Parlamentspräsident warnte der CDU-Politiker vor ausufernden Änderungen des Grundgesetzes und warb für eine stärkere Kontrolle der Regierung durch ein selbstbewusstes Parlament sowie die Sicherung der Rechte parlamentarischer Minderheiten. Er rief die Bürger auf, ihre Stimme abzugeben und das Königsrecht der Demokratie ernst zu nehmen: "Demokratie steht und fällt mit dem Engagement ihrer Bürger."

(oko/dpa)
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