Martin Schulz zum SPD-Chef gewählt Die große Wohlfühlrede

Berlin · Die Krönungsmesse für den neuen SPD-Chef und Kanzlerkandidaten Martin Schulz ist gelungen. Mit 100 Prozent wählten die Sozialdemokraten ihren neuen Vorsitzenden. Neue Inhalte lieferte dieser in seiner Rede aber kaum.

 "Jetzt ist Schulz" steht auf den SPD-Transparenten: Martin Schulz nach seiner Wahl zum Parteichef.

"Jetzt ist Schulz" steht auf den SPD-Transparenten: Martin Schulz nach seiner Wahl zum Parteichef.

Foto: afp

Mit einem solchen Ergebnis hat selbst SPD-Generalsekretärin Katarina Barley nicht gerechnet. Keine Gegenstimmen für den neuen SPD-Chef und Kanzlerkandidaten Martin Schulz? Unglaublich, sagt sie noch, als in der Arena in Berlin-Treptow bereits die Stuhlreihen der Krönungsmesse abgebaut werden und längst alle Delegierten auf dem Heimweg sind. Der "Schulz-Zug" rollt. Aber mit so brachialer Kraft?

Wer die Inhalte der Rede allein betrachtet, hätte auf ein ähnliches Ergebnis wetten können. Zwar war sie an einigen Stellen zur historischen Betrachtung der SPD zu lang geraten, es kam Unruhe im Saal auf und es fehlte der eine, alles überstrahlende Satz. Aber es war für alle etwas dabei. Neuigkeiten oder Überraschungen gab es kaum. Und genau das wollen die Genossen im Moment. Mächtige Wahlkämpfer wie NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft verbitten sich zu dieser Zeit unbequeme Positionen des Martin Schulz, die womöglich Debatten in der diskussionsfreudigen SPD auslösen und Krafts Wiederwahl im Mai gefährden könnten. Ein Überblick seiner wichtigsten Botschaften - Harmonie in der Partei und bei ihren Freunden und klare Kante gegen Rechts:

"Die SPD und die Gewerkschaften werden Seite an Seite für mehr Gerechtigkeit kämpfen"

Martin Schulz will als SPD-Chef das fortsetzen, was sein Vorgänger Sigmar Gabriel nach den Zerwürfnissen über die Agenda-Politik nach 2009 geschafft hat: Die Gewerkschaften wieder zum Partner der SPD zu machen. Er warb in seiner Rede für ein Ende ungleicher Bezahlung für gleiche Arbeit, forderte eine kritische Prüfung sachgrundloser Befristung von Arbeitsverträgen und prangerte den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit an. Bei den Gewerkschaften rennt er damit offene Türen ein. Kritische Themen, wie die Anpassung des Mindestlohns, klammerte Schulz hingegen aus. Wie in vorherigen Reden nannte Schulz auch nicht die Agenda 2010 beim Namen. Er weiß, dass sie auch nach 14 Jahren noch ein rotes Tuch in der Partei ist. Abermals ging er jedoch auf die Pläne zum Umbau der Bundesagentur für Arbeit hin zu mehr Weiterbildung ein. Indem er die Kritik daran, es handele sich um ein Frühverrentungsprogramm, lediglich als "absurd" abtat, sprang er jedoch zu kurz.

"Bildung soll gebührenfrei werden, von der Kita bis zum Studium"

Bei der Bildungs- und Familienpolitik lieferte Schulz die einzigen wesentlichen Neuigkeiten, die er nicht vorher schon woanders genannt hatte. So sollen nicht nur Kita, Schule und Studium kostenfrei sein, Schulz plädierte auch für eine Abschaffung der Gebühren in der Berufs- und Meisterausbildung. Immer wieder hatte auch Gabriel kritisiert, dass Erzieher für ihre Ausbildung draufzahlten, während angehende Juristen keine Gebühren für ihr Studium zahlen müssten.

Die Idee kommt gut an, sie ist offenkundig gerecht, Schulz kann auf viel positive Resonanz hoffen. Dass die SPD aber in fast allen Ländern für die Bildungspolitik zuständig ist und eine solche Initiative bislang fehlte, muss den Sozialdemokraten angelastet werden. Schulz kündigte zudem an, dass es künftig einen Rechtsanspruch auf einen Platz an einer Ganztagsschule geben solle. Zeit sei in Familien Mangelware. Deswegen habe er mit Familienministerin Manuela Schwesig ein Konzept für die Familienarbeitszeit diskutiert, das in den kommenden Wochen vorgestellt werde. Allerdings ist das längst Programm der Ministerin, sie scheiterte damit jedoch in der großen Koalition. Dass die SPD das nun noch einmal in den Wahlkampf trägt, ist logisch und keinesfalls überraschend. Die Analyse jedoch ist richtig: Mit dem Thema Zeit in den Familien treffen die Genossen einen Nerv.

"Die Pläne der Union für Steuersenkungen sind ungerecht"

Schulz machte deutlich, dass Steuersenkungen mit ihm nicht zu machen sind. Er prangerte Pläne der Union an, Steuersenkungen in Höhe von 15 Milliarden Euro zu planen und die Ausgaben für Rüstung zulasten der Sozialsysteme zu erhöhen. Das Konzept der SPD: Investieren, investieren, investieren. In Bildung, Infrastruktur, Kultur. Derzeit streiten die Genossen hinter verschlossenen Türen jedoch noch über die Details ihres Steuermodells: Sollen die Entlastungen der niedrigen und mittleren Einkommen über die Steuern laufen (NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans beispielsweise ist dafür) oder sollen Freibeträge bei den Sozialabgaben für mehr Spielraum bei Geringverdienern sorgen (so steht es etwa in einem Positionspapier des konservativen Seeheimer Kreises)? Das Steuerkonzept ist für die SPD im Wahlkampf zentral, es birgt aber auch den meisten Sprengstoff zwischen den Lagern der Partei. Geschickt: Schulz machte bereits deutlich, dass es erst nach der NRW-Wahl kommen werde.

Martin Schulz stellt sich der SPD-Fraktion vor
10 Bilder

Martin Schulz stellt sich der SPD-Fraktion vor

10 Bilder
Foto: ap, SO

"Feinde der Demokratie haben in uns den entschiedensten Gegner"

An wenigen anderen Punkten in der Rede wurde Schulz so emotional wie bei den Angriffen gegen Rechtspopulisten. Die AfD bezeichnete er noch einmal als "Schande für die Bundesrepublik". Er weiß genau, dass er auch wegen seiner Haltung als früherer Europaparlamentschef dabei wesentlich glaubwürdiger ist, als etwa in den Zahlendetails der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. Schulz lief zu Hochformen auf, bediente auch historische Vergleiche, wie die SPD sich etwa gegen die Nationalsozialisten stellte. Die Parteitagsgäste zollten ihm dafür den längsten Zwischenapplaus. Der Kanzlerkandidat wird dieses Thema im Wahlkampf stark spielen, so viel ist sicher.

"Wer die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Frage stellt, hat keinen Platz in diesem Land"

Schulz sprach das Thema kultureller Probleme im Zuge der Massenmigration geschickt mit einem Verweis auf die Verfassung an. Wer den Grundsatz der Gleichberechtigung nicht anerkenne, gehöre hier nicht her, passe hier nicht rein. Ansonsten hielt er sich in dem Punkt zurück, auch zur inneren Sicherheit. Es ist kein Thema, mit dem die SPD viel gewinnen kann.

"Erdogans Strategie wird früher oder später scheitern"

Ganz anders beim Thema Europapolitik: Dort ist Schulz zu Hause, das ist sein Antrieb. In einem leidenschaftlichen Plädoyer für mehr europäischen Zusammenhalt und gegen autokratische Tendenzen wie in der Türkei zog er auch nach einer Stunde Redezeit die Aufmerksamkeit des Parteitags noch einmal voll auf sich. Wer, wenn nicht er, kann der Kanzlerin an dieser Stelle Paroli bieten. Allerdings werden die Wähler sich beim Thema Außenpolitik entscheiden müssen: Wollen sie die kühl taktierende Kanzlerin oder den mitunter emotional und beherzt agierenden Schulz, der auch schon mal EU-Parlamentarier wegen rassistischer Angriffe aus dem Parlament warf.

Keine Beachtung fanden Themen wie Klima- und Umweltpolitik, den Bereich Verkehr schnitt Schulz nur am Rande, auch die Flüchtlingsintegration kam zu kurz. Für die Programmrede Ende Juni in Dortmund bleibt also viel Luft. Und die NRW-Wahl ist dann ja längst gelaufen.

(jd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort