Netzpolitik.org Geheimdienste schlagen zurück

Düsseldorf · 50 Jahre nach der "Spiegel"-Affäre hat der Staat erstmals den Vorwurf des Landesverrats gegenüber Journalisten erhoben. Konkret hat die Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen das Blog "Netzpolitik.org" eröffnet, da deren Journalisten aus geheimen Unterlagen zitieren. Schon als vor Wochen Ermittlungen gegen journalistische Informanten bekannt wurden, warnte eine Journalistin von Netzpolitik.org, dass die deutschen Geheimdienste jetzt zurückschlagen wollen.

 Das ist Markus Beckedahl, Chefredakteur von "Netzpolitik.org". Auch gegen ihn gibt es ein Verfahren wegen Landesverrats.

Das ist Markus Beckedahl, Chefredakteur von "Netzpolitik.org". Auch gegen ihn gibt es ein Verfahren wegen Landesverrats.

Foto: dpa, ped soe jai

Am Donnerstagabend platzte die Bombe: Der Bundesstaatsanwalt ermittelt gegen Journalisten wegen Landesverrat. Das ist das nächste Kapitel in einer monatelangen Auseinandersetzung zwischen Regierung, Opposition und Medien. Ausgelöst haben die Ermittlungen gegen die Journalisten von Netzpolitik.org Strafanzeigen von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Netzpolitik.org hatte im Februar und April dieses Jahres über interne Pläne des Bundesamts für Verfassungsschutz zur nachrichtendienstlichen Auswertung von Internetkommunikation berichtet.

Reaktion deutete sich an

Vor zwei Wochen wurde bereits bekannt, dass der Verfassungsschutzpräsident Strafanzeige gegen mutmaßliche Informanten stellte. Über diesen Vorgang sprach Daniel Fiene daraufhin mit der "Netzpolitik.org"-Journalistin Constanze Kurz.

Ihre Äußerungen erscheinen im Zuge der Bekanntgabe der Ermittlungen gegen das Online-Magazin unter einem ganz neuen Licht. Kurz sah bereits die Ermittlungen gegen mutmaßliche Informanten vor allem als Einschüchterungsversuch: "Das ist ja ein ernsthafter Vorwurf. Hier handelt es sich um die Bundesanwaltschaft, die vom Personal und von den Gesetzen her andere Möglichkeiten hat, als ein normaler Staatsanwalt."

Die Mindeststrafe für Landesverrat liegt bei einem Jahr Haft, in schweren Fällen ist lebenslänglich möglich. Der Vorgang richtet sich laut Kurz nicht nur gegen Geheimnisverräter. "Der Präsident des Geheimdienstes hat die Information den Medien gesteckt, damit sie darüber berichten. Das ist nicht nur für die Informanten, sondern auch für die Redaktionen eine Einschüchterung."

"Die Geheimdienste haben ein Imageproblem"

Das Kanzleramt hatte mehrmals mit Strafanzeigen gedroht - etwa im Zusammenhang mit der Veröffentlichung geheimer Dokumente zur Affäre um die Lauschaktivitäten des US-Nachrichtendiensts NSA. Dabei ging es aber stets nur um den Verdacht des Verrats von Dienstgeheimnissen.

Für Constanze Kurz sind die Aktivitäten des Verfassungsschutzes und der Bundesstaatsanwaltschaft eine Reaktion des Staates auf die Arbeit von Journalisten der vergangenen Monate: "Ich glaube, das ist auch generell eine Reaktion auf die Imageproblematik, die diese Geheimdienste haben. Seit zwei Jahren debattieren wir intensiv über Geheimdienste. Wir haben den Untersuchungsausschuss für die ausländischen und inländischen Geheimdienste im Bundestag. Es ist eine Art von Zurückschlagen, da die Geheimdienste ihr Fell davon schwimmen sehen. Ganz richtig bemerken sie, dass die Bevölkerung sehr viel kritischer auf ihr Treiben schaut."

Auch wenn die Ermittlungen gegen mutmaßliche Informanten und Journalisten als Einschüchterungseffekt wahrgenommen werden, gibt es laut Kurz auch positive Entwicklungen: "Ich habe den Eindruck, dass bei Behörden sehr viele mehr Menschen arbeiten, die sich von Snowden angesprochen fühlen. Sie fühlen sich angespornt, Dinge, die sie für falsch, unrechtmäßig oder ethisch fragwürdig halten, anzuprangern. Es gibt eher ein Klima, welches den Redaktionen zuarbeitet. Das sehen wir auch als Grund, warum der Chef dieses Geheimdienstes am Rad dreht und der Presse hintenherum steckt, dass man ermittelt."

"Selbstzensur ist die größte Gefahr"

Die Redaktion von Netzpolitik.org kündigte an, sich weiter mit Geheimdienstmaterial beschäftigen zu wollen. "Ich glaube die größte Gefahr in so einem Land wie Deutschland, wo man ja rechtlich sehr gut gestellt ist, ist eine Form von Selbstzensur", so Constanze Kurz. "In dem man eine gewisse Form des Schreibens entwickelt, die sich nicht mehr skeptisch und kritisch gegenüber den Regierenden, aber teilweise auch wirtschaftlich Handelnden stellt.

Der Vorwurf des Landesverrats gegen Journalisten gilt als politisch heikel. Nach der "Spiegel"-Affäre Anfang der Sechzigerjahre, in der ein solcher Vorwurf erhoben wurde, hatten Juristen und Politiker eindringlich vor einer Drangsalierung des unabhängigen und kritischen Journalismus in Deutschland gewarnt.

(dafi)
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