Analyse zur Linken in Magdeburg Torten-Parteitag ohne Perspektive

Magdeburg · Katja Kipping und Bernd Riexinger bleiben weitere zwei Jahre Vorsitzende der Linken. Die Zustimmungswerte gingen für sie von 77 auf 74 und von 89 auf 78 Prozent zurück. Das passt zur Entwicklung einer Partei von schwindender Bedeutung.

Sahra Wagenknecht: Torten-Attacke in Magdeburg
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Torten-Attacke auf Sahra Wagenknecht

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19 Jahre sind es noch. 19 Jahre kann die Linke so weiter machen wie bisher. Dann ist sie weg. Jedenfalls, wenn die Mitglieder-Entwicklung so anhält wie in den letzten sechs Jahren. Da sackte die Zahl der Parteibücher von 78.046 auf 58.989. Im Schnitt kehrten jährlich 3100 Befürworter einer sozialistischen Alternative für Deutschland ihrer Partei den Rücken. Jeder Vierte ist schon weg.

Und nun verliert die linke Alternative auch noch die Wahlen gegen die rechte Alternative. Die bei den Linken schon "März-Wahlen" genannten Schock-Erlebnisse in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt machten für sie einen Parteitag des neuen Aufbruchs, des neuen Mutes, der neuen Wählbarkeit dringend nötig.

Gelingt in Magdeburg also eine Klärung des künftigen Weges? Wird deutlich, was sie vor allem will, worauf sie hinarbeitet? Da fanden lebhaften Beifall jene, die von handgreiflichen Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern, von Blockade-Aktionen und flächendeckenden Gegenprotesten berichteten.

 Bernd Riexinger wurde als Parteichef zusammen mit Katja Kipping wiedergewählt.

Bernd Riexinger wurde als Parteichef zusammen mit Katja Kipping wiedergewählt.

Foto: dpa, hsc axs

Als ein Delegierter den Vorsitzenden kurz vor dessen Wiederwahl um die Erstellung von Anwaltslisten für die Genossen bat, die bei ihrem tätigen Engagement auf der Straße mit dem Gesetz in Konflikt geraten, versicherte dieser allen Opfern von "Repressionen" die Solidarität der ganzen Partei. Das wäre die Linke als Protestbewegung und Straßenschlacht-Variante.

Auf der Suche nach möglichst guten Wiederwahl-Ergebnissen griffen Riexinger und Kipping nach kämpferischer Rhetorik. Die galt dem, wie Riexinger es formulierte, "Riesenarschloch" Donald Trump genauso wie dem EU-Türkei-Deal, den Auslandseinsätzen der Bundeswehr wie dem Freihandelsabkommen TTIP.

Besonders entschieden aber der SPD, die laut Kipping in der Finanz-, in der Flüchtlings- und in der Friedenspolitik ein "Totalausfall" sei. In dieser Radikalrhetorik wurde aus Leiharbeit schlicht "moderne Sklaverei". Das wäre die Linke als Polterpartei, die sich als Opposition pudelwohl fühlt, und zwar innerhalb oder auch, mangels Wählern vor allem im Westen, auch außerhalb von Parlamenten.

Aber es gab in Magdeburg noch eine weitere Weg-Perspektive. Dafür hätte der erste linke Regierungschef Bodo Ramelow aus Thüringen getrommelt, wenn sein Arzt ihm nicht ein Sprechverbot aus gesundheitlichen Gründen auferlegt hätte. Er stellte sein Rede-Manuskript ins Netz und warb für die Möglichkeiten der Linken, die Politik tatsächlich zu verändern. Als Beispiel wählte er darin die Ablehnung von Abschiebungen.

"Jede einzelne Abschiebung empfinde ich als Niederlage. Jede, die verhindert werden kann, oder bei deren Verhinderung wir sogar mit legalen Mitteln diskret helfen können, ist ein kleiner Erfolg." Ob es die Wählermassen begeistert, wenn eine Partei damit wirbt, jene Menschen in Deutschland zu halten, die kein Bleiberecht haben, ist zwar eher fraglich. Aber das Beispiel zielte erkennbar in die Seele der Linken, ihre Abwehrreflexe gegen Regierungsverantwortung zu überwinden. Das wäre also die Linke als Regierungspartei.

Passend zum Parteitag erarbeiteten zwei Thüringer aus dem Umfeld von Ramelow ein Papier mit linker Machtperspektive. Staatskanzleichef Benjamin Hoff und Ex-Regierungssprecher Alexander Fischer rechneten vor, dass SPD, Linke und Grünen nur noch fünf Prozentpunkte gegenüber den aktuellen Umfragewerten dazu gewinnen müssten, um 2017 zusammen regieren zu können. Sie sollten sich deshalb jetzt schon auf mögliche Gemeinsamkeiten konzentrieren.

Das wäre eine Botschaft an Wähler, die eine andere Politik wollen, mit ihrer Stimme Merkel konkret abzulösen, statt sich nicht klar darüber zu sein, ob ihre Stimme für SPD oder Grüne doch wieder bei Merkel landet und bei den Linken nur ein wenig Protest ausdrückt und der stärkere Protest-Effekt dann doch mit der AfD möglich wäre. Eine konstruktive Sammlungsbewegung.

Ex-Fraktionschef Gregor Gysi brachte dazu gleich die Idee eines gemeinsamen Kanzlerkandidaten von Rot-Rot-Grün ins Spiel. "Absurd" blieb das einzige Wort, was dazu in Magdeburg zu hören war.

Eine Gysi-Provokation und eine Torte bewirkten in Magdeburg tatsächlich einen Sammlungseffekt. Aber einen, der die grundsätzliche Unentschiedenheit der Partei über ihren künftigen Weg nur überlagerte. Dass die Linke laut Gysi "saft- und kraftlos" sei, bewirkte schon bei der Anreise der Delegierten einen Solidarisierungseffekt mit der aktuellen Parteiführung. Die hätten eine solche Qualifizierung nun doch nicht verdient, war ein weit verbreiteter Gedanke.

Und als angebliche Antifaschisten Fraktionschefin Sahra Wagenknecht zu Beginn des Parteitages eine Torte ins Gesicht schleuderten, verhinderte das wegen der darauf einsetzenden empathischen Solidarisierung eine weitere Richtungsklärung.

Die Reaktion - bemerkenswert: "Das war nicht nur ein Angriff auf Sahra, sondern dass war ein Angriff auf uns alle", sagte Kipping. Ob ihr in diesem Augenblick klar war, dass diese Wortwahl jener ähnelte, mit denen gewöhnlich Terroranschläge kommentiert werden? Jedenfalls fiel es plötzlich schwer, sich mit Wagenknechts Äußerungen in der Flüchtlingspolitik auseinander zu setzen.

Von ihrer ausgeprägten Skepsis gegenüber rot-rot-grünen Perspektiven ganz zu schweigen. Am Abend machte eine Berliner Antifaschistin gleichwohl einen Versuch und forderte am Mikrofon, wer (wie sich Wagenknecht geäußert hatte) die Überzeugung habe, "wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt", der solle entweder den eigenen Standort überprüfen oder die Partei verlassen. Der Streit um die richtige Positionierung in der Flüchtlingsfrage schwelt also weiter.

So wie sich linke Antifa-Aktivisten an der Linken als Angriffsfläche für Tortenwürfe abarbeiten, reibt sich die Linke selbst an der Sozialdemokratie. Reale Machtperspektiven bejaht sie nur, wenn sich die Parteienlandschaft an der Linken ausrichtet. Das kommt einem Nein gleich, wo schon ein Vielleicht dem potenziellen Wähler vermutlich zu wenig Sicherheit dafür gäbe, was aus seiner Stimme wird.

Der Parteitag von Magdeburg bestätigt also, warum die Grünen mehr über schwarz-grüne Perspektiven diskutieren als über wacklige Linksbündnisse und warum SPD-Vize Ralf Stegner lieber auf eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP für 2017 setzt als auf ein rot-rot-grünes Bündnis. In Magdeburg beleuchtet die Linke die Bedingungen ihres Bedeutungsverlustes. Noch 19 Jahre bleiben ihr, ihren Kurs zu klären. Immerhin.

(may)
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