Joachim Gauck bei Gottesdienst Leid der Armenier: Deutschland könnte vermitteln

Meinung | Berlin · Mit seiner Ankündigung, bei einem Gottesdienst mit der armenischen Gemeinde zum 100. Gedenktag an den Beginn der Vertreibung und Ermordung von Hunderttausenden Armeniern zu sprechen, hat Joachim Gauck die Bundesregierung unter Druck gesetzt. Diese könnte jetzt als Vermittler auftreten.

 Bundespräsident Joachim Gauck hat verbal ein Zeichen gesetzt.

Bundespräsident Joachim Gauck hat verbal ein Zeichen gesetzt.

Foto: dpa, wk fpt

Man darf fest davon ausgehen, dass Gauck das Wort Völkermord bei einer solchen Veranstaltung nicht aussparen wird - wie so viele andere bislang. Schon mit der Ankündigung seines Auftritts hat er die schwarz-rote Regierungskoalition gezwungen, sich neu dazu zu verhalten. Die war offenbar bisher davon ausgegangen, dass der Jahrestag am 24. April in Deutschland sang- und klanglos vorübergehen würde. 1915 hat das Osmanische Reich mit der Vertreibung und Vernichtung der Armenier begonnen.

Mehr als eine Million Menschen sollen getötet worden sein. Zur Trauerfeier in der armenischen Hauptstadt Eriwan schickt das Außenministerium seinen Staatssekretär, im Bundestag sollte es eine kurze Debatte dazu geben. Im Antrag von SPD und CDU war bis Montag nicht die Rede vom Genozid, stattdessen vom Beginn der Deportationen. Noch immer klingt das, was die schwarz-rote Koalition nun zum Thema vorträgt, ziemlich verschwurbelt.

Das Wort Völkermord kommt nun aber vor. Aber in den jahrzehntelangen Konflikt kommt doch endlich Bewegung. Deutschland hat sich mit Rücksicht auf die Türkei, die den Völkermord ebenfalls bis heute leugnet, viel zu lange einen unwürdigen Eiertanz in der Frage geleistet. Was für Außenstehende nach Wortklauberei klingen mag, ist für Armenien eine existenzielle Frage. Hunderttausende Armenier leben aufgrund der Ereignisse Anfang des 20. Jahrhunderts, als sie im Osmanischen Reich plötzlich als Feinde im Inneren galten, weltweit in der Diaspora.

Die Erfahrung der Vertreibung und der jahrzehntelange Kampf um die Anerkennung der Leiden lähmen das Land bis heute. Weil die Grenzen zur Türkei verschlossen sind, kommt Armenien auch wirtschaftlich nicht auf die Beine. Auch Deutschland hat als Nachfolgestaat des damaligen deutschen Kaiserreichs, das die Osmanen unterstützte, eine Mitschuld an den Vergehen. Neben der Rücksicht auf die türkischen Befindlichkeiten dürfte dies ein weiterer Grund für die bisherige Zurückhaltung sein.

Zu Deutschlands eigenen Erfahrungen mit dem Umgang mit den schmachvollen Kapiteln seiner Geschichte im vergangenen Jahrhundert passt das eigentlich nicht. Deutschland konnte nur deshalb zu einem demokratischen Land mit normalen, ja heute sogar teils exzellenten Kontakten zu Nachbarn und Staaten auf anderen Kontinenten werden, weil es seine Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus rückhaltlos anerkannt und aufgearbeitet hat.

Es gibt dabei keinen Anlass zur Überheblichkeit: Auch in Deutschland hat dieser Prozess von der Nachkriegszeit bis weit in die 80er-Jahre hinein gedauert. Aufarbeitung funktioniert nicht auf Knopfdruck. Aber nur so konnte Deutschland letztlich das Vertrauen der Staatengemeinschaft zurückgewinnen. Die Anerkennung der Verbrechen an den Armeniern bleibt zwar in erster Linie eine Aufgabe der Türkei. Diese Debatte ist mit der Kehrtwende in Deutschland damit längst nicht beendet. Aber sie könnte einen neuen Impuls erhalten.

Die Nicht-Anerkennung des Völkermords ist auch für die Türkei ein stetiger Hemmschuh bei der gewünschten Annäherung an Europa. Deutschland könnte hier eine Vermittlerrolle übernehmen — wenn der neue deutsche Auftritt in der Armenien-Frage die türkische Regierung nicht vollends verstimmt hat.

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