Städte in der Schuldenfalle Finanzrisiken klammer Kommunen wachsen

Berlin · Bei der Sanierung der kommunalen Haushalte bleibt ein Viertel der deutschen Städte, Gemeinden und Kreise auf der Strecke. Besonders in den Bundesländern im Westen fehlt Geld für Investitionen, die Lebensverhältnisse driften auseinander, warnt die Bertelsmann-Stiftung in einer am Freitag vorgestellten Studie.

Oberhausen, Pirmasens, Kaiserslautern, Hagen und Remscheid führen die Liste mit den höchsten Kassenkrediten pro Einwohner an.

Oberhausen, Pirmasens, Kaiserslautern, Hagen und Remscheid führen die Liste mit den höchsten Kassenkrediten pro Einwohner an.

Foto: dpa, awe lof rho

Zwar erzielten alle kommunalen Haushalte 2014 zusammen ein Plus von 240 Millionen Euro. In den vergangenen drei Jahren erwirtschafteten sie sogar einen Überschuss von 4,6 Milliarden Euro.

Rund ein Viertel der kommunalen Haushalte profitiert der Untersuchung zufolge davon aber nicht — bei ihnen verschärft sich die Notlage sogar noch. Die Kassenkredite — vergleichbar mit den Dispokrediten in Privathaushalten — stiegen demnach seit 2012 von 47,4 auf 49 Milliarden Euro. Als Hauptgrund sehen die Experten hohe Wohnkosten für Hartz-IV-Bezieher und geringere Steuereinnahmen.

Dabei verteilt sich die Hälfte aller Kassenkredite in Deutschland auf nur 25 Städte. Seit 2008 gelang es keiner dieser Städte aus eigener Kraft, das Minus bei den kurzfristigen und damit sehr teuren Krediten abzubauen. Oberhausen, Pirmasens, Kaiserslautern, Hagen und Remscheid führen die Liste mit den höchsten Kassenkrediten pro Einwohner an.

Essen muss 2,2 Milliarden Euro zahlen

Die Stadt Essen muss mit 2,2 Milliarden Euro viermal mehr Kassenkredite bedienen als alle Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen zusammen. Ohne Bayern läge das bundesweite Finanzsaldo 2014 bei einem Minus von 1,35 Milliarden Euro. Das größte Defizit hat das Saarland mit 319 Euro pro Einwohner. Die bayerischen Kommunen verbuchen dagegen das größte Plus mit 127 Euro pro Bürger.

"Bestehende Haushaltskrisen verschärfen sich - trotz insgesamt guter Konjunktur und finanzpolitisch positiver Trends", sagte René Geißler, Finanzexperte der Bertelsmann Stiftung. Als Folge wird weniger investiert.

"Für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist diese Entwicklung bedrohlich. Die Unterschiede zwischen den Regionen werden fortgeschrieben", sagte Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Stiftung. Sie fordert eine spürbare Entlastung durch die Übernahme der Hartz-IV-Wohnkosten durch den Bund und eine Änderung beim Länderfinanzausgleich.

Das fordert auch der Deutsche Städtetag. "Den von dieser Entwicklung betroffenen Kommunen ist es aus eigener Kraft nicht möglich, entscheidend gegenzusteuern. Sie brauchen eine strukturelle Entlastung durch den Bund und die Länder bei den Sozialausgaben, nur so eröffnen sich ihnen wieder dringend notwendige Entwicklungschancen", sagte Helmut Dedy, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Städtetags.

"Ob das Zusammenleben in Deutschland funktioniert, entscheidet sich in den Städten und Gemeinden", sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zum Ergebnis der Bertelsmann-Studie im Nachrichtenmagazin "Focus". Das bereits beschlossene Entlastungsprogramm der Bundesregierung für Kommunen bezeichnete der SPD-Vorsitzende als nicht ausreichend. "Der Bund muss den Kommunen mindestens in einer Größenordnung von zwei Milliarden Euro die Kosten der Flüchtlingsaufnahme abnehmen", forderte Gabriel. Außerdem verlangte er, die Finanzierung der Kommunen langfristig sicherzustellen. "Bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen müssen wir die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden in ganz Deutschland absichern."

Datenbasis für den Finanzreport sind amtliche Statistiken aller 398 kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland. Der Report entsteht in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin.

(dpa)
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