Total Digital Ein Zauberstab ohne Zauber

Amazon will den Lebensmitteleinkauf mit einem kleinen Barcode-Scanner vereinfachen. Aber der Charme und frische Kostproben bleiben dabei auf der Strecke.

Total Digital: Ein Zauberstab ohne Zauber
Foto: Langer

Neulich habe ich den Zauberstab von Amazon ausprobiert. "Amazon Wand" (engl. Wand = dt. Zauberstab) ist ein kleiner Scanner, der Barcodes von Dingen des täglichen Bedarfs wie Butter, Nudeln oder Klopapier einliest, über Amazon automatisch nachbestellt und mir nach Hause liefert. Drei Monate lang sogar ohne Aufpreis. Das Ganze funktioniert logistisch zwar einwandfrei, für mich aber nur leidlich gut.

Das liegt nicht an Amazon, sondern an meinen Einkaufsvorlieben. Meine Alltagspasta (nicht die teuren vom Italiener) gibt es nur bei Costco, dem US- Pendant zur Metro. Die besten neuen Soßen hat Trader Joe's, wo ich außerdem problemlos alles zurückbringen kann, was ich nicht mag. Käse kaufe ich am liebsten im Metropolitan Market, weil dort die Auswahl am größten ist und ich alle Sorten probieren darf. Frischen Fisch gibt es von der Seattle Fish Company in meinem Stadtteil. Safeway wiederum hat die besten Coupons für Shampoo, Zahnpasta oder anderes, das man horten kann.

Ich kaufe gerne und bewusst ein und nehme mir auch die nötige Zeit dafür. Das kann aber nicht jeder. Wer nicht wie ich flexibel zu Hause arbeitet und zwei schon sehr selbstständige Teenager mit Führerschein hat, weiß die neuen Einkaufs-Offensiven von Amazon schon eher zu schätzen.

In Seattle steht seit Neuestem der erste Supermarkt von Amazon, in dem dessen Mitarbeiter testweise einkaufen können. Der Name "Amazon Go" ist Programm - der Laden kommt ohne Kasse aus. Mit der Amazon Prime App auf dem Smartphone nimmt man die Waren vom Regal und schiebt den Einkaufswagen zum Ausgang, denn ohne Kassen keine Kassenschlangen. Sensoren zeigen der App an, welche Waren im Einkaufswagen liegen, abgerechnet wird über Amazons Mitgliedsprogramm Prime.

2000 kassenlose Supermärkte für gestresste Berufstätige will Amazon nach der Testphase im Erfolgsfall in den USA eröffnen. Zusätzlich zum Amazon-Lieferdienst "Fresh", der hier schon lange frische Waren nach Hause liefert. Der Versandhandels-Schreck entwickelt sich zum Einzelhandelsschreck, der vielleicht auch bald meinen Lieblings-Supermarkt und meinen Fischhändler platt machen wird.

Es sei denn, die heben ihre Stärken mehr hervor. Amazons Empfehlungs-Algorithmus kann keinen Plausch mit dem Fischhändler und keine Kostprobe an der Käsetheke ersetzen. Der Zauberstab hat seinen Zauber schon verloren und liegt in der Schublade.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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