Kolumne: Total Digital Ja, ich habe Ihre Mail bekommen

Digitales Vordrängeln wird in vielen Berufen zu einem Problem. Diese Marotte verhindert das, was sie eigentlich bezwecken soll: dass E-Mails in einer angemessenen Frist beantwortet werden.

Guten Tag, Herr Fiene, Ich komme auf Sie bezüglich meiner E-Mail zurück, welche ich Ihnen gestern geschickt hatte. Haben Sie diese erhalten?" Eine E-Mail von Frau Neumann. Ich kenne weder sie noch ihre Firma. Es ging um eine Studie. Ihre erste E-Mail hatte ich tatsächlich nicht erhalten. Eine technische Panne - oder ein Trick, um eine Antwort zu provozieren? Das wäre die nächste Eskalationsstufe im immer intensiver werdenden Kampf um Aufmerksamkeit im Posteingang.

Eine kleine Umfrage bestätigte mein Gefühl: Das "Ich wollte mal fragen, ob meine E-Mail angekommen ist"-Fieber greift um sich. Wer teilweise nicht innerhalb weniger Stunden auf eine E-Mail reagiert, bekommt diese Nonsens-Frage wahlweise elektronisch oder - noch schlimmer - per Telefon.

Was der Fragesteller wirklich wissen will: Warum habe ich noch keine Antwort erhalten?

Letztens hat eine andere Vertreterin - sie wollte eine neue Software verkaufen - eine ganz andere Taktik ausprobiert: Sie schrieb diverse Kollegen an, in der Hoffnung, dass irgendwer schon antworten wird. Ich habe sie ganz offen gefragt, warum sie uns mit E-Mails bombardiert, statt einfach auf eine Antwort zu warten. Sie schrieb: "Aus Erfahrung wissen wir, dass die meisten Leute Mails, die älter als drei Tage sind, nicht mehr beantworten, weshalb ich davon ausging, nicht mehr von dir zu hören. Deshalb auch die verschiedenen Kontaktversuche bei euch." Sosehr mich ihre Antwort geärgert hat - diese Erkenntnis einer Vertrieblerin, was das E-Mail-Verhalten angeht, hat mich auch schlauer gemacht.

Einige sortieren ihre E-Mails in einem ausgeklügelten Ordnersystem. Andere nutzen ihren Posteingang als Aufgabenliste: Es bleibt nur das, was noch zu erledigen ist. Wieder andere lassen ihren Posteingang einfach volllaufen und fischen das raus, was sie gerade anspringt. Nach dem Motto: Wenn etwas Wichtiges kommt, wird sich die Person schon noch mal melden. Leider wird die letztere Gruppe immer größer. Immer mehr Menschen kapitulieren vor der Mailflut. Die Nebenwirkungen bekommen auch andere zu spüren.

Ich habe viel über das Problem nachgedacht: Es gibt tatsächlich einige Ausnahmen, bei denen man sich noch einmal in Erinnerung bringt. In einigen Fällen kann das sogar rücksichtsvoll sein. Wenn Sie aber regelmäßig fragen, ob eine E-Mail angekommen ist, dann fragen Sie sich, ob Ihr Anliegen so wichtig ist, dass das digitale Vordrängeln lohnt. Sie wirken nicht nur selbstsüchtig, sondern stehlen Zeit, in der die eine Antwort erhalten könnten, die sie wirklich verdient hätten.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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